So schlagen sich die Bundestagswahlkandidaten im Kreis Gütersloh beim Triell

Über Ihre Politik sprechen Sie viel und freizügig, aber unsere Hörer und Leser möchten gerne wissen, was zeichnet Sie als Mensch aus? Elvan Korkmaz-Emre: Dass ich eine totale Team-Playerin bin. Ich gehe nicht verbissen aber sehr engagiert an die Sachen heran und habe den Anspruch, alles sehr gut und richtig zu machen. Dabei gebe ich gerne 150 Prozent. Das macht mein Team manchmal wahnsinnig, aber das ist das, was mich auszeichnet. Für meine Partei und meine Arbeit bin ich Überzeugungstäterin aus Leidenschaft. Sebastian Stölting: Ich sehe mich als einen sehr weltoffenen Menschen, der die Dinge gerne von allen Seiten aus betrachtet. Ich tausche mich mit Menschen aus und profitiere davon, weil ich dabei selbst eine Menge lerne. Das ist für mich ein Ausdruck von Team-Player. Ralph Brinkhaus: Ich bin bodenständig, in der Region verbunden, hartnäckig, zielorientiert und wertegetrieben. Wenn Sie nach der Wahl keinen Platz im Bundestag bekommen, was machen sie dann? Brinkhaus: Ich gehe davon aus, dass ich einen Platz im Bundestag bekomme. Aber ich habe einen Beruf erlernt. Das ist hilfreich. Stölting: Ich arbeite zur Zeit begeistert als Strategieberater und würde das weiter tun. Korkmaz-Emre: Ich will diese Wahl gewinnen und mache mir darüber keine Gedanken. Ich überlege mir erst am 27. September, was für mich ansteht. Gibt es ein Ehrenamt, in dem Sie aktiv waren oder sind? Korkmaz-Emre: Ich war lange in der Kinder- und Jugendarbeit tätig und auf Bundesebene Generalsekretärin des Jugendverbandes. Damit bin ich immer noch verbunden aber nicht mehr aktiv. Stölting: Mein Ehrenamt ist eng verbunden mit meiner Biographie. Ich bin in einer Familie aufgewachsen mit drei Kindern. Wir waren ein Nicht-Akademiker-Haushalt. Wenn man von Zuhause nicht an Abitur und Studium herangeführt wird, ist es oft mühsam, sich in der Studienwelt zu orientieren. Deshalb habe ich mich während meines Studiums bei arbeiterkind.de engagiert. Brinkhaus: Mein Ehrenamt hat eine lange Genese angefangen bei der kirchlichen Arbeit, Hochschulpolitik, Betriebsrat und Kommunalpolitik. Aber seit ich im Deutschen Bundestag bin, habe ich die Mandate auslaufen lassen, weil ich in Berlin zu 150 Prozent gefordert bin. Wie werden Sie mit der Besteuerung von Direktversicherungen umgehen? Nach der Auszahlung dieser Altersvorsorge werden Kosten für Kranken- und Pflegeversicherung fällig. Das schmälert die Summe beträchtlich und wird als massiv ungerecht empfunden. Brinkhaus: Wir haben in dieser Legislaturperiode bereits Änderungen vorgenommen. Ich verstehe, dass die Menschen weitere Änderungen wollen, die sind aber nicht finanzierbar. An dem Thema wird nicht weiter gearbeitet werden. Stölting: Die Frage ist so speziell, dass ich offen gestanden darauf nicht kompetent antworten kann. Korkmaz-Emre: Den Frust der Menschen verstehe ich. Die Verträge wurden auf einer anderen Grundlage damals abgeschlossen. Durch eine nachträgliche Änderung kommt man nun in diese Doppelverbeitragung. Wir haben einen Freibetrag eingeführt, damit helfen wir schon sehr, sehr vielen Menschen. Ich würde mir wünschen, wenn wir hier noch mehr für die Versicherten rausholen könnten. Die Baby-Boomer gehen auch im Kreis Gütersloh in einigen Jahren in Rente. Bleibt es bei der Rente mit 67, wenn Ihre Partei den Bundeskanzler/in stellt? Korkmaz-Emre: Ja. Wir wollen das Renteneintrittsalter auf jeden Fall nicht erhöhen und wir halten fest am Rentenniveau von 48 Prozent. Wir haben diese doppelte Haltelinie festgeschrieben bis 2025. Die nächste Regierung geht das Thema Rente an und wird entscheiden, wie es danach weiter geht. Hier kann man sich auf uns verlassen. Keine Erhöhung des Renteneintrittsalters mit der SPD. Stölting: Das haben wir Grüne ganz ähnlich festgelegt. Darüber hinaus haben wir uns die Frage gestellt, wie wir das Rentensystem grundsätzlich stärken. Wir schlagen vor, dass alle