
Gütersloh. Claas, Miele, Zinkann, Mohn und viele andere bekannte Namen finden sich in der Liste der Schüler und Schülerinnen, die seit Gründung 1851 das Evangelisch Stiftische Gymnasium besucht und hier Abitur gemacht haben. Ganze Familiengenerationen sind hier beschult worden, und wenn man in Gütersloh nach Traditionen sucht, dann wird man gewiss fündig im ESG – nicht zuletzt wegen des legendären Posaunenchors und des Advents- und Türmchenblasens. Diese Schule ist identitätsstiftend.
Wie emotional das Ganze besetzt ist, ließ sich im Bildungsausschuss unlängst erkennen, als die Stadtverwaltung der Politik erstmals die ausgearbeiteten Optionen zur Schulerneuerung präsentierte: Sanierung des vorhandenen Altbaus (mit Türmchen) plus Nebengebäude oder Neubau auf dem Sportplatz. Die prognostizierten Kosten für beide Varianten sind identisch und liegen bei rund 46 Millionen Euro.
Die Stadt favorisiert einen Neubau
Die Stadtverwaltung favorisiert(e) eindeutig die Neubauvariante, weil es bei derartigen Summen sinnvoller erscheint, eine Schule zu errichten, die man den Anforderungen entsprechend von Grund auf neu gestalten kann. Die Quadratmetergröße mancher Klassenräume im ESG sei grenzwertig, es gibt Anforderungen an Fachräume und individuelles Lernen. Neuere Gütersloher Schulen überrunden diesbezüglich das altehrwürdige Gebäude an der Feldstraße.
Das ESG berichtete schon 2014 über den massiven Sanierungsbedarf der Gebäude. Elektro- und Heizungsanlagen sind abgängig, Sanitärbereiche sanierungsbedürftig, Verschattungsanlagen sind großteils defekt, die Räume heizen auf, der Dachstuhl des Hauptgebäudes ist schadstoffbelastet und vieles mehr. Es stellt sich die Frage, warum bei der Länge der Mängelliste sieben Jahre vergehen müssen, bis die Sanierung planerisch in Angriff genommen wird.
Was passiert mit den liebgewonnenen Traditionen?
Bildungsdezernent Henning Matthes hat sein Votum für den Neubau im Einvernehmen mit der Schulleitung öffentlich ausgesprochen. Die Lokalpolitiker reagierten fraktionsübergreifend emotional, denn wenn ein Neubau auf dem Sportplatz entsteht, wird das Hauptgebäude nicht mehr zu Schulzwecken benötigt. Was passiert also mit dem Türmchen oder vereinfacht: Was passiert mit den liebgewonnenen Traditionen?
Die Sorge wurde offen diskutiert. Man darf wohl davon ausgehen, dass sich die Diskussionsrunden nach der Ausschusssitzung auf größere Teile der Stadtgesellschaft ausgedehnt haben. Das Ergebnis: Es passiert nichts. Die Stadt schwenkt um; geht es nach dem neuesten Willen von Verwaltung und Politik, gibt es keinen Neubau. Der Grund? Für eine andere als schulische Nutzung gibt es keine Ideen. Es droht Leerstand. Zudem müsste die Stadt wohl neun Millionen Euro für die Sanierung zahlen. Ob in Anbetracht solchen Aufwandes dafür ein wirtschaftlich tragfähiges Konzept entwickelt werden könne, sei fraglich.
Emotionen sollten aus dem Spiel gelassen werden
Die Begründung macht glauben, dass die gesamte Zukunft des ESG gerade an der Konzeptlosigkeit der Entscheidungsträger hängt. Die wiederum geben vor, weder Zeit für einen Architekten- noch für einen Ideenwettbewerb zu haben. Das führt zu einem Handlungsdruck, der nichts Gutes erahnen lässt. Am Freitag wird der Stadtrat eine Entscheidung fällen. Der ist gut beraten, die Emotionen aus dem Spiel zu lassen und die Bedürfnisse der Schule zurück in den Mittelpunkt zu rücken. Denn die Nachnutzung des Gebäudes ist tatsächlich nur eine Nebenfrage.
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