Langjähriger Bertelsmann-Betriebsrat: "Ich hatte einen Riesenbammel"

Gütersloh. Mohn, der Jahrhundertunternehmer. Mohn, der Visionär. Mohn, der Pionier, Patriarch und Furchtlose. So viele Attribute, so viele Zuschreibungen. Die meisten gab ihm der Konzern selbst, andere, wie: der Stoische, der Einsame, der Ehebrecher, verpassten ihm Menschen und Medien von außerhalb. Stimmen tun sie mehr oder weniger alle, denn Reinhard Mohn, der heute 100 Jahre alt geworden wäre, war ein Mann mit vielen, auch widersprüchlichen Facetten. Einige davon kennt Jochen Werner. Der langjährige Konzernbetriebsrat von Bertelsmann, inzwischen 82 Jahre alt und ein Stück weit selbst Legende, stand ihm so nah wie nur wenige. Dass er sich anlässlich dessen 100. Geburtstages äußert, hat er sich eine Weile überlegen müssen, tut es aber doch. Warum? Weil er von Mohn gelernt habe, Stellung zu beziehen. Weil ihm klar sei, dass es keinen Gütersloher gibt, der diese Stadt auch nur annähernd so geprägt hat wie Reinhard Mohn. Und weil er findet, dass eines von Mohns Vermächtnissen – das Credo, ein Unternehmen kann nur erfolgreich sein, wenn es seine Mitarbeiter fair und partnerschaftlich behandelt – so bedeutsam sei, dass man es immer wieder in Erinnerung rufen müsse. Wie oft denken Sie an Reinhard Mohn? JOCHEN WERNER: Oft, aber nicht täglich. In Gütersloh nicht an ihn zu denken, geht ja kaum. Wann sind Sie sich das erste Mal begegnet? Das war nur flüchtig, bei einem Fußballturnier zur Gründung von Ariola. Da spielte er mit. Und der erste engere Kontakt? Den gab es erst, nachdem mich die Mohndrucker zum Betriebsratsvorsitzenden gewählt hatten. Mark Wössner, damals dort Geschäftsführer, stellte mich ihm vor, viel zu Wort kam ich aber nicht. Das änderte sich erst, als ich das zweite Mal in Mohns Büro kam, diesmal alleine. Ich hatte meine Schlossermontur an, das gefiel Mohn. Er zog prompt sein Jackett aus und hängte es über den Stuhl. Das wiederum hat mir gefallen. Ein Schlosser und der große Mohn, ging das? Ich hatte einen Riesenbammel, natürlich. Ich sagte, wie soll ich das alles verstehen, ich habe nicht mal studiert und keine Ahnung, was BWL ist! Was hat er gesagt? &bdquo;Das müssen Sie auch nicht", meinte er. &bdquo;Es ist nämlich ganz einfach, so wie in einer Küche: Da dürfen Sie auch nur so viel ausgeben, wie reinkommt. Wenn Sie dann noch bedenken, dass Sie genug Geld haben, um die Köchin zu bezahlen und außerdem noch ein bisschen Geld für die Unterhaltung der Küche zurücklegen, dann können Sie das, was am Ende übrig bleibt, gut verteilen: Ein bisschen was für Sie, ein bisschen was für die anderen. Das ist alles, was Sie wissen müssen". Klingt einfach. Er war ein Meister von einfachen Erklärungen. Das zeichnete ihn aus: Schwierige Sachverhalte auf den Punkt zu bringen und es so zu erklären, dass man es versteht. Abgehobenes Geschwafel mochte er nicht. Dennoch: Haben Sie sich auf Augenhöhe gefühlt? Nein, das wäre vermessen. Ich habe mich ernst genommen gefühlt, das war viel wichtiger. Er hat mir Fragen gestellt und zugehört. Vielleicht eine Eigenschaft, die nicht jedem Manager liegt. Dabei ist das ein so wesentliches Kriterium für Führungskräfte! Wer nur Ansagen macht, nur von oben herab führt, läuft irgendwann gegen eine Wand. Mohn hat das erkannt. Er wusste, dass eine motivierte, überzeugte Belegschaft das Beste ist, was ein Unternehmen haben kann. Auf der anderen Seite ist das unternehmerisches Kalkül. Ja und? Was ist daran verkehrt, wenn die Mitarbeiter mit vollem Herzen dabei