Schwere Verletzungen nach Rad-Unfällen ohne Helm - Gerichte prüfen Mitschuld

Kreis Gütersloh. Die Zahl der verunglückten Radfahrer im Kreis Gütersloh ist unverändert hoch. Im vergangenen Jahr gab es insgesamt 753 Unfälle mit Radfahrern – 561 Personen wurden dabei verletzt; zum Teil schwer. Erst kürzlich übersah ein Autofahrer eine 77-Jährige auf dem Radweg an der Waldstraße in Verl und nahm ihr die Vorfahrt. Die ältere Dame krachte gegen den Wagen und zog sich dabei schwerste Verletzungen zu. Sie trug keinen Helm. Laut einer Umfrage aus dem Jahr 2019, die das Portal Statista veröffentlicht hat, tragen 40 Prozent der Deutschen keinen Helm – lediglich 12 Prozent gaben an, dass sie immer einen Helm tragen. Die Polizei Gütersloh appelliert nun nochmal offensiv an alle Bürger im Kreisgebiet: &bdquo;Es gibt keine gesetzliche Pflicht zum Tragen eines Helms, aber Fahrradhelme retten Leben", heißt es in einer offiziellen Mitteilung. Grundsätzlich sei die Frage nach einer Helmpflicht für die Polizei zweitrangig, wie Sprecher Mark Kohnert auf Nachfrage berichtet, vielmehr liege der Fokus darauf, ein höchstmögliches Verständnis bei den Menschen zu erzeugen, dass ein Helm eine Investition in den eigenen Schutz sei. &bdquo;Der Prozess des Umdenkens hat in den letzten Jahren – zumindest bei dem Schutz der Kinder im Straßenverkehr – schon gut funktioniert. Das Gros der fahrradfahrenden Kinder wird durch die Eltern mit einem Helm ausgestattet." Dort habe sich schon fast ein Standard entwickelt, auch ohne Pflicht. Gleiche Entwicklung soll nun bei den Erwachsenen folgen. Gerade Pedelec-Fahrende sollten bedenken, dass sich die Gefahr von schwerwiegenden Verletzungen bei einem Sturz oder durch einen Unfall unter Beteiligung Dritter durch die gefahrene Geschwindigkeit potenziere. "Nicht die Klärung der Schuldfrage verhindert schwerste Verletzungen" Kohnert: &bdquo;Hier sollte der Gedanke sein: Ist man bereit, ein paar tausend Euro für ein Pedelec zu investieren, sollte man auch bereit sein einen Teil des Geldes in den eigenen Schutz zu investieren." Der Polizei sei bewusst, dass die Frage nach einer Helmpflicht für Fahrradfahrende immer wieder auch kontrovers diskutiert werde – vor allem auch die Schuldfrage. Mark Kohnert betont aber: &bdquo;Nicht die Klärung der Schuldfrage verhindert schwerste Verletzungen. Ob durch eigenes Fehlverhalten oder dem Fehlverhalten anderer: Liegt man erstmal mit schweren Kopfverletzungen im Krankenhaus, ist die Schuldfrage wohl zweitrangig." Lesen Sie auch: Rentnerin stürzt auf dem Lupinenweg in Gütersloh und macht auf Falle aufmerksam Schon bei geringster Geschwindigkeit wird es gefährlich Radfahrende müssten sich bewusstmachen, dass sie keine Sicherheitseinrichtungen wie eine schützende Karosserie, Sicherheitsgurte oder Airbags haben. Bei einem möglichen Sturz oder Unfall sei insbesondere der Kopf gefährdet – schwerste Gehirnverletzungen könnten die Folge von Stürzen bei schon sehr geringer Geschwindigkeit sein. Ansgar Staudinger, Professor der Fakultät für Rechtswissenschaft an der Universität Bielefeld und Präsident des Deutschen Verkehrsgerichtstags, trägt zwar selbst, wie er sagt, immer einen Helm – eine entsprechende Pflicht für alle Radfahrer lehnt er aber ab. &bdquo;Zumindest eine geschriebene mit Sanktionen verbundene Helmpflicht für alle geht mir definitiv zu weit. Die Akzeptanz wäre in meinen Augen ziemlich gering – und eine solche Pflicht zu kontrollieren fast unmöglich." Das Bewusstsein ist da - trotzdem bleibt der Helm oft liegen Staudinger appelliert, stattdessen mehr Werbung für das Helmtragen zu machen – auf verschiedensten Kanälen, um möglichst viele Menschen zu erreichen. &bdquo;Umfragen zeigen, dass das Bewusstsein durchaus da ist, dass es besser und sicherer wäre, beim Radfahren einen Helm zu tragen – die Statistik zeigt aber auch, dass viele den Helm dann aber trotz des Bewusstseins noch weglassen." Ihm falle auf, dass vor allem ältere Menschen, die mit E-Bikes oder Pedelecs unterwegs seien, oft auf einen Helm verzichten. Mit mehr Werbung und Sensibilisierung könne die Zahl der Helmträger aber weiterwachsen, da ist sich Staudinger sicher. Lesen Sie auch: Wo es für Radfahrer in Gütersloh laut Statistik besonders gefährlich wird Dann bekommen Opfer nicht die volle Schadenssumme &bdquo;Das ist effektiver, als wenn man direkt eine Pflicht einführt. Denn, wenn wir ehrlich sind, würde eine Helmpflicht die Attraktivität des Radfahrens deutlich minimieren. Und das ist das letzte, was ich möchte." Auch, wenn es aktuell in Deutschland keine gesetzliche Helmpflicht gibt und entsprechend auch kein Bußgeld fällig wird, wenn jemand ohne Helm unterwegs ist, weist der heimische Rechts-Experte daraufhin, dass sich Radfahrer ohne Helm bei Unfällen mit Kopfverletzungen durchaus in einigen Fällen auch eine Mitschuld vorwerfen lassen müssen. Im Bürgerlichen Gesetzbuch heißt es wörtlich: &bdquo;Hat bei der Entstehung des Schadens ein Verschulden des Beschädigten mitgewirkt, so hängt die Verpflichtung zum Ersatz sowie der Umfang des zu leistenden Ersatzes von den Umständen, insbesondere davon ab, inwieweit der Schaden vorwiegend von dem einen oder dem anderen Teil verursacht worden ist." Derzeit wird es nur bei zwei Fallgruppen geprüft Ist ein Radfahrer also ohne Helm unterwegs, in einen Unfall verwickelt und zieht sich dabei Kopfverletzungen zu, prüfen Gerichte aktuell schon bei zwei Fallgruppen, ob und inwieweit ein Helm die Verletzung hätte verringern oder gar ganz vermeiden können. Gegebenenfalls steht dem Opfer dann nicht die volle Höhe des Schadensgeldes zu. &bdquo;Derzeit wird das aber nur bei Kindern und sportlichen Radfahrern, die mit Rennrädern oder Mountainbikes schnell unterwegs sind, geprüft", sagt Staudinger. Er fordert, dass diese Rechtssprechung auch ältere Radfahrer mit Pedelecs als dritte Fallgruppe mit aufnimmt.

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