Neu in Gütersloh: Chronisch kranke Frau gründet besondere Selbsthilfegruppe

Gütersloh. Chronische Erkrankungen verändern das Leben grundlegend. Oft ziehen sie sich über lange Strecken des Lebens - können Jahre oder sogar Jahrzehnte bleiben. Den Wiedereinstieg in den Beruf und in den neuen Alltag zu finden, wird dann für viele Betroffene zur Mammutaufgabe. Eine neue Selbsthilfegruppe in Gütersloh will Betroffenen dabei helfen, sich untereinander zu vernetzen und gemeinsam Lösungen zum Meistern des Berufs- und Alltagslebens zu finden. Das Besondere: Bei der Gruppe geht es nicht um eine spezifische Erkrankung. Lesen Sie auch: Völlig aus der Bahn geworfen: Frau aus dem Kreis Gütersloh leidet unter seltener Krankheit Normalerweise sind Selbsthilfegruppen auf ein bestimmtes Krankheitsbild spezialisiert. Es gibt sie für Krebs, Depression oder auch für Parkinson. Als Gründungsmitglied und Ideengeberin Gerlinde Theis aber auf die Suche nach einer Gruppe ging, die sich an Berufstätige oder arbeitssuchende chronisch Kranke aller Art richtet, wurde sie erstmals nicht fündig. Schwankende Leistungsfähigkeit als Herausforderung &bdquo;Ich suchte eine Gruppe, die es so noch nicht gibt“, erklärt sie. So entschied sie sich, gemeinsam mit einer Bekannten selbst eine Gruppe zu gründen. &bdquo;Eine chronische Erkrankung ist eine herausfordernde Management-Aufgabe und auch eine Selbst-Management-Aufgabe“, erklärt Theis. Neben allen Aufgaben des Lebens kommen jetzt noch diverse Besuche bei Ärzten und Psychologen dazu. &bdquo;Hilfesysteme gehen eher in Richtung ’wieder arbeitsfähig machen’ oder in Rente abschieben“, erzählt Theis. Oft haben chronisch Kranke aber mit unberechenbar schwankender Leistungsfähigkeit zu kämpfen. Theis Beruf erfordere viel Konzentration, erklärt sie. Dabei müsse sie durch eine posttraumatische Belastungsstörung immer wieder mit plötzlichen Blackouts zurechtzukommen. Theis weiß, wie schwer der Wiedereinstieg in den Beruf nach langer Erkrankung sein kann. Sie selbst fiel fast zwei Jahre lang aus. Was die Krankenkasse an Hilfe vermittelte, brachte ihr keinen Erfolg. &bdquo;Standardprogramme holen die Leute nicht wirklich ab.“ Ein Arzt sagte der heute 61-Jährigen sogar, dass sie den Wiedereinstieg in ihren Beruf nicht schaffen werde. Trotzdem bewarb sie sich auf eine Stelle, die sie dann auch bekam. Dort entdeckte sie, was ihr half. Chronisch Erkrankte sollen in Gütersloh ermutigt werden Während Psychologen Theis beispielsweise rieten, bei einem Blackout während einer Besprechung kurz den Raum zu verlassen, fand sie heraus, dass dieser Ansatz für sie nicht passt. Geholfen hat hingegen die Unterstützung ihres Vorgesetzten, der die Blackouts einfach durch eigene Worte überbrückte. So lange, bis sie wieder selbst das Wort ergreifen konnte. Mittlerweile hat sich die 61-Jährige selbstständig gemacht. Als sie später an Brustkrebs erkrankte, hielt sie während der Chemotherapie trotzdem Kontakt zu Auftraggebern. Wenn sie genug Kraft hatte, war sie bei Besprechungen weiterhin online dabei. &bdquo;Das war für die Psyche enorm hilfreich“. Theis hofft, mit der neue Selbsthilfegruppe andere chronisch Kranke dazu zu ermutigen, mehr herumzuexperimentieren - um herauszufinden, was ihnen im Alltag und im Beruf hilft oder was ihnen eventuell helfen könnte. Arbeitsfähig trotz psychischer Erkrankung &bdquo;Es geht nicht darum, zu sagen ’ich bin weniger leistungsfähig’“, erklärt Theis. &bdquo;Auch die chronisch Kranken haben noch immer Stärken.“ Es gehe darum, die eigenen Stärken und Grenzen herauszufinden und Mut zur Transparenz zu haben. Dabei sei es egal, ob die Krankheit körperlich oder psychisch ist. &bdquo;Auch mit psychischer Erkrankung kann man durchaus arbeitsfähig sein“, sagt sie. Gleichzeitig gehe es ebenfalls darum, ein Netzwerk zu erschaffen, in dem Betroffene passende Partner finden können, die sich gegenseitig während eines Leistungstiefs unterstützen und auffangen können. Denn auch wenn es um gemeinsame Aktivitäten im Alltag gehe, passen zwei Betroffene derselben Krankheit nicht immer zusammen. Lesen Sie auch: DJ aus dem Kreis Gütersloh besiegt schwere Krankheit und kämpft sich zurück ins Leben Als Folge der Chemotherapie entwickelte die 61-Jährige etwa Polyneuropathie. Mit diesen Nervenschäden an den Füßen könne sie besser auf weichem Grund laufen, bei vielen sei jedoch das Gegenteil der Fall. Viele fühlen sich stattdessen sicherer auf hartem Grund. Spaziergänge seien für sie also nicht mit allem Polyneuropathie-Betroffenen möglich, mit jemandem mit einer anderen chronischen Erkrankung jedoch schon. Theis möchte in Gütersloh ein Netzwerk aufbauen Noch sei dieses Netzwerk nicht da, sagt Theis. Es müsse erst durch Teilnehmer der Selbsthilfegruppe aufgebaut werden. Die Gruppe &bdquo;Im Auf und Ab chronischer Erkrankungen“ findet jeden Monat am zweiten Donnerstag von 18 bis 19.30 Uhr statt. Treffpunkt ist Haus 34 der Tagesklinik des LWL Klinikum an der Herman-Simon-Straße 8. Weitere Informationen gibt die Bürgerinformation Gesundheits- und Selbsthilfekontaktstelle des Kreis Gütersloh (BIGS). Sie ist unter Tel. 05421 852882 erreichbar. Theis hofft, eines Tages auch Arbeitgeber davon überzeugen zu können, chronisch Kranken eine Chance zu geben. &bdquo;Vielleicht findet man dann auch kreative Lösungen für den Fachkräftemangel. Chronisch krank sein bedeutet nicht, dass man weniger qualifiziert ist als vorher.“

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