einzahlen in die Rente: Beamte, Abgeordnete, Selbstständige. Das ist für uns zentral. Wir haben eine immer größer werdende demografische Lücke, also müssen wir uns überlegen, wie wir Deutschland zum Einwanderungsland machen, wie mehr Menschen zu uns kommen können, die dann auch einzahlen. Ein zweiter Hebel ist die Überlegung, wie die Beitragssätze erhöht werden können. Hier kommt für uns nur die Arbeitgeberseite in Frage. Zur Zeit geben wir zur Finanzierung von Rentenlöchern unsere Steuergelder hinein. Effektiv ist damit der Arbeitnehmeranteil höher. Brinkhaus: Das Beste, was man für die Rente tun kann, ist, dass die Wirtschaft brummt. Dann sind die Rentenkasse voll, dann haben wir Rentenerhöhung und können entsprechend auszahlen. Deswegen ist der erste Schritt, dafür zu sorgen, dass wir viele gut bezahlte Arbeitsplätze haben. Dann brauchen wir eine Flexibilisierung beim Eintritt in Rente. Das ist momentan zu starr. Jetzt sind wir erstmal bei 67. Nach 2025 werden wir uns alle tief in die Augen schauen müssen, wie wir die Rente weitergestalten werden. Im Kreis Gütersloh gibt es mehr als 7.000 Arbeitsmigranten. Wie soll der Zuzug und die Integration dieser großen Personengruppe künftig geregelt werden? Stölting: Wir haben viele Helfertätigkeiten und Jobs für Unqualifizierte. Also müssen wir mehr Arbeitsplätze für Höherqualifizierte und Qualifikationsmöglichkeiten schaffen. Das sind die Grundlagen, die wir angehen müssen. Wir müssen sehen, wohin sich unsere Wirtschaft im Kreis entwickelt. Danach entscheidet sich, wen wir gezielt anwerben können. Als Gesellschaft müssen wir mehr Bewusstsein dafür entwickeln, dass wir Zuzug brauchen, wenn wir unseren Wohlstand behalten wollen. Und die Unternehmen brauchen ihn auch. Korkmaz-Emre: Wir reden jetzt auf zwei Ebenen. Wir haben im Kreis Gütersloh sehr viele osteuropäische Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer, die zum Beispiel in der Fleischindustrie beschäftigt sind. Das Problem brennt den Kommunen schon länger auf den Nägeln. Mit dem Arbeitsschutzkontrollgesetz haben wir es erstmals geschafft, dass diese Menschen gute Arbeitsbedingungen haben und wir Werkverträge in diesem Bereich endlich überwunden haben. Damit werden andere Effekte einhergehen, zum Beispiel dass man sich eine vernünftige Wohnung leisten kann. Aber gerade beim Spracherwerb hängen wir hintendran. Da müssen wir besser werden. Da müssen wir das Rad auch nicht neu erfinden, sondern einfach mal in die Nachbarländer wie Niederlande gucken, die das besser hinbekommen. Und dann haben wir viele Menschen, die schon hier sind, wo es aber schwierig ist, die akademischen Abschlüsse anzuerkennen. Auch darin müssen wir besser und schneller werden. Wir haben jetzt schon Mangelberufe, die wir weltweit ausschreiben. Aber das System ist zu komplex. Das muss einfacher und auch freundlicher werden. Brinkhaus: Es ist auch Aufgabe der Wirtschaft, dass die hoch qualifizierten Leute – die sie selbst für ihr Unternehmen benötigen – hierhin finden. Es wird immer gesagt, es müssen mehr Leute kommen, aber wir haben eine erhebliche Integrationslast. Den humanitären Zuzug aus 2015 haben wir noch lange nicht integriert, auch nicht im Arbeitsmarkt. Das heißt, damit haben wir noch sehr, sehr viel zu tun. Bevor wir neue Leute anwerben, würde ich diese Potenziale gerne heben. Speziell im Kreis Gütersloh gibt es eine sehr hohe innereuropäische Arbeitsmigration. Das sind die vergessenen Migranten. Ein weißer Fleck. Auch in Brüssel hat niemand auf dem Schirm, welche Probleme und Herausforderungen wir etwa im Sozialbereich dadurch erleben. Das ist meines Erachtens nach eine der hauptpolitischen Herausforderungen, die wir hier im Kreis Gütersloh haben. Das sind 7.000 Menschen – mit Familienangehören werden das noch mehr sein – die neben uns leben, aber nicht mit uns. Deshalb ist es gut, dass wir jetzt eine größere Langfristigkeit in die Arbeitsverträge in der Fleischindustrie haben. Das gibt