Kreis Gütersloh/Halle. „Wir Erzieherinnen sind doch das letzte Glied in der Kette und gar nicht geschützt", sagt Elke Günner. Die Leiterin der städtischen Kita Beckmanns Hof, die sich auch um die Tagesmütter in Halle kümmert, zeigt wenig Verständnis für die vom Land beschlossene Rückkehr aller Kindergartenkinder zum 8. Juni. Während woanders nur ganz langsam gelockert wird, geht es in den Kitas plötzlich von null auf hundert.
Zwar sollen die einzelnen Gruppen voneinander getrennt bleiben und die gebuchte Betreuungszeit wird jeweils um zehn Stunden verringert, aber unterm Strich werden sich in zwei Wochen in vielen Einrichtungen rund 20 Kinder und drei Erzieherinnen einen Raum von rund 50 Quadratmetern teilen.
"Abstand halten ist doch gar nicht möglich"
„Abstand halten ist doch gar nicht möglich", sagt Günner. Als Erzieherin sei man nun einmal ganz nah dran am Kind und gerade bei den U 3-Kindern könne man nicht auf die von Land und Bund gewünschte Distanz gehen. „Wie soll man denn ein Spiel spielen, wenn man sich zwei Meter auseinandersetzt?", fragt Günner rhetorisch.
Sie sehe daher die Öffnung der Betreuung mit nur noch minimalen Einschränkungen sehr negativ. Sie hätte sich einen Fortbestand der derzeitigen Notbetreuung bis zu den Sommerferien gewünscht.
Entlastung der Eltern auf dem Rücken der Erzieher
Eine Meinung, die auch im Kollegenkreis vorherrscht, denn alle seien sich einig, so Günner, dass die Entlastung der Eltern nun auf dem Rücken der Erzieherinnen ausgetragen werde. Hinzu komme noch, dass man personell unterbesetzt sei, da fünf Erzieherinnen im 16-köpfigen Team ein ärztliches Attest haben und somit wohl auch in den kommenden Wochen in der Betreuung nicht einsetzbar sind.
Kommentar
Den Preis für die vielen glücklichen Eltern zahlen einige wenige Erzieherinnen
Wer in seinen Döner beißen wollte, muss bis vor kurzem erst 51 Meter weit vom Spieß weglaufen, im Freibad gibt es Einbahnstraßenschwimmen und sechsjährige Grundschüler dürfen ihr Klebebandquadrat nicht verlassen – es gibt derzeit Regeln, bei deren Vorstellung wohl jeder noch vor vier Monaten den Kopf geschüttelt hätte. Aber nun sind sie da und vermutlich muss es auch mitunter fragwürdige Einzelvorschriften geben, um das sinnvolle Gesamtkonzept in den Köpfen der meisten Bürger verankern zu können.
Wem das alles zu weit geht, der muss halt nach Thüringen auswandern oder ganz schnell eine Erzieherausbildung anstreben. Denn sowohl in dem links neben Sachsen liegenden Freistaat als auch in den Kitas gibt es noch Narrenfreiheit. Vor einer Woche hat NRW-Familienminister Joachim Stamp das Flehen vieler Eltern erhört. Die Betreuung zu Hause kostet oftmals Nerven und Urlaubstage.
Die Zahlen der Coronastatistik aufpeppen
Bisher half vielen die Notbetreuung dabei, wieder arbeiten gehen zu können. Zukünftig muss aber niemand mehr nachweisen, dass der Chef ihn dringend braucht. Jeder Erziehungsberechtigte kann sein Kind in der Kita abgeben, unabhängig von einer dringenden Notwendigkeit. Den Preis für die vielen glücklichen Eltern zahlen einige Erzieherinnen, die nun bessere Chancen haben, die Zahlen der Coronastatistik aufzupeppen.
Ohne frühkindliche Bildung werde, so Stamp, den Kindern Chancen genommen. Wer also weiterhin schon jetzt dem Sprössling das „Abi-2033-Shirt" kaufen möchte, dürfte das gesundheitliche Risiko der bei vielen eh nur als Kindergartentanten bekannten Pädagoginnen ohne zu Zögern in Kauf nehmen. Wer will schon ein verblödetes Kind, nur weil dieses nur zwei Jahre und acht Monate in der Kita war. Ich selbst war nur zwei Jahre in der Kita. Was hätte also aus mir noch werden können ...?!
Kurios oder total absurd?
Es ist schon kurios, dass derzeit gerade die seit Jahren unterbezahlten Jobs so bedeutungsvoll sind. Der Wahlkampf hat halt seine eigenen Gesetze. Also Augen zu und durch. Wird schon schiefgehen. Kinder sollen ja eh nicht so ansteckend sein. Karneval in Heinsberg und Apres-Ski-Partys in Ischgl – das sind doch die wahren Gefahren.
Vielleicht auch werdende Väter im Kreißsaal, Geschwister am Urnengrab oder Singen in der Kirche. Aber 50 herumwuselnde Zwerge in Kindergärten? Ne, Quatsch. Die doch nicht! (Uwe Pollmeier)