Ralph Brinkhaus aus dem Kreis Gütersloh: „Letzte Patrone“ daneben geschossen?

Herr Brinkhaus, Sie haben diese Legislaturperiode als &bdquo;letzte Patrone“ und die vergangene Bundestagswahl als wichtigste Wahl seit Langem bezeichnet. Wie beurteilen Sie die aktuelle Zusammenarbeit in der Regierung? Ralph Brinkhaus: Also, die Zusammenarbeit läuft besser als gedacht. Ich glaube, Friedrich Merz und Lars Klingbeil verstehen sehr gut, dass eine Zusammenarbeit und ein guter Umgang miteinander unerlässlich sind. Bis auf die Wahl der Verfassungsrichter hat das bisher auch sehr gut funktioniert. Das ist positiv, denn die Menschen erwarten von uns, dass wir arbeiten und keinen Streit. Mehr dazu: Klare Worte von Ralph Brinkhaus aus dem Kreis Gütersloh: Die &bdquo;wichtigste Wahl“ seit Langem Im Wahlkampf ist die CDU mit Themen wie dem strikten Einhalten der Schuldenbremse angetreten, was dann relativ schnell abgeräumt wurde. Wie gehen Sie als Abgeordneter damit um, wenn Positionen, für die Sie gekämpft haben, kurze Zeit später revidiert werden? Man muss klar zwischen den Bundeswehrausgaben und dem Sondervermögen unterscheiden. Die Erhöhung des regulären Budgets für die Bundeswehr ist angesichts der aktuellen Lage in der Ukraine nachvollziehbar und findet breite Akzeptanz. Jedoch bin ich über das Sondervermögen von 500 Milliarden Euro zutiefst unglücklich. Denn viel Geld führt dazu, dass der notwendige Druck nachlässt, grundlegende Reformen auf den Weg zu bringen. Und wenn wir jetzt nicht beginnen, den Staat grundlegend zu reformieren, dann haben wir, um bei dem Bild von oben zu bleiben, die &bdquo;letzte Patrone“ daneben geschossen. Außerdem sagten Sie vor der Bundestagswahl, dass die neue Regierung wieder Politik für die &bdquo;stinknormalen Leute“ machen muss. Die Stromsteuerentlastung wäre genau so etwas gewesen. Jetzt werden nur bestimmte Unternehmensbranchen, nicht aber Privathaushalte entlastet. Warum? Das ist eine relativ einfache Geschichte. Wir sind eine Drei-Parteien-Koalition. Die CSU hat darauf bestanden, dass die Mütterrente kommt. Und dann war das mit dem Geld für die Stromsteuer schwierig. Die CSU war in der Sache knallhart. Das ist deren Preis für die Regierung gewesen. Ich freue mich bei der Mütterrente für jede Mutter, aber in der Priorisierung wäre es mir wichtiger gewesen, eine Entlastung für alle über die Stromsteuer durchzusetzen. Ein weiterer Punkt ist die Entlastung von Unternehmen, beispielsweise durch die Senkung der Unternehmenssteuer ab 2027. Welchen Nutzen hat das für den &bdquo;stinknormalen“ Bürger? Da geht es einfach darum, dass wir vernünftige Rahmenbedingungen für Unternehmen schaffen. Das ist mir besonders wichtig, gerade für den Kreis Gütersloh. Wir sind ein industriestarker Kreis. Wir stehen im internationalen Standortwettbewerb. Steuern sind ein Standortfaktor, ein zweiter großer Standortfaktor ist Regulierung und Bürokratie. Deswegen arbeiten wir auch an beidem, damit Unternehmer auch künftig sagen, dass sie die nächste Investition lieber im Kreis Gütersloh als in Rumänien, Polen oder den USA tätigen. Wird das auch eine positive Auswirkung auf das Wirtschaftswachstum haben? Das ist der Plan. Gerade hier im Kreis Gütersloh, wo wir sehr viele verantwortungsvolle Unternehmerinnen und Unternehmer haben, ist