Patienten im Kreis Gütersloh verzweifelt: Praxis-Öffnungszeiten werden nicht eingehalten

Steinhagen. In Steinhagen ist die hausärztliche Versorgung angespannt. Insider sprechen sogar von einer &bdquo;desaströsen Situation“. Dabei sieht die Lage auf dem Papier gar nicht so dramatisch aus. Auf Anfrage teilt die Kassenärztliche Vereinigung Westfalen-Lippe (KVWL) mit, dass die aktuelle Abdeckung mit Hausärzten in Steinhagen bei über 90 Prozent liegt. Die Festlegung, wie viele Hausärzte (Kassensitze) in einer Stadt, in einem Bezirk, vorgesehen sind, erfolge durch ein bundesweit einheitlich festgelegtes Bewertungsverfahren, lässt die KVWL wissen. Eine Abdeckung mit 90 Prozent bedeutet allerdings auch, dass sich durchaus weitere Hausärzte in Steinhagen niederlassen könnten. Zudem ist die subjektive Wahrnehmung vieler Patientinnen und Patienten eben die, dass es zu wenig Hausärzte in Steinhagen gibt. Das bestätigt Bürgermeisterin Sarah Süß, die erst kürzlich die Steinhagener Hausärzte zu einem runden Tisch ins Rathaus eingeladen hatte. Das Treffen findet einmal im Jahr statt. Versorgungsengpässe durch unregelmäßige Öffnungszeiten einer Praxis &bdquo;Was die Hausarzt-Versorgung in Steinhagen angeht, sind wir im Soll“, kommentiert Bürgermeisterin Sarah Süß die KVWL-Zahl. Sie weiß aber auch, dass viele Bürgerinnen und Bürger die Lage anders wahrnehmen. Eine Erklärung: &bdquo;Für manche Patienten benötigen Ärzte auch einfach mehr Zeit. Zum Beispiel, wenn es um psychische Probleme geht, oder wenn die Patienten kein Deutsch sprechen“, sagt die Bürgermeisterin. Seit geraumer Zeit käme es zudem zu Versorgungsengpässen, weil eine Hausarztpraxis in Steinhagen nur unregelmäßig geöffnet habe. Verzweifelte Patienten berichten der Redaktion, dass diese Praxis mitunter auch unangekündigt und ohne Vertretungs-Informationen geschlossen habe. &bdquo;Das ist ein brennendes Problem“, bestätigt Bürgermeisterin Sarah Süß. &bdquo;Es kamen sogar schon Patienten zu uns ins Rathaus, die uns mitteilten: Hilfe, mein Hausarzt ist verschwunden.“ Die Situation belaste nicht nur die betroffenen Patienten, so die Bürgermeisterin, sondern auch die anderen Praxen im Ort, die den Ausfall dann kompensieren müssten. Praxis will zu den Vorwürfen keine Stellung nehmen Die Gemeindeverwaltung sei dazu im Gespräch mit der Kassenärztlichen Vereinigung. Ein Kontakt zu dem Hausarzt sei bisher nicht zustande gekommen. Der Arzt habe auch nicht am runden Tisch teilgenommen. Die KVWL nimmt zu dem aktuellen Fall aus Datenschutzgründen keine Stellung. Die Möglichkeit, zu den Vorwürfen Stellung zu nehmen, nahm die Praxis nicht wahr. Ungeachtet dieses Einzelfalls hat Bürgermeisterin Sarah Süß die Hausarztversorgung in Steinhagen in den Fokus genommen. Auch deshalb, weil viele Mediziner inzwischen das 60. Lebensjahr erreicht hätten und damit ein möglicher Ruhestand näher rücke, so die Bürgermeisterin. Das könnte die Situation in Steinhagen schlagartig zuspitzen. Lesen Sie auch: Neue Medizinerin steigt in Hausarzt-Praxis im Kreis Gütersloh ein Was das heißt, lässt sich aktuell beispielsweise im benachbarten Werther beobachten. Dort hat sich Dr. Wolfgang Decius zum 1. April mit 76 Jahren in den wohlverdienten Ruhestand