Gütersloherinnen behaupten sich in männerdominierter Politik: Das sind ihre Tricks

Gütersloh. Die neue Bundestagspräsidentin Julia Klöckner räumte vor wenigen Tagen ein, dass sich die Gesellschaft in ihrer Breite nicht komplett im neugewählten Parlament widerspiegelt. &bdquo;Die Gesellschaft ist in ihrer Vielfalt nicht gänzlich abgebildet“, sagte die CDU-Politikerin öffentlich. &bdquo;Und dass wir so wenig Frauen haben, das ist nicht nur bedauerlich - ich halte das auch für einen Nachteil bei der Gestaltung von Politik“, fügte Klöckner hinzu. Frauen machen weniger als ein Drittel der 630 Abgeordneten im Bundestag aus. Das ist nochmals etwas weniger als in der vorherigen Legislaturperiode. Mit Sorge blicken heimische Politikerinnen auf die Entwicklung in Berlin. Dass Frauen erfolgreich Politik machen, daran gäbe es wohl keinen Zweifel und ein allerbestes Beispiel. &bdquo;Was das Grüne Führungs-Duo Britta Haßelmann und Katharina Dröge beim Sondervermögen ausgehandelt haben, war sensationell“, stellt Elisabeth Buschsieweke als ehemalige CDU-Ratsfrau fest. &bdquo;Ich habe damals geglaubt, wenn ich irgendwann mit der Politik aufhöre, liegt der Frauenanteil gleichauf mit den Männern.“ Frauenanteil im Gütersloher Stadtrat liegt bei 39 Prozent Elisabeth Buschsieweke ist 87 Jahre alt. &bdquo;Als ich 1989 in den Rat der Stadt Gütersloh kam, waren in der CDU-Fraktion drei Frauen und 20 Männer. Das war nicht vergnügungssteuerpflichtig.“ Insgesamt lag der Anteil der Frauen im Stadtrat damals bei 23,5 Prozent. Aktuell liegt er bei 39 Prozent. Im September finden die nächsten Kommunalwahlen statt. Dann sortiert sich der Stadtrat neu und die Entwicklung ist bislang nicht absehbar. Ratsfrau Gabriele Diekötter (Bündnis 90/Grüne) wird aus Altersgründen zum Beispiel nicht erneut kandidieren, &bdquo;es sollen jetzt die Jüngeren ran“. Aber wird es gelingen, ausreichend Frauen für die Politik zu begeistern? Wie können Frauen mehr Einfluss in der Politik gewinnen? Und wie lassen sich politische Tätigkeiten mit den Herausforderungen von Betreuungsaufgaben und Beruf vereinbaren? Um all diese Fragen zu klären, hatte die VHS in Zusammenarbeit mit der Gleichstellungsstelle der Stadt Gütersloh zu einem Tischgespräch &bdquo;Frauenstimmen“ geladen. Die ehemalige Bürgermeisterin Maria Unger (SPD), die ehemalige Ratsfrau Elisabeth Buschsieweke (CDU) und Ratsfrau Gabriele Diekötter (Grüne) waren gekommen, um von ihren persönlichen Erfahrungen und ihrem Weg in die Politik zu berichten. Güterslohs Alt-Bürgermeisterin: &bdquo;Gerade Frauen können viel bewegen“ &bdquo;Politik fängt unten an“, sagt Buschsieweke. Kita, Schule, Radwege - alles, was das eigene Leben betrifft, daraus entwickelt sich Politik. Und in der Tat ist der Elternbeirat oder die Schulpflegschaft für viele Frauen die Eingangstür. Das Engagement für die eigenen Kinder politisiert. &bdquo;Bei mir war es eine Fußgängerampel zur Schulwegsicherung über die Spexarder Straße“, erinnert sich Maria Unger mit einem Schmunzeln. Sie zettelte eine Bürgerinitiative an. Weitere Aktionen sollten folgen. &bdquo;Irgendwann erkennt man, dass man in den Stadtrat muss, wenn man wirklich etwas bewegen will.“ Und gerade die Frauen, davon ist Maria Unger überzeugt, könnten viel bewegen. Lesen Sie auch: Maria Unger – Güterslohs Bürgermeisterin der Herzen &bdquo;Nirgends ist man so nah an der Politik wie im Lokalen“, sagt Gabriele Diekötter. Jeder könne sich ausprobieren und Erfahrungen sammeln. Die Einrichtung des Frauenhauses, die Verhinderung der Müllverbrennugsanlage, die Gründung der Weberei oder der verhinderte Abriss des Parkbades - wenn Diekötter zurückblickt, hat es viele einschneidende Ereignisse in der Stadtentwicklung Güterslohs gegeben, die sie als Politikerin maßgeblich begleitet hat. Warum fehlen Frauen in verantwortlichen Positionen? Wenn Lokalpolitik so viel Spaß macht, warum fehlen dann die Frauen in den verantwortlichen Positionen? &bdquo;In die Politik reinzurutschen ist heute nicht mehr das Problem“, sagt Marianne Kohlmeyer (SPD), Mitbegründerin des Politischen Frauenclubs von 1970 bis 1974 und ehemalige stellvertretende Bürgermeisterin Güterslohs. &bdquo;Die Parteien buhlen allesamt um die kompetenten Frauen.