jeder Euro, der im Unternehmen bleibt, gut. Es führt dazu, dass investiert wird. Und Investitionen sichern Arbeitsplätze. Deswegen haben wir ja auch nicht mit der Senkung von Steuern, sondern mit der Erhöhung der Abschreibungsmöglichkeiten auf Investitionen begonnen. Die Ökonomen Sebastian Gechert und Philipp Heimberger haben in einer Metastudie untersucht, was Steuernachlässe für Unternehmen gesamtwirtschaftlich tatsächlich bringen. Dazu haben sie insgesamt 42 Studien ausgewertet. Das Ergebnis: Eine Senkung der Unternehmenssteuer um zehn Prozentpunkte würde demnach das jährliche Wirtschaftswachstum um lediglich 0,2 Prozentpunkte erhöhen. Wie bewerten Sie diese Erkenntnisse? Zum Thema Steuersenkungen gibt es in den Wirtschaftswissenschaften unterschiedliche Auffassungen. Führende Wirtschaftsforschungsinstitute sind jedenfalls der Meinung, dass die Unternehmenssteuern am Standort Deutschland zu hoch sind. Wir gehen davon aus, dass Steuersenkungen einen erheblichen psychologischen Effekt haben können. Das ist auch etwas, was momentan ganz gut läuft. Die Wirtschaft bekommt langsam wieder etwas mehr Zuversicht. Das hat man auch beim Investitions- und -Wirtschaftsgipfel im Kanzleramt gesehen. Kommen wir zu den jüngsten Streitigkeiten in der Koalition. Harmonisch waren die vergangenen Wochen nicht. Unter anderem sorgt die Maskenaffäre für Unmut. Sie haben 2021, als Fraktionsvorsitzender, mit Herrn Dobrindt eine Ehrenerklärung verfasst, die jeder Abgeordnete unterschreiben sollte. Darin fordern Sie eine lückenlose und transparente Aufklärung der Geschehnisse. Angesichts der jüngsten Debatten um Herrn Spahn - sollte es einen Untersuchungsausschuss zu der Sache geben? Es sollte alles offengelegt werden, was damals passiert ist. Wenn die Erkenntnisse des Untersuchungsberichtes von Frau Sudhoff nicht reichen oder angezweifelt werden, dann sollte man da noch tiefer nachbohren. Ich denke, das ist auch im Interesse von Jens Spahn. Wir haben die dazu nötigen Instrumente, wie die von uns beschlossene Enquete-Kommission zur Aufarbeitung aller Corona-Themen. Ein zusätzlicher Untersuchungsausschuss bringt da wenig Mehrwert. Inwiefern war es hilfreich oder gerade nicht hilfreich, dass der Bericht, der an die Abgeordneten ging, teilweise geschwärzt war? Also am Ende des Tages ist es das Gute in Deutschland, dass die wichtigen Dinge öffentlich werden. Das spricht für die Qualität unserer Demokratie. Insofern war das Schwärzen bei diesem Bericht nicht hilfreich. Ein anderes Thema, das hohe Wellen geschlagen hat, war die Debatte um Frau Brosius-Gersdorf und ihre Nominierung zur Richterin am Bundesverfassungsgericht. Wie haben Sie diese Auseinandersetzung erlebt? Der erste Punkt ist, dass das Ganze sehr schlecht gelaufen ist. Denn es ist eigentlich völlig normal, dass Vorschläge für Verfassungsrichter aus den einzelnen Parteien auch mal wieder zurückgenommen werden müssen. Auch die Union musste in den letzten 10 Jahren durchaus den einen oder anderen Vorschlag zurücknehmen. Das Ungewöhnliche ist, ist, dass der aus Abgeordneten besetzte Richterwahlausschuss am Montag einem Vorschlag zustimmt - dass es aber dafür am Freitag keine Mehrheit im Plenum gibt. Das ist für die Verlässlichkeit des Parlaments überhaupt nicht gut und das hat die Kandidatin