verabschiedet. Weil er keinen Nachfolger für seine Praxis fand, stehen plötzlich viele Menschen ohne Hausarzt da, weil die Kapazitäten in den übrigen Praxen erschöpft sind. Herausforderung: Allgemeinmediziner an die Gemeinde zu binden Auf so ein Szenario möchte man in Steinhagen rechtzeitig reagieren. &bdquo;Geeignete Praxisräume zu finden, ist eher nicht das Problem“, sagt Sarah Süß im Gespräch. Die Herausforderung bestünde viel mehr darin, überhaupt junge Allgemeinmediziner an Steinhagen zu binden. Zu diesem Zweck müsse man stärker mit der Medizinischen Fakultät an der Universität Bielefeld zusammenarbeiten. &bdquo;Ich stehe in Kontakt mit der Leiterin der medizinischen Fakultät, Christiane Muth. Wir müssen uns sichtbar machen bei den Studierenden und bei den fertigen Hausärzten“, sagt die Verwaltungschefin. Ein weiterer Ansatz sei es, jungen Ärzten bei der Finanzierung einer Praxis behilflich zu sein. Damit meint Sarah Süß auch den schwer zu durchblickenden &bdquo;Förderdschungel“. Als Positivbeispiel führt sie die Anwerbung von Kinderärztin Dr. Katharina Koschinski im Jahr 2021 an. Wirtschaftsförderer arbeitet an Konzept für Ansiedlung von Ärzten Damals hatte das Rathaus aktiv nach einer Nachfolgerin für Dr. Maria Rita Bredenbröker gesucht. Gemeinsam mit dem Steinhagener Apotheker Lutz Heitland wurde eine Lösung für die Übernahme der Praxis durch Katharina Koschinski gefunden. Mit Lutz Heitland, dem Steinhagen bekanntlich die Ansiedlung zahlreicher Mediziner zu verdanken hat, sei man nach wie vor im Gespräch, so die Bürgermeisterin. Lesen Sie auch: &bdquo;Braucht nicht mehr zu kommen“: Hausarzt aus Gütersloh greift bei fehlenden Patienten durch Auch Steinhagens Wirtschaftsförderer Benjamin Schulz hat die Hausarztversorgung in den Fokus genommen. Schulz erarbeitet ein Konzept zur Ansiedlung von neuen Ärzten. Im Interview berichtete Steinhagens Wirtschaftsförderer erst vor wenigen Wochen: &bdquo;Wenn ich mit Arbeitgebern spreche, wird mir immer wieder mitgeteilt, dass neue Mitarbeiter es schwer haben, eine Hausarztpraxis zu finden. Das Ministerium für Arbeit, Gesundheit und Soziales führt Steinhagen auf der Liste ’Gemeinden, in denen die hausärztliche Versorgung auf mittlere Sicht gefährdet erscheint’. Darauf sollten wir rechtzeitig reagieren.“ Erstmals Antrag für Medizin-Stipendium in Steinhagen Die Hausarztversorgung sei schließlich ein wichtiger Standortfaktor für eine Kommune, mahnt Benjamin Schulz. Eine gute Nachricht hat Bürgermeisterin Sarah Süß zum Medizin-Stipendium, das Steinhagen 2017 im Wissen um die neu zu gründende Medizin-Fakultät an der Uni Bielefeld auf den Weg gebracht hatte. Mit dem Programm unterstützt die Gemeinde Studierende mit einem monatlichen Zuschuss. Im Gegenzug müssen sich die Empfänger dazu verpflichten, nach dem Abschluss mindestens fünf Jahre in Steinhagen zu praktizieren. Bisher gab es kein Interesse an dem Stipendium. &bdquo;Jetzt ist zum ersten Mal ein Antrag für das Stipendium gestellt worden“, berichtet Bürgermeisterin Sarah Süß. &bdquo;Es handelt sich um eine Person, die aus unserer Region stammt und Interesse hat, sich hier auch als Arzt niederzulassen.“

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