sind und das zugleich zum Wohl des Unternehmens ist? Nur so funktioniert es doch. Wie häufig haben Sie sich getroffen? So etwas wie einen festen Termin hatten wir nicht. Ich halte mich da gerne an den Satz: &bdquo;Gehe nur zum Fürsten, wenn er dich ruft." Es war Reinhard Mohn, der mich immer wieder zu sich holte. Er wollte wissen, wie die Stimmung im Betrieb ist, was die Mitarbeiter denken, wo es hakt. Waren das anstrengende Begegnungen? Es wurde immer entspannter. Wir fassten Vertrauen zueinander. Ich konnte das, was mich und meine Kollegen berührte, unbefangen vortragen, das hat mich gestärkt. Mohn hätte mich bestimmt das eine oder andere Mal belehren oder unterbuttern können, aber er ging fair mit mir um. In seinem Buch &bdquo;Von der Welt lernen" hat er Sie gelobt und geschrieben, dass er sich Ihnen besonders herzlich verbunden fühlte. Dort ist zu lesen, dass ihm die enge und vertrauensvolle Kooperation mit dem Betriebsrat &bdquo;wichtiger als alles andere" war. Ja, dort steht auch, er habe es sich nie nehmen lassen, wichtige Maßnahmen persönlich mit dem Betriebsratschef zu besprechen und auf den Betriebsversammlungen selbst zu erläutern. Dieser Wille zum Dialog und das Bemühen um den gerechten Ausgleich von Interessen zeichnete ihn aus. Durch Ihr enges Verhältnis zu ihm wuchs Ihre eigene Bedeutung. Er berief Sie sogar in den Aufsichtsrat. Bemerkenswert daran ist, dass er das nicht hätte machen müssen. Wir waren ja ein Tendenzbetrieb, es war nicht vorgeschrieben, einen Arbeitnehmervertreter in den Aufsichtsrat zu berufen, aber Mohn legte Wert darauf. &bdquo;Herr Werner", sagte er, &bdquo;Sie sind verantwortlich für das Soziale!" Konnten Sie im Aufsichtsrat etwas bewirken? Mohn sorgte dafür, dass ich zu Beginn einer Sitzung eine Viertelstunde Redezeit bekam. Mir war das erst nicht klar, aber es stellte sich bald heraus, dass ich dadurch Einfluss bekam. Ich konnte Probleme benennen, und die zuständigen Leute gerieten direkt unter Erklärungsdruck. Das führte dazu, dass sie mich vor den Sitzungen anriefen und bemüht waren, die Probleme vorab zu klären. Wie ernst war Mohn die Mitbestimmung? Mohn war die betriebliche Gemeinschaft wichtig. Er wollte, dass sich die Mitarbeiter mit dem Unternehmen identifizieren, weil sie dann leistungsbereiter sind und selbstständige Entscheidungen treffen. Motivieren und Delegieren als Führungsstil. Natürlich. Man kann das als unternehmerisches Kalkül abtun, man sollte aber, wie ich finde, die positiven Seiten daran sehen. Ein partnerschaftlicher Führungsstil ist mir lieber als ein autokratischer. Wie hat sich das konkret niedergeschlagen? Wir haben viele Dinge entwickelt. Mitbestimmung, Altersvorsorge, Gewinnbeteiligung, Kindergarten, die Sportprogramme, all das. Vieles davon war keineswegs selbstverständlich in der deutschen Wirtschaft, sondern mutig und neu, vieles wurde als vorbildhaft angesehen. Andere Unternehmen haben das übernommen. War das Einführen der Gewinnbeteiligung nicht vor allem ein Akt der Steuerentlastung? Das spielte definitiv eine Rolle. Aber dass die Mitarbeiter es verdient haben, am Erfolg des Unternehmens beteiligt zu werden, entsprang voll und ganz seiner Überzeugung. Es gab auch die Jahresgespräche mit den Mitarbeitern. Ja, ich fand das manchmal anstrengend. Der Laden brummte, es gab so viel zu tun, und dann sollten wir noch diese Gespräche führen! Mohn sagte: &bdquo;Wir müssen sie institutionalisieren, sonst finden sie nicht statt." Das war natürlich richtig. Aus diesen Gesprächen heraus