beschädigt. Das war schlecht und das tut mir für Frau Brosius-Gersdorf sehr leid. Zum Thema: Die Farce um Frauke Brosius-Gersdorf: Ein Warnsignal für unsere Demokratie Zweitens muss ich für mich aber auch feststellen: Die ganze Debatte nimmt mir angesichts der Probleme, die wir in Deutschland haben, zu viel Platz ein. Wir haben massive Herausforderungen mit Russland, den Vereinigten Staaten, dem Klimawandel, der Wirtschaft und den sozialen Sicherungssystemen. Und ganz Deutschland, von der Politik bis zu den Medien, beschäftigt sich zwei Wochen lang nahezu ausschließlich mit der schlecht durchgeführten Wahl einer Verfassungsrichterin. Was ich bei aller Bedeutung der Angelegenheit in der Priorisierung für unangemessen halte. Wir müssen wieder lernen, zu unterscheiden, was wichtig und was weniger wichtig ist. Die Debatte um Frau Brosius-Gersdorf wurde stark in sozialen Medien und von rechten bis rechtsextremen Magazinen und Medien befeuert. Jetzt wird sie bedroht. Bedrohungen gehen gar nicht. Das darf nie Teil der politischen Auseinandersetzung werden. Aber unabhängig davon: Diese Art der Kampagnenführung erleben wir häufiger, unabhängig von der politischen Richtung. Es ist leider ein mittlerweile normaler Vorgang, dass bestimmte Angelegenheiten, auch wenn sie einen guten politischen Hintergrund haben, genau durch solche Kampagnen - meines Erachtens im Negativen - befeuert werden. Dies ist keine Sondersituation, die wir jetzt erlebt haben. Wir erkennen es immer daran, wenn viele E-Mails, die wir erhalten, einen sehr ähnlichen Text aufweisen. Lesen Sie auch: &bdquo;Müssen Dinge beim Namen nennen“: Linnemann verteidigt umstrittene Merz-Aussage Haben Sie in der Sache Brosius-Gersdorf auch diese Art von Kampagnen-Massen E-Mails erhalten? Ja, aber solche Kampagnen beeindrucken mich nicht in meiner Entscheidungsfindung. Es ist etwas anderes, wenn mich Leute individuell mit einem persönlichen Text anschreiben oder direkt ansprechen, besonders aus dem Wahlkreis; das nehme ich sehr ernst. E-Mails mit vorformulierten Texten, die die Nutzer dann durch einfaches &bdquo;Kopieren und Einfügen“ an alle Abgeordneten mal schnell versenden können, sind oft sogar gut gemeint, entwerten aber das Anliegen. Es fällt auch zunehmend schwerer, zu beurteilen, wer uns da schreibt, ein Mensch oder eine Maschine. Welches Thema wäre Ihnen lieber gewesen, um sich damit zu beschäftigen, anstatt mit der Debatte um Frau Brosius-Gersdorf? Ein ganz klares Thema, das die Menschen bewegt, ist der Wunsch nach einem modernen, handlungsfähigen und weniger bürokratischen Staat. Dies betrifft alle Ebenen. Das ist sowohl für die Wirtschaft relevant, die sich über zu viel Bürokratie beklagt. Das gilt aber auch für den Sozial- und Gesundheitsbereich, der ebenfalls stark davon betroffen ist. Es ist ein Thema, das alle Menschen berührt und beschäftigt. Zu Recht besteht die Erwartung, dass der Staat einfacher, digitaler und schneller wird. Und die Menschen müssen sehen und spüren, dass in den nächsten Jahren auf allen Ebenen - von der Kommune bis zum Bund - ernsthaft daran gearbeitet wird. Dann bin ich auch überzeugt, dass wir Vertrauen zurückgewinnen können. Und Vertrauen in den Staat ist der beste Schutz für die Demokratie.

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