Kirche

Aramäische Gemeinde im Kreis Gütersloh erhält besonderen Besuch – das steckt dahinter

Mit 140 geladenen Gästen feiern Aramäer im Kreis Gütersloh einen Festakt. Mit dabei ist ein Erzbischof der Syrisch-Orthodoxen Kirche von Antiochien in Deutschland.

Augin Yalcin (v.l.), Dechant Isa Acar aus Gütersloh, Dechant Samuel Gümüs aus Herne und Pfarrer Marco Beuermann schauen zu, wie Kristina Imran zur Bekräftigung ihres Glaubens das Kreuz küsst, das Erzbischof Mor Philoxenus Mattias Nayis ihr reicht. Sie ist die Nichte von Isa Imran, der damals das Gebäude an der Warte gekauft hat, und Mitglied im Kirchenvorstand. | © Andreas Frücht

Marion Pokorra
30.08.2025 | 30.08.2025, 10:00

Rheda-Wiedenbrück. Vor 40 Jahren wurde die Kirchengemeinde St. Johannes Apostel in Rheda-Wiedenbrück gegründet. Das feierte sie mit 140 geladenen Gästen bei einem Festakt. Begrüßt wurde auch Mor Philoxenus Mattias Nayis, Erzbischof der Syrisch-Orthodoxen Kirche von Antiochien in Deutschland. Er dankte besonders Pfarrer Aziz Esen, der vom ersten Tag an bis heute dafür sorge, dass die Gemeinde wachse.

Die gründeten damals 35 Familien. Heute zählt die Gemeinde 325 Familien. Aus ihrer ursprünglichen Heimat Mesopotamien waren die Christen geflohen oder vertrieben worden. Viele kamen in den als Gastarbeiter auf der Suche nach einer besseren Zukunft und dem Wunsch, ihre Religion frei ausüben zu können.

In Gütersloh arbeiten sie bei Bertelsmann oder Miele, fanden Wohnungen in Rheda-Wiedenbrück und waren in der Möbelindustrie tätig. „Hier erlebten sie Wärme und Gastfreundschaft“, berichtet Augin Yalcin, Religionspädagoge. „Mein Kompliment dafür an Westfalen.“

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Gründungsmitglied dankt „dem Land, das uns aufgenommen hat“

Unter dem Motto „Wenn ihr einander liebt“ (Johannes 13:35) wurde der Kirchenvorstände erinnert. Gedankt wurde ihnen für ihre Visionen, ihren Mut, ihre Tatkraft, ihre Aufopferung und ihren Blick für die kleinen und großen Aufgaben.

Aus dem Gebäude, einst genutzt als Warenhaus, Kino und Möbellager, wurde 1987 das Gotteshaus der vor 40 Jahren gegründeten Gemeinde St. Johannes Apostel der Syrisch-Orthodoxen Kirche. - © Andreas Frücht
Aus dem Gebäude, einst genutzt als Warenhaus, Kino und Möbellager, wurde 1987 das Gotteshaus der vor 40 Jahren gegründeten Gemeinde St. Johannes Apostel der Syrisch-Orthodoxen Kirche. | © Andreas Frücht

„Sie haben unsere Gemeinde gegründet und am Laufen gehalten“, sagte Cibrayel Cetin zur Begrüßung. Erfüllt von der Sehnsucht nach einem Ort, der ihnen Halt gebe, „haben unsere Eltern und Großeltern hier eine neue Heimat gefunden“, sagte Nazer Isleyen, Kirchenratsvorsitzender.

Eliyo Cetin, damals eines der Gründungsmitglieder, dankte „dem Land, das uns aufgenommen und es uns erlaubt hat, in Frieden und Freiheit zu wachsen“. Die Aramäer hätten dank des Grundgesetzartikels 16, der politisch Verfolgten Asyl in der Bundesrepublik gewährt, in Rheda-Wiedenbrück Schutz gefunden.

Gotteshaus ist mittlerweile spirituelles Zuhause geworden

„Er ist mehr als ein rechtlicher Rahmen, für aramäische Christen ist er ein rettender Hafen.“ Hier lebten sie ihre Kultur und seien der neuen Heimat gegenüber offen. „Integration bedeutet nicht den Verlust der Identität, sondern das Zusammenwachsen zu einer neuen Stärke“, so Eliyo Cetin. Das Gotteshaus an der Warte, so wie auch alles andere finanziert aus Spenden der Gemeinde, sei heute ein spirituelles Zuhause.