entwickelte er ein Gespür dafür, welche Mitarbeiter er zu Führungskräften machen konnte. Ich würde sagen, seine Begabung, Menschen an die richtige Stelle zu setzen, war außergewöhnlich und ein wesentlicher Teil des Erfolges. Solche Gespräche setzen voraus, dass sich die Mitarbeiter offen äußern können. Man darf sich da keinen Illusionen hingeben. Wenn ein Mitarbeiter Sorge hat, dass seine Äußerungen für ihn oder andere Konsequenzen haben, hält er lieber den Mund. Aber ich kann durchaus behaupten, dass wir eine Gesprächskultur hatten, die hilfreich war. Legendär ist, dass er immer in der Betriebskantine essen ging. Das war keine Schau, das war ihm ernst. Er suchte das Gespräch mit der Basis, sei es der Drucker oder die Rezeptionistin. War das Einbinden der Belegschaft und des Betriebsrates, also letztlich von Ihnen, nicht auch ein Versuch, die Gewerkschaft klein zu halten? Das würde ich nicht bestreiten. In der Tat wollte er lieber mit dem Betriebsrat als mit der Gewerkschaft verhandeln. Das mag etwas Berechnendes gehabt haben, aber es lag auch in seiner Natur. Mohn war dieses Partnerschaftliche wichtig. Gewerkschaften fand er ideologisch: Das Gegeneinander von Kapital und Arbeit war ihm zuwider, Aussperrungen oder Streiks fand er furchtbar. Fürchtete er den Konflikt mit der Gewerkschaft? Darum ging es ihm gar nicht. Er vertrat eher die Ansicht, dass Meinungsverschiedenheiten besser firmenintern, problembezogen gelöst werden können. Die Gewerkschaften haben ihre Basis bei Bertelsmann ja auch nie wirklich ausbauen können, weil Mohn jeden Tarifvertrag ohne Wenn und Aber übernahm und oft noch was drauflegte. Haben Sie seine Ansicht geteilt? Nun ja, ich bin in in der DDR aufgewachsen und von dort geflüchtet. In mir steckt eine tiefe Grundskepsis gegenüber Organen, die mich ideologisch vereinnahmen wollen. Im Westen habe ich diese Freiheit genossen. Ich erinnere mich, dass wir bei Mohndruck eine kaputte Maschine sofort wieder reparieren wollten. Auch wenn es an einem Sonntag war. Da kamen wir freiwillig und aus voller Überzeugung hin, weil wir ja wollten, dass die Maschine ab Montag wieder läuft. In seinem Buch &bdquo;Von der Welt lernen" hat Mohn geschrieben, dass ihn seine Erlebnisse in amerikanischer Kriegsgefangenschaft sehr geprägt haben. Ja, dort hat man ihn gut behandelt, dort hat er erlebt, wie man gemeinsam Probleme löst, indem man einfach die Ärmel hochkrempelt. In dem Buch steht sogar, wenn er frei hätte entscheiden können, wäre er in Amerika geblieben. Dass Mohn die Kriegs- und die Nachkriegszeit geprägt haben, konnte man später in vielen seiner Erinnerungen nachlesen. Lassen Sie mich eine kleine Episode erzählen, die ich vielsagend finde. Mohn hat irgendwann ohne Aufhebens drei Millionen Mark an die Männer und Frauen der ersten Stunde ausgezahlt – sie waren längst Pensionäre, aber sie waren genau die Menschen, die mit ihm die Trümmer nach dem Krieg weggeräumt und geholfen haben, die Firma wieder aufzubauen. Sie haben nicht gefragt, was sie verdienen, sondern einfach nach Spaten und Hacke gegriffen. Einige Top-Führungskräfte sollen mit dieser Zahlung nicht einverstanden gewesen sein, Mohn hat es trotzdem gemacht. In seinem Buch hat er geschrieben: &bdquo;Wenn meine älteren Mitarbeiter versichern, dass sie für mich durchs Feuer gegangen wären, kann ich heute versichern, dass ich dies auch für sie getan hätte." Haben Sie sich als Betriebsrat manchmal instrumentalisiert gefühlt? Nein, nie. Ich kannte meine Rolle und wusste abzugrenzen. Oft