Meinung

Desaster bei Richterwahl: Wer schützt die Demokratie vor der Union?

Die Mehrheit der Deutschen will Frauke Brosius-Gersdorf, aber die CSU schlägt vor, alle Kandidaten auszutauschen. Wer so Politik macht, gefährdet die Demokratie, sagt unser Autor.

Jens Spahn (CDU), Vorsitzender der Unions-Fraktion im Bundestag. | © picture alliance/dpa

Christian Lund
24.07.2025 | 24.07.2025, 17:00

Demokratie lebt vom Vertrauen in ihre Verfahren – doch in diesen Tagen erleben wir ihren kalkulierten Missbrauch durch eine politische Klasse, die gelernt hat, wie man Verantwortung abschüttelt und Schuld verteilt. Im Zentrum: die Union und besonders Jens Spahn.

Die bisher gescheiterte Wahl von Frauke Brosius-Gersdorf ans Bundesverfassungsgericht ist ein politisches und moralisches Trauerspiel. Eine hoch qualifizierte Juristin – mit einem in Fachkreisen unstreitigen festen Kompass in Fragen von Grundrechten und Rechtsstaatlichkeit – wird durch eine politisch orchestrierte Kampagne demontiert. Nicht etwa wegen fachlicher Mängel, sondern weil sie unbequem war. Weil sie zu weit links sei. Oder zu fortschrittlich.

Wie reagiert die Union auf dieses demokratische Armutszeugnis? Ein Vorschlag, der an Zynismus kaum zu überbieten ist, kommt aus der CSU. Alexander Hoffmann, Chef der CSU-Abgeordneten im Bundestag, sagt: „Wir müssen aus dieser Situation rauskommen. Da ist Gelassenheit angesagt, da ist Sachlichkeit angesagt und eben auch die Überlegung, ob es gelingen kann über ein neues Personalpaket.“

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Jens Spahn verschwindet fast spurlos aus der Debatte

Ja, tauschen wir beide Kandidatinnen und den dritten Kandidaten aus – und kehren zur Tagesordnung zurück. Bei der Union: keine Verantwortung, kein Wort der Selbstkritik, kein Hauch von Demut. Ausgerechnet Jens Spahn, einer der Architekten dieses Fiaskos, verschwindet fast spurlos aus der Debatte. Nur beim Fraktionsvorsitz scheint ein „neues Personalpaket“ tabu zu sein – obwohl genau dort das eigentliche Problem sitzt.

Spahn, der politisch durch Maskendeals und fragwürdige Geschäftsbeziehungen in der Corona-Zeit angeschlagen ist, zeigt erneut, wie man sich mit politischem Instinkt und Netzwerk immunisiert. Dass es ausgerechnet ihm gelungen ist, nach dem vorläufigen Scheitern dieser Wahl keinen weiteren politischen Schaden zu nehmen, ist fast bewundernswert – auf zynische Weise. Dass ihm aus der eigenen Fraktion kein Gegenwind ins Gesicht bläst, zeigt, wie tief diese politische Kultur der Verantwortungslosigkeit dort verankert ist.

Besonders irritierend: Brosius-Gersdorf sprach sich 2024 in einer TV-Sendung für ein mögliches AfD-Verbotsverfahren aus – sofern „es genügend Material gibt“. Eine rechtsstaatlich begründete Haltung, die sie in rechten Kreisen zum Feindbild machte. Warum blockiert gerade die CDU eine Kandidatin, die klar gegen Verfassungsfeinde Position bezieht? Was sagt das über eine Partei, die sich als Schutzmacht der Demokratie versteht?

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Ein grundlegendes Missverständnis

Die Kritik an Brosius-Gersdorf speist sich auch aus dem Vorwurf, sie vertrete zu klare politische Meinungen und sei deshalb als Verfassungsrichterin ungeeignet. Dahinter steht ein grundlegendes Missverständnis über die Rolle des Bundesverfassungsgerichts: Selbstverständlich bringen Richterinnen und Richter juristische Überzeugungen und weltanschauliche Haltungen mit – das ist unvermeidlich. Entscheidend ist aber lediglich, ob sie ihre Urteile auf Grundlage des Grundgesetzes fällen.

Vertrauen in die Justiz: Bevölkerung steht hinter Brosius-Gersdorf

Dabei ist die Stimmung im Land eindeutig: Laut einer Umfrage des Markt- und Meinungsforschungsinstituts Forsa sprechen sich 57 Prozent der Befragten gegen einen Rücktritt von Brosius-Gersdorf aus. Lediglich 24 Prozent sind der Ansicht, die Rechtsprofessorin solle ihr Amt freiwillig niederlegen. 19 Prozent machten keine Angabe. Die Menschen durchschauen, was hier passiert ist. Sie sehen, dass nicht Brosius-Gersdorf das Problem ist, sondern der Umgang mit ihr.

Wer nun noch glaubt, durch einen Austausch des Personals sei das Thema erledigt, unterschätzt die Intelligenz der Öffentlichkeit und gefährdet künftige Richterwahlen. Warum sollten sich hervorragende Juristinnen und Juristen künftig diesem Spiel aussetzen, wenn man ihnen jederzeit ein Etikett anhängen kann – und sei es nur aus parteipolitischem Kalkül?

Demokratie am Scheideweg: Kulturwandel oder weiterer Vertrauensverlust?

Diese Richterwahl ist kein lapidarer Betriebsunfall. Sie ist Ausdruck eines Systems, in dem Parteitaktik über Gemeinwohl gestellt wird, in dem Menschen verheizt werden, um Fraktionsdisziplin aufrechtzuerhalten, und in dem man glaubt, Verantwortung sei eine rhetorische Figur und kein moralischer Imperativ.

Wer schützt die Demokratie vor einer Union, die immer wieder zeigt, wie sie mit ihr umgeht, wenn es unbequem wird? Die Brosius-Gersdorf-Episode ist kein Ende – sie ist ein Anfang. Entweder für einen Kulturwandel. Oder für eine fortschreitende politische Erosion, bei der das Vertrauen in Institutionen zerfällt. Und mit ihm das Fundament unserer Verfassung. Wehret diesen Anfängen!