“ Vielmehr geht es um Vereinbarkeit von Alltagsaufgaben. &bdquo;Ich habe den großen Zeitaufwand erkannt und bin davor zurückgeschreckt. Man muss es leisten können“, erklärt Antje Gehring, die von einer Ratskandidatur für die SPD vor einigen Jahren abgesehen hat. Fraktionssitzungen jeden Mittwochabend, Ausschusssitzungen um 17 Uhr, Ratssitzungen freitags um 17 Uhr, dazu die zahlreichen Sitzungsvorlagen, die es zu studieren gilt. &bdquo;Noch schlimmer ist der Kreistag. Da beginnen die Sitzungen nachmittags um 15 Uhr“, und dass die Arbeitgeber die gewählten Vertreter freistellen müssen, helfe da nur begrenzt, findet Martina Schwartz-Gehring. Sie war für die CDU aktiv und erinnert sich an Zeiten, als der Kreistag samstags getagt hat. &bdquo;Das war für viele Berufstätige gut, aber die Verwaltung hat sich beschwert.“ Maria Unger hat derweil in der Hauptsatzung nachgelesen. &bdquo;Wer Kinder unter 14 Jahren hat, kann den Betreuungsaufwand während der Sitzungen finanziell geltend machen.“ Der Babysitter wird also bezahlt. Maria Buschsieweke hat einen weiteren Tipp: &bdquo;Man muss aufpassen, dass man nicht zu viele Ausschüsse aufgedrückt bekommt. Frauen laufen schnell Gefahr, alles zu übernehmen, was die Männer nicht machen wollen.“ Sind Frauen also selbst Schuld? Buschsieweke hat einst eine Kampfabstimmung riskiert, um in den Bauausschuss zu kommen. Sie hat gewonnen und war damit die erste Frau überhaupt, die es in einem Gütersloher Bauausschuss gab. Rückblickend gibt sie zu, dass sie in ihren ersten Reden im Ratssaal angestrengt und nervös war, beim Blick in die vielen grinsenden Gesichter. &bdquo;Ich habe mich zum Rhetorik-Kurs angemeldet“, fortan lief’s besser. Sind Frauen also selber Schuld, wenn sie sich ihre Welt von Männern gestalten lassen und die Chance nicht nutzen, politisch mitzumischen? &bdquo;Schuld möchte ich das nicht nennen“, sagt Elisabeth Buschsieweke, &bdquo;man braucht Zutrauen, sonst schafft man es nicht. Wenn man eine Meinung hat, die auf viel Widerspruch stößt, dann braucht es ein dickes Fell, um das auch mal auszuhalten.“ Buschsieweke ist Trägerin des Bundesverdienstkreuzes und hat es in den vergangenen Jahren immer wieder geschafft, Frauen in die Politik zu holen. &bdquo;Nicht immer in die CDU, aber das ist egal. Wir Frauen sind nicht so parteigebunden wie die Männer.“ Oft genug habe sie früher mit Maria Unger gekungelt, wenn man sich in der Sache einig war. &bdquo;Wir brauchen dringend mehr Frauen in der Politik“, sie liefert die Erklärung gleich dazu: &bdquo;Wir Frauen blicken anders auf Bedürfnisse.“ Gütersloherin zögert, in die Lokalpolitik zu gehen Es gibt gleich mehrere Frauen, die an diesem Abend ihr politisches Interesse offen bekunden. Susanne Mertens (55) ist eine davon. Sie hat schon lange den Wunsch, in die Lokalpolitik zu gehen, aber bisher immer gezögert. &bdquo;Wir Frauen denken oft, wir können das nicht, wir sind nicht perfekt ausgebildet. Heute Abend habe ich gelernt, dass der gesunde Menschenverstand in vielen Bereichen ausreicht. Diesen pragmatischen Ansatz kannte ich nicht.“ Dabei ist die gebürtige Gütersloherin als gewähltes Mitglied im Betriebsrat ihres Arbeitgebers schon aktiv geworden und bringt beste Voraussetzungen mit. Jetzt sucht sie eine Partei, in der sie als sachkundige Bürgerin ihre Erfahrungen anbietet. Und damit der erfolgreiche Gesprächsfaden für alle Frauen im Raum nicht abreißt, plant die Volkshochschule, einen frauenpolitischen Stammtisch ins Leben zu rufen. Mit Blick auf den Bundestag in Berlin laute die Devise nämlich: &bdquo;Jetzt erst recht!“

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