Kann das Aus für diesen Gütersloher Verein noch verhindert werden?

Gütersloh. Ein gesundes Leben im Einklang mit der Natur führen – könnte es angesichts von Klima- und Gesundheitskatastrophe einen aktuelleren Gedanken als diesen geben? Sebastian Kneipp, vor 200 Jahren geboren, hat ihn einst zur Grundlage seiner Heilverfahren gemacht. Doch ausgerechnet im Jubiläumsjahr droht dem Gütersloher Kneipp-Verein nun das Aus. Der Grund: Es findet sich kein neuer Vorstand. Mitte August hat der Verein zur Mitgliederversammlung geladen. Die zweite binnen weniger Wochen. Findet sich bis zum Ende dieser Versammlung kein Nachfolger, bleibt nur eines: der Auflösungsbeschluss. Der Verein würde liquidiert, sein Vermögen fiele an den Kneipp-Bund. Die 200 verbliebenen Mitglieder müssten sich woanders umsehen. Früher, zu seinen Glanzzeiten, zählte der Verein 1.000 Mitglieder. Die Geschäftsstelle ist bereits verwaist &bdquo;Ob wir das Ende noch abwenden können? Wir hoffen es“, sagt Vorsitzende Rose-Marie Hedicke. Die 69-Jährige führt den Verein zusammen mit Andrea Szelinski (53) und Schatzmeister Walther Sander (76). Seit Jahren seien sie bemüht, Mitglieder zu finden, die in die Verantwortung gehen, bislang ohne Erfolg. Auch in der Versammlung Ende Juni habe niemand die Hand gehoben. Stimmen bei dem zweiten Termin Mitte August drei Viertel der Anwesenden für die Auflösung, wärs das. Ausgekneippt. Die kleine Geschäftsstelle in der Hohenzollernstraße ist seit der Eigenkündigung der Sekretärin schon jetzt verwaist. Wer das Aus partout verhindern will, ist Madeleine Broichhausen. Die 40-Jährige ist Vorsitzende des Landesverbandes NRW und Vize-Präsidentin des deutschen Kneipp-Bundes. &bdquo;Kneipp ist angesagt. Wir machen Angebote, die bei den Menschen auf große Zustimmung zustoßen, daher setzen wir alles daran, dass die Vereine überleben.“ In Aachen, wo sie den Ortsverein leitet, sei es ihr binnen kurzer Zeit gelungen, die Mitgliederzahlen zu stabilisieren und den Altersdurchschnitt von 75 auf 55 Jahre zu senken. &bdquo;Warum sollte das nicht auch in Gütersloh klappen?“ "Bislang haben wir noch jeden retten können" Zur Versammlung am 18. August will der Landesverband Vertreter entsenden. Schatzmeister Georg Tomasik und die Geschäftsstellenleiterin Carina Auth haben sich angekündigt. &bdquo;Wir wollen verdeutlichen, welche Unterstützung der Landesverband bietet“, sagt Auth. Hilfe bei der Programmgestaltung, der Öffentlichkeitsarbeit, der Verwaltung, den Finanzen, der Webseite: &bdquo;Wer beim Kneipp-Verein ehrenamtlich in den Vorstand geht, kann sicher sein, dass wir ihn nicht allein lassen“, sagt Auth. Vielleicht überzeuge das ja jemanden. Bislang, so Landesvorsitzende Broichhausen, habe man noch jeden Verein retten können. Bielefeld zum Beispiel. 2019 darbte der Verein mit nur noch 81 Mitgliedern vor sich hin, der Vorstand mochte nicht mehr. Dem Landesverband gelang es aber bei der ersten Auflösungsversammlung, Kandidaten zu motivieren, die nun einen Team-Vorstand bilden. Ergebnis: Der Verein erfreue sich neuer Mitglieder und biete wieder ein lebhaftes Programm an. Die Zeit der Einzelkämpfer-Vorsitzenden scheint vorbei Teamvorstände seien ohnehin oft die bessere Wahl, so Broichhausen. &bdquo;Das Modell, ein Vorsitzender plus Stellvertreter etc. funktioniert heutzutage kaum noch. Zu viel Arbeit, zu viel Verantwortung für einzelne“, sagt sie. Teamvorstände dagegen böten die Möglichkeit, die Aufgaben besser zu verteilen. Der Landesverband helfe, dafür die Satzungen