genug habe ich ihm widersprochen, genau das war es auch, was er einforderte. Einmal hat er mir ein Buch von Georg Leber gegeben, dem Bundesminister und Gewerkschaftsführer. Er bat mich, es zu lesen, weil er sich mit mir darüber austauschen wollte. Und, haben Sie es gelesen? Sofort, ich habe mir ein, zwei Nächte um die Ohren geschlagen. Ich war auf dieses Buch neugierig, aber ich wusste auch, dass Mohn mich schon bald danach fragen würde. Wir haben uns mehrmals über Passagen des Buches unterhalten. Wie heißt es? &bdquo;Vom Frieden". Es geht um Zeitgeschichte, Politik, den Umgang von Firmen mit Mitarbeitern. Leber hat ein weiteres geschrieben, darin geht es um Vermögensbildung in Arbeitnehmerhand. Genau die Themen also, mit denen sich Mohn beschäftigte. Suchte er oft solchen inhaltlichen Austausch? Von Mohn wird ja gerne erzählt, dass er auf seinen langen Spaziergängen durch die Natur viel über das Unternehmen nachgedacht und dort zu seinen Erkenntnissen gekommen ist. Dass er oft den direkten Austausch mit Leuten gesucht hat, auch die Kontroverse, kommt mir manchmal zu kurz. Ich erinnere mich an einen Satz von ihm: &bdquo;Herr Werner, wenn Sie die richtigen Entscheidungen treffen wollen, müssen Sie die, die dagegen sind, zuerst hören." War er auf Konsens aus? Nein, das würde ich nicht behaupten. Austausch ja, Konsens nein. Am Ende ließ er keinen Zweifel daran, wer die Entscheidung trifft. &bdquo;Wir sind keine therapeutische Veranstaltung", sagte er mal. &bdquo;wir müssen hier was produzieren, das verkaufbar ist." In seinen späteren Jahren scheint sich Mohn von seinen Führungskräften distanziert zu haben. Er schrieb über &bdquo;Die Eitelkeit der Manager", prangerte deren Gewinnsucht an. Dazu muss man wissen, dass ihm solche Wesenszüge fremd waren. Er war vollkommen uneitel und, gemessen an seinem Vermögen, geradezu bescheiden. Er hätte sich zum Beispiel nie eine Yacht gekauft, so etwas passte nicht zu ihm. Glauben Sie, dass er bei seinem Eitelkeitsvorwurf konkrete Manager vor Augen hatte? Das halte ich durchaus für möglich. Selbstdarsteller waren ihm zuwider. Spiegelt sich in dieser Haltung seine strenge, puritanische Erziehung? Bestimmt. Seine Herkunft aus einem disziplinierten und streng religiösen Elternhaus hat ihn geprägt, das schreibt er in seinen Büchern. Da sein Vater im Unternehmen gebunden und außerdem kränklich war, übernahm vor allem Mutter Agnes die Erziehung, Tochter des Gütersloher Pastors Seippel. Aus Mohns eigenen Berichten wissen wir, dass von ihm schon in jungen Jahren Selbstdisziplin, Pflichterfüllung und Verantwortungsbewusstsein verlangt wurden. Wie nah standen Sie sich? Haben Sie mit ihm auch über Privates gesprochen? Selten. Wir vertrauten uns und hatten ein gutes Verhältnis zueinander, aber es ging stets um das Unternehmen. Als Sie in den Ruhestand gingen, hat er Ihnen ein Gedicht geschrieben. Ja, das findet sich in dem Buch, das ich zum Abschied von meinen Weggefährten bekommen habe. Da sind viele persönliche Worte drin, alphabetisch sortiert, Reinhard Mohn hat sich schön eingereiht und steht irgendwo in der Mitte. Was hat er gedichtet? Die Überschrift lautet: &bdquo;Wir habens gut gemacht!" Vielleicht darf ich eine Zeile daraus wiedergeben? Nur zu. &bdquo;Am Ende dieses Weges schauen wir heute zurück / und wer wollte es bestreiten: Wir hatten Glück! / Das Unternehmen, und wer immer dabei geholfen hat, / wir haben es geschafft: &bdquo;Partnerschaft" war ein guter Rat!"

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