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Zuvor diente das Gebäude als Warenhaus, Kino und Möbellager. Beim Räumungsverkauf dort wollte Isa Imran, damals Kirchenvorstand, Sofa und Tisch kaufen. „Interessehalber fragte er, was aus dem Gebäude wird, und saß dann im Büro des Besitzers“, erzählt Augin Yalcin. Die Herren einigten sich schnell, hätten mündlich einen Kaufvertrag geschlossen. Geweiht wurde die Kirche 1987. Bis dahin feierten die Aramäer Gottesdienst in der evangelischen Kreuzkirche und in den katholischen Kirchen St. Aegidius und St. Pius.

„Wir wurden in Rheda-Wiedenbrück nicht nur geduldet, sondern aufgenommen, geachtet und geschätzt“, sagte Aziz Esen. Ohne die Unterstützung der Schwesterkirchen, ohne die ökumenische Verbundenheit, die seit 40 Jahren in Wiedenbrück gelebt wird, „wäre der Erfolg nicht möglich gewesen“, so der Pfarrer.

Pfarrer war bei Dienstantritt überrascht über aramäische Gemeinde

Für die Gemeinde St. Johannes Apostel sei das Johannes-Wort stets ein Kompass gewesen. In vier Jahrzehnten wurden 858 Kinder getauft und 264 Paare getraut. „Das sind heilige Momente, wo Glaube, Liebe und Hoffnung konkret geworden sind.“

Über die Liebe sprach auch Pfarrdechant Reinhard Edeler. Er erinnerte an die „absolute Apokalypse“ in Deutschland vor über 80 Jahren. Noch immer „behaupten Diktatoren, sie können Liebe machen, den Himmel auf die Erde holen, doch es ist die Hölle - die haben auch die Aramäer erlebt“.

Zum Priester wurde Pfarrer Aziz Esen im Kloster St. Ephrem der Syrer in Glane/Niederlande von Erzbischof Mor Julius Jeshu Cicek, Bischof für Deutschland und die Benelux-Länder, geweiht. - © Gemeinde
Zum Priester wurde Pfarrer Aziz Esen im Kloster St. Ephrem der Syrer in Glane/Niederlande von Erzbischof Mor Julius Jeshu Cicek, Bischof für Deutschland und die Benelux-Länder, geweiht. | © Gemeinde

Auf die Gemeinsamkeiten der Christinnen und Christen als Kinder Gottes verwies Pfarrer Marco Beuermann. Er gestand, bei seinem Dienstantritt in der evangelischen Gemeinde vor 24 Jahren überrascht gewesen zu sein, hier eine aramäische Gemeinde vorzufinden. Die vielen ökumenischen Kontakte lernte er schnell zu schätzen. Beuermann nannte etwa die Sternsingeraktion. „Es ist wohl in Deutschland einmalig, dass drei Pfarrer von drei Konfessionen als Heilige Drei Könige unterwegs sind.“

Bürgermeister zeigt sich beeindruckt vom Zusammenhalt der Aramäer

Persönliche Erinnerungen teilte Bürgermeister Theo Mettenborg. 2009 - wie heute im Wahlkampfmodus - sei er zum Hausbesuch bei Pfarrer Aziz Esen gewesen. „Er hat mir seinen Segen gegeben, was für mich eine höhere Bedeutung hatte als das Amt, das ich bekleide.“

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Mettenborg zeigte sich auch beeindruckt vom Zusammenhalt, dem Gemeindesinn und dem tief verwurzelten, gelebten Glauben der Aramäer in der Diaspora. „Sie bereichern unser gesellschaftliches Zusammenleben“, dankte er den Mitgliedern der Gemeinde St. Johannes Apostel, dass sie ihre „Geschichte und Tradition mit uns teilen und Verantwortung in der Stadt übernehmen“.

Dass Religionsfreiheit ein Menschenrecht sei, betonte Ralph Brinkhaus, CDU-Bundestagsabgeordneter. Als Nachbar sehe er Pfarrer Aziz Esen morgens oft, „wenn er schnell zu seiner Kirche radelt“. Brinkhaus nannte die 40 Jahre aramäische Gemeinde bemerkenswert und „einen religiösen Leuchtturm in der Stadt“. Bezogen auf das Johannes-Wort „Wenn ihr einander liebt!“ fragte er, „wie unsere Welt wohl aussehen würde, wenn alle dieses Motto beherzigen würden“.