anzupassen. In Hattingen, wo es trotz aller Bemühungen nicht gelang, die Auflösung zu verhindern, sei nach diesem Modell umgehend ein neuer Verein unter anderem Namen (Kneipp-Verein Ruhr) gegründet worden, gleiches geschehe in Bad Münstereifel. &bdquo;In den Vereinen schlummern Ressourcen, man muss sie nur heben“, sagt Broichhausen. Mitgliederschwund? Ja, den gebe es. Aber er liege bundesweit bei nur 1,2 Prozent, wenig im Vergleich zu anderen Vereinen. Broichhausen: &bdquo;Berücksichtigt man dann noch unseren hohen Altersdurchschnitt und die Sterberate, erkennt man, wie gut wir in der Mitgliederwerbung sind. Es kommen viele nach, auch junge Leute.“ Ein gesunde, verantwortliche Lebensführung liege gerade bei der jüngeren Generation im Trend. In OWL gebe es Kneipp-Vereine, die sprudelten vor Energie: Minden, Bad Oeynhausen, Bünde zählen mehr als 1.000 Mitglieder. Yoga, Qigong, Ernährungsberatung - das Programm ist hip Auch das Angebot des Gütersloher Kneipp-Vereins ist staubbefreit. Wer durch das – durchaus üppige – Programmheft des ersten Halbjahres 2021 blättert, findet Kurse für Yoga, Gymnastik, Meditation, Qigong, Reiki oder Bewegungstherapie, außerdem Vorträge über gesunde Ernährung sowie Wanderungen und Radtouren. &bdquo;Wer denkt, wir machen nur Wassertreten und Blümchen-Spaziergänge, liegt falsch. Wir sind mit unserem Programm voll auf der Höhe“, sagt Andrea Szelinski. Die Themen seien aktuell und nachgefragt, so Szelinski. Das Problem: Die Kursteilnehmer wollen sich nicht binden: Sie machen Yoga, unterzeichnen aber keinen Mitgliedsvertrag. Warum nicht? Weil sie ebenso gut Yoga beim Volksgesundheitsverein, bei der Volkshochschule, den Krankenkassen von Bertelsmann und Miele oder beim Kreissportbund machen könnten: Die Konkurrenz ist im Laufe der Jahre stetig gewachsen. Die fünf Elemente, nach denen Sebastian Kneipp seine Naturheilkunde entwickelte – Wasser, Bewegung, Heilpflanzen, Ernährung, Lebensordnung –, sie finden sich auch in den Kursen anderer Anbieter wieder. Dort heißen sie manchmal nur anders: Work-Life-Balance, Achtsamkeit oder Finden der Lebensmitte. Wegen Corona fehlen die Kurseinnahmen Vor gut 48 Jahren, am 12. April 1973, hat der Schneidermeister Wilhelm Leich den Gütersloher Kneipp-Verein gegründet. Schon damals war Yoga einer der Schwerpunkte. Andrea Szelinskis Mutter Adelheid, jahrzehntelang im Vorstand und gute Seele des Vereins, kannte Hinz und Kunz und schaffte es, die Mitgliederzahlen in die Höhe zu schrauben. Ihre Nachfolger, teils außerhalb Güterslohs wohnend, haben es schwerer: zum einen wegen der nachlassenden Bindungsbereitschaft, zum anderen wegen Corona. &bdquo;Die Pandemie hat uns schwer gebeutelt“, sagt Rose-Marie Hedicke. Fehlende Kurseinnahmen, schwindende Mitgliedsbeiträge: Auch finanziell sind die Zeiten hart. &bdquo;2020 und 2021 werden wir Verluste schreiben“, sagt Schatzmeister Sander. &bdquo;Aber keine Sorge: Noch ist genügend Geld im Topf.“ Auch deshalb denkt der Vorstand darüber nach, seine Geschäftsstelle stundenweise wieder zu besetzen - vorausgesetzt, es geht weiter. "Gütersloh ist groß genug dafür" Landesvorsitzende Broichhausen hat in dieser Hinsicht ihren Optimismus nicht verloren. &bdquo;Gütersloh ist groß genug für einen eigenen Kneipp-Verein“, findet sie. Notfalls müsse der Landesverband kommissarisch einspringen und eine Neugründung mit einem neuen Teamvorstand vorbereiten. Ein Dahinsiechen und Kränkeln - das sei nicht im Sinne von Kneipp.

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