Kreis Gütersloh. Die Kulisse ist wie im Märchen: Hinter den dicken Mauern von Schloss Rheda lebt Sissi Fürstin zu Bentheim-Tecklenburg zurückgezogen im historischen Ambiente der ehemaligen Wasserburg, die seit hunderten von Jahren der Stammsitz ihrer Familie ist. Hier feiert sie ihren 88. Geburtstag. Viele ihrer alten Weggefährten leben nicht mehr. Fürstin Sissi aber ist hellwach und ihre blauen Augen blitzen, wenn sie von ihrer Sache erzählt: dem Schutz der Natur und dem Kampf gegen Straßen.
Was heute grün und hip ist, beschäftigt die Fürstin schon seit einem halben Jahrhundert. Als Ende der 1960er Jahre der Fasanenwald in Rheda für eine Bebauung dem Erdboden gleich gemacht werden sollte, wurde ihr Kampfgeist zum ersten Mal geweckt. „Das Jahr 1968 war ja sehr revolutionär in Deutschland. Auch in Rheda hat man damals die Antennen nach allen Seiten ausgestreckt, auch bei uns war einiges los", erinnert sie sich an die stürmischen Zeiten und die Anfänge ihres politischen Kampfes für den Naturschutz.
"Es gab viele Zufälle in meinem Leben"
„Es gab viele Zufälle in meinem Leben. Die Rhedaer Jugend hatte damals einen linken Treffpunkt in einer Baracke neben der Kirche. Das waren wilde Gesellen, die hatten sehr revolutionäre Vorstellungen. Aber mein Mann und ich waren uns einig, dass wir dieses riesige Gebäude im Fasanenwald nicht wollen. Und die wollten es auch nicht. Hingegangen bin ich dann aber ganz alleine."
Die Fürstin entschied sich, mit den jungen Leuten an einem Strang zu ziehen. „Wir haben gesagt: Dieses Projekt wollen wir nicht! Das war unsere Gemeinsamkeit." Als Fürst Moritz-Casimir 2014 starb, stand der Fasanenwald noch immer. Die Liebe zur Natur hat sie verbunden: „Mein Mann war Forstmann, er ging jeden Tag in den Wald. Und ich musste immer mit, bei jedem Wetter."
Dann kam der Kampf gegen den Ausbau der A 2, inklusive Sternmarsch zu Pfingsten. Und im Jahr 2020 ist sie eine der prominentesten Gegnerinnen des Ausbaus von B 61 und B 64n. Nicht nur wegen der Bäume, die für die Trassen weichen müssten, sondern vor allem wegen der Kulturlandschaft, durch die die Asphaltpiste eine breite Schneise schlagen würde. „Die Linienführung der neuen Straßen über landwirtschaftliche Flächen mit Umwegen über Brückensysteme ist ein Unding, dessen man sich immer wieder wird schämen müssen."
Natur, Heimat und Kultur führen bei der Fürstin kein Nebeneinander
Natur, Heimat und Kultur führen bei der Fürstin kein Nebeneinander, sondern gehören zusammen. 1979 war sie Mitbegründerin der Gemeinschaft für Natur- und Umweltschutz (GNU) ebenso wie 1986 Gründungsmitglied der Deutschen Stiftung Denkmalschutz. Es sind diese zwei Pole, die ihr Leben bestimmen: Natur- und Denkmalschutz. Sie engagierte sich für die Erhaltung des alten Rheda, verhütete maßgeblich den Abbruch Alt-rhedas sowie die Begradigung der Ems und weiterer Flussläufe.
Und jetzt diese Straßen. „Wir haben die Brutalität der Bachregulierungen in den letzten zwei Jahrzehnten mit viel Überzeugungskraft zu natürlichen Fließgewässern zurückgeführt. Nun riskiert man eine neue Variante der Zerstörung. Gut Schledebrück mit seinen Bächen ist hinreißend schön. Aber das zu sehen, muss man wollen, darauf muss man auch gestoßen werden. Und wenn die Ministerin es nicht weiß, muss man es ihr sagen. Politiker müssen auch lernen." Die Ministerin heißt Ina Scharrenbach und ist in Nordrhein-Westfalen für das Ressort Heimat verantwortlich. Für die Straßen ist sie trotzdem.
Ende der 1970er Jahre war es die Flurbereinigung, die zur Gründung der GNU führte. Am Reißbrett hatte man damals unter anderem geplant, die Ems künftig hinter dem Rhedaer Schloss fließen zu lassen. Einem Zusammenschluss aus Privatleuten und Politikern gelang es schließlich, die Flurbereinigung zu stoppen. „Einige wunderschöne Häuser konnten gerettet werden und Flüsse und Bäche entkamen der Regulierung. Es ist schön, zu wissen, dass einige Dinge weiter wirken", sagt die Fürstin. Eine Blaupause für den Aufstand gegen die aktuellen Straßenbauprojekte, die zurzeit ganze Gemeinden in Aufruhr versetzen?
„Ich hatte immer eine offene Mentalität"
Fürstin Sissi steht in diesem Kampf auf der Seite der Bewahrer, die zu Besonnenheit mahnen – und kluge Koalitionen schließen. „Ich hatte immer eine offene Mentalität, meine Freundschaften waren stets parteiübergreifend. Das geht mir auch heute noch so: Ich kann nicht in Parteien denken und finde es fantastisch, wenn alle an einem Tisch sitzen", sagt die geborene Gräfin von Hardenberg, die 1932 in Südafrika als Tochter des Farmerehepaares Graf Dietrich Werner und Gräfin Ingeborg von Hardenberg zur Welt kam.
Ab 1939 wurde sie von dem Bruder ihres Vaters und dessen Frau in Europa erzogen. Der Onkel war Diplomat. Nach dem Internat in der Schweiz arbeitete sie fünf Jahre in Bonn bei der französischen Presseagentur AFP. 1958 heiratete sie den damaligen Erbprinzen Moritz-Casimir, der nach dem Tod seines Vaters Fürst Adolf 1977 Fürst zu Rheda wurde. Vier Söhne kamen zur Welt. Christoph verunglückte 1987 tödlich. Nach dem Tod ihres Mannes wurde ihr Sohn Maximilian Fürst zu Rheda. „Trotz meines Umzugs von Herzebrock nach Rheda vor fünf Jahren ist meine emotionale Verbindung zu den Menschen in Herzebrock unverändert stark. Dort wird heute weitergefeiert."