Planungssicherheit für die Integrationsarbeit. Die ist allerdings auch Aufgabe des Ehrenamtes und nicht nur der Kommunen. Machen Sie mit bei der Menschenkette zur Aktion Seebrücke, die durch ihren Wahlkreis Gütersloh und Rheda-Wiedenbrück führt? Brinkhaus: Ich habe am Samstag von morgens 7 bis abends 21 Uhr eigene Wahlkampftermine. Stölting: Ja, ich bin dabei. Wir machen dafür Pause vom Wahlkampf und sind in der Nähe vom Grünen-Büro. Korkmaz-Emre: Ich bin dabei, auch wenn ich einen vollen Terminkalender habe, weil mir diese halbe Stunde und das Thema wichtig sind. Eine Wohnung im Kreis Gütersloh zu finden, ist schwer. Ein Bauplatz auch. Prognostiziert ist ein Defizit von 6.000 Wohnungen. Unsere Leser und Hörer möchten wissen, welche Maßnahmen planen Sie zur Verbesserung der Situation auf dem Wohnungsmarkt? Korkmaz-Emre: Das ist ein drängendes Thema, das betrifft viele Familien aber auch viele junge Menschen, die gerne von Zuhause ausziehen möchten und keine bezahlbare, kleine Wohnung finden. Wir wollen vor allem den Kommunen Instrumente an die Hand geben, weitere Erbpacht-Angebote schaffen und Modelle wie Mietkauf verstärkt in den Fokus rücken, damit das Thema attraktiv wird. Auch das Thema Genossenschaften möchten wir fördern und Anreize für Investoren, in solche Modelle zu investieren. Stölting: Hier haben wir mit der SPD eine große Schnittmenge. Wir wollen zudem die Möglichkeit für eine Mietpreisbremse schaffen. Wir müssen kommunale Wohnbaugesellschaften fördern. Ziel ist es, dass wir in Deutschland lebenslang bezahlbares Wohnen haben. Innerhalb einer Genossenschaft setzt sich immer öfter die Möglichkeit durch, zu wechseln. Egal ob Single, Familie oder Rentner, ich kann meinen Wohnraum durch Umzug innerhalb des Systems anpassen. Das wäre die Garantie für bezahlbares Wohnen. Brinkhaus: Wenn wir immer mehr Wohnraum brauchen, dann hilft nur bauen, bauen, bauen. Wir müssen in einen vernünftigen Dialog mit der Landwirtschaft treten, denn hier gibt es natürlich eine Flächenkonkurrenz wenn wir versuchen, Baugebiete auszuweisen. Wir müssen nachverdichten und gegebenenfalls aufstocken. Wir sind ein stark wachsender Kreis. Dieser zusätzliche Wohnraum braucht Platz und alles andere ist illusorisch. Das ist eine Aufgabe, die wir auch in der Regionalplanung hinbekommen und hier müssen wir entsprechend loslegen. Früher konnte jeder, der zum Beispiel bei Miele arbeit, am Ende seines Arbeitslebens sagen, er hat ein kleines Häuschen. Das war ein großes Leistungsversprechen. Dieses Versprechen ist auch im Kreis Gütersloh nicht mehr vorhanden. Wir müssen uns überlegen, wie wir vor allem jungen Familien wieder ermöglichen, an Wohneigentum zu kommen. Ein eigenes Haus macht am meisten Spaß, wenn die Kinder klein sind. Stölting: Zu Ihrem Argument möchte ich hinzufügen: renovieren, renovieren, renovieren. Auch das müssen wir angehen. Wir haben viel Wohnraum, der nicht renoviert und deshalb nicht nutzbar ist. Gibt es dazu verlässliche Zahlen? Stölting: Im Kreis Gütersloh haben wir auf jeden Fall noch Potenzial und Bereiche, wo wir noch einiges mehr renovieren können. Brinkhaus: Wo denn, Herr Stölting? Korkmaz-Emre: 400.000 Wohnungen pro Jahr und davon 100.000 Sozialwohnungen, das ist der Bedarf, von dem wir bundesweit ausgehen und den wir halten müssen. Wir haben im Kreis Gütersloh einen überdurchschnittlich hohen Anteil an Beschäftigten in Helfertätigkeiten und Jobs, für die keine Ausbildung erforderlich ist. Im Zuge der Digitalisierung droht eine Welle von Arbeitslosigkeit. Wie wollen Sie verhindern, dass es zu dieser Situation kommt? Brinkhaus: Indem wir in unserer Ansiedlungspolitik weniger Logistikunternehmen zulassen, sondern mehr hoch qualifizierte Unternehmen. Gewerbeflächenpolitik darf nicht nur einen quantitativen sondern einen qualitativen Aspekt haben. Dann müssen wir die Leute weiterbilden, weiterbilden, weiterbilden. Und drittens müssen wir die richtigen Bildungsangebote vor Ort schaffen. Es ist