Neue Serie „1968 – Land im Aufbruch“: Die Jugend begehrt auf

Bielefeld. Ostwestfalen-Lippe war kein Ort der radikalen Avantgarde, aber die 68er-Bewegung erschüttert auch die Region. &bdquo;Das Protestpotenzial war vor allem in Bielefeld bemerkenswert", sagt der Bielefelder Historiker Hans-Jörg Kühne. &bdquo;1986 war wie kein anderes Jahr des 20. Jahrhunderts eines der Jugend- und Protestkultur." Die Proteste gegen die Benennung der neuen Kunsthalle in Bielefeld – einer Gabe der Familie Oetker – nach Richard Kaselowsky sind der Beginn einer Welle von Demonstrationen. Die Jugend in OWL begehrt auf. KUNSTHALLE BIELEFELDRichard Kaselowsky, Stiefvater des Unternehmenspatriarchen Rudolf-August Oetker, gehörte der NSDAP an und war im Freundeskreis von SS-Chef Heinrich Himmler. &bdquo;Als die Bielefelder Studenten erfahren, dass Rudolf-August Oetker der Kunsthalle den Namen Richard-Kaselowsky-Haus geben will, bricht der Protest von allen Seiten los", erklärt Kühne. Zu Tausenden ziehen Bielefelder durch die Stadt und zeigen der Politik, was sie von der Allgegenwart des Nationalsozialismus halten. &bdquo;Die Demonstrationen gegen die Benennung der Kunsthalle stehen 1968 symbolhaft für die erst jetzt breit einsetzende Auseinandersetzung der Nachkriegsgesellschaft mit der NS-Zeit." Auf Plakaten heißt es &bdquo;Ratsbanausen, Ratsbanausen, lasst den braunen Namen sausen", &bdquo;Nach dem Kaselowsky-Haus die Himmler-Uni?" oder &bdquo;Rat trat in den Puddingtopf". Der Protest ist erfolgreich: Aus der geplanten Eröffnungsfeier der Kunsthalle mit 1.200 Gästen bleibt lediglich eine stille Übergabe. NRW-Ministerpräsident Heinz Kühn sