Rot oder weiß. Man musste sich für eine Farbe entscheiden. Die andere durfte man nicht betreten. Kleine Wege, Kreuzungen und Springersprünge führten im Pflaster vom Tönnies-Wellensiek-Platz bis hinunter zur „Wooli". Die Zeil, der Kurfürstendamm, die Kö, die Mönckebergstraße, die Eschstraße. Welcher Bünder würde sie nicht in einem Atemzug nennen? Die Pflastersteine sehen heute bedauerlicherweise anders aus, und die Geschäfte auch.
„Büka", die „Büka" war früher ein exklusiveres Kaufhaus. Die Lautsprecherdurchsagen mit den für Außenstehende unverständlichen Zahlencodes klangen besonnen, höflich und freundlich. „Die 37 bitte an die 11, die 37, bitte." Das hieß vermutlich: Frau Quakernack hat jetzt Frühstückspause. Im Warenhaus gab es eine Rolltreppe und sogar einen Fahrstuhl. Welch ein Spaß waren doch die wenigen Knöpfe! Welch ein Graus doch ein „entflohener" Fünfjähriger! Für ihn gab es dort aber immer das neueste Micky-Maus-Heft.
Hier gab es ein Reisebüro und ein Restaurant, in dem man nicht bloß Salzkartoffeln, sondern sogar Kroketten zum Wiener Schnitzel bekam. Zu besonderen Anlässen ging man mit dem Besuch von außerhalb hier Essen. Ja, seht! In Bünde kann man auch Kroketten. Man blickte von oben auf die Esch- und die Bismarckstraße. Es war eine gute Adresse, in der man auch zu Kaffee und Kuchen gut gekleidet war. Völlig anders sah das am anderen Ende der roten und weißen Wege aus. Aber an dieser Stelle einen Sprung zu machen, hieße, ein paar der aufregendsten Orte der Stadt zu verpassen.
Viele Existenzen versuchten sich an diesem Durchgang
Gleich auf der anderen Straßenseite befand sich das Empty-State-Building...., die City-Passage, die bisweilen vor allem leere Räume beinhaltete. Dass dafür das alte Gebäude der Post niedergerissen wurde, erwies sich als großartige Idee. Eine Treppe hinab führte zu einer Disko in den Keller, oben residierte eine Zeitlang mal ein Hotel und überall im Gebäude roch es nach abgestanden-verbrauchter Luft. Im(!) Gebäude gab es dereinst eine Eisdiele und eine Gaststätte, die in ihrem Charme dem eines Hartgeld-Bordells nur wenig nachstand.
Gleich daneben war mal ein Automaten-Kasino, in dem zwar fast alle Queues etwas verbogen, die Tische aber doch so passabel waren, dass man dort einigermaßen ordentlich Billard spielen konnte. Ein Schuster-Betrieb reparierte auch Lederklamotten, fertigte Schlüssel und Schilder an, und erst seit noch gar nicht so langer Zeit kann man im Komplex der Passage keine Sportwetten mehr platzieren. Viele Geschäfte und Existenzen versuchten sich an diesem Durchgang. Es wäre so schön, wenn man heute dort Briefmarken kaufen und Pakete aufgeben könnte.
Etwas weiter die Fußgängerzone runter befand sich auf der linken Seite ein wenig zurückgelegen eine Gaststätte, die einen Eingang vorne als auch einen zum Parkplatz der Pauluskirche hatte. Später haben wir im „Anno Tobak" einige nette Abende verbracht. Bei unserem Erstkontakt hingegen fanden wir den Wirt etwas arrogant. „Das ist hier keine Fußgängerzone!", brüllte er uns hinterher. In Ordnung, vielleicht hätten wir unsere Fahrräder nicht durch seinen ganzen Laden schieben sollen.
"Das ist nur Spülmittel mit Wasser"
Noch ein wenig weiter, in einem Gebäude, in dem sich heute eine Parfümerie befindet, gab es eine Drogerie, deren Eingang über ein paar Stufen zu erreichen war, die ins Hochparterre führten. Die Warengänge im „Ihr Platz" waren so eng, dass es keine Einkaufswagen gab, sondern man nur mit einem Körbchen hindurchgehen konnte. Ein Kundenstopper hätte hier richtig Freude bereitet. Was wohl die Brandschutzbestimmungen heute dazu sagen würden? Dort gab es zwei ganz wichtige Dinge: Zum einen Blumen auf Spülmittelflaschen, die man herrlich und für immer und ewig und auf alle Zeiten auf den Kühlschrank der teuren Einbauküche kleben konnte, was später nur noch mit Resignation entgegen genommen wurde.
Zum anderen Seifenblasen in Döschen. Mein Vater war stets wütend, wenn er mich damit sah. „Das ist nur Spülmittel mit Wasser. Ist genau das gleiche und kostet nicht so viel." Aber Wasser mit Spülmittel hatte keine bunt-blaue Dose und ein Plastik-Stäbchen mit Ring darin. Manchmal sind Erwachsene einfach seltsam. Da es anscheinend um die Dose ging, wurde sie mir immer wieder mit Wasser und Spülmittel aufgefüllt. Manchmal haben Erwachsene ganz gute Ideen.
Wieso man mit Süßigkeiten Kinder quälen kann, weshalb sich im Kühlregal kleine Schätze befinden können und warum Schwanzlurche und Rutschen etwas gemeinsam haben? All das und mehr lesen Sie in der nächsten Folge, wenn unser Spaziergang über die roten und weißen Pflastersteine weitergeht. Haben Sie sich schon für eine Farbe entschieden?