segensreich, dass wir jetzt einen festen Fachhochschulstandort in Gütersloh haben. Das ist ein guter Anfang in Kombination mit der Medizinischen Fakultät in Bielefeld und dem Fraunhofer Institut in Paderborn. Stölting: Wenn wir in dem System bleiben und versuchen, immer mehr zu produzieren zu immer günstigeren Preisen, werden wir befördern, dass wir Arbeitsplätze mit Helfertätigkeiten und geringen Einkommen haben. Grundsätzlich muss die Idee sein, Transformation zu ermöglichen zu einer Wirtschaft, die qualitativ höherwertig produziert. Nach meinem Verständnis muss das eine Wirtschaft sein, die klimaneutral produziert. Das ist kostenintensiv. Dafür schlagen wir Grüne den Industriepakt vor, um die gegenwärtigen Verluste zu kompensieren. Korkmaz-Emre: Wir stehen vor dem größten Strukturwandel überhaupt. Das verändert Arbeitsplätze. Einige werden wegfallen, andere werden neu entstehen. Darauf müssen wir die Menschen vorbereiten. Wir wollen Arbeit statt Arbeitslosigkeit finanzieren.Wir wollen aus der Arbeitslosenversicherung eine Arbeitsversicherung machen und die Arbeitsagentur zu einer Agentur für Arbeit und Qualifizierung. Menschen sollen ganz früh, die Möglichkeit bekommen, sich zu qualifizieren oder umzuschulen – noch während sie in Arbeit sind – um ihren Arbeitsplatz zu halten oder in andere Branchen einzusteigen. Der Staat darf die Menschen damit nicht allein lassen. Wie hoch soll der Mindestlohn sein? Korkmaz-Emre: 12 Euro, damit man davon wenigstens halbwegs auskömmlich leben kann. Stölting: Wir sind auch für einen Mindestlohn von 12 Euro. Arbeit muss sich wirklich lohnen in Deutschland. Und vor allem muss man ein Gehalt bekommen, mit dem man hinterher eine vernünftige Rente beziehen kann. Es kann nicht sein, dass Menschen ein ganzes Leben lang arbeiten und dann mit der Grundrente aufgefangen werden müssen. Brinkhaus: Wir haben vor einigen Jahren entschieden, dass wir Mindestlohn nicht politisch und schon gar nicht im Wahlkampf festlegen wollen. Das macht die Mindestlohnkommission und wir vertrauen auf deren Ergebnisse. Darüber hinaus möchte ich gar nicht, dass jemand für Mindestlohn arbeiten muss. Aus dieser Situation müssen wir die Leute rausholen und damit sind wir wieder bei Qualifizierungsangeboten. Welche drei Themen möchten Sie für den Kreis Gütersloh in Berlin umsetzen? Stölting: Einleitung des grünen Industriepakts zur Anschubfinanzierung der Klimaneutralität. Darüber hinaus setze ich mich ein für eine faire Handelspolitik und als dritter Punkt ist mir wichtig zu sagen, dass Klimaschutz sozial gerecht funktionieren kann. Deshalb würde ich mitwirken bei der Einführung von unserem Energiegeld und anderen Fördermaßnahmen. Korkmaz-Emre: Mich beschäftigt das Thema Arbeit und Rente. Hier brauchen wir einen guten Kreislauf und dafür setze ich mich ein. Zweitens setze ich mich für eine Kindergrundsicherung ein, weil mir die Familien und Kinder am Herzen liegen. Und drittens brauchen wir starke Kommunen, um die Herausforderungen etwa in der Verkehrswende oder Digitalisierung zu schaffen. Brinkhaus: Erstens: Nachhaltigkeit und stabile wettbewerbsfähige Arbeitsplätze müssen zusammengebracht werden. Zweitens: Modernisierung des Staatswesens. Drittens – und das ist mir persönlich am allerwichtigsten: dass ich die Art und Weise, wie wir hier im ländlichen Raum leben, mit all den Anforderungen nach Berlin trage. Wir führen sehr viele Diskussionen aus der Berliner Lebenswirklichkeit heraus. Dort bedeutet Mobilität oder medizinische Versorgung aber etwas anderes als bei uns im ländlichen Raum. Hier sind wir Abgeordneten gefordert. Bei welchem Thema vertreten Sie eine andere Meinung als Ihre Partei? Korkmaz-Emre: Bei der Aufstellung von Listen. Und inhaltlich habe ich zum Beispiel bei der Einführung von Staatstrojanern anders abgestimmt als meine Fraktion. Stölting: Tatsächlich habe ich sehr, sehr wenig Dissens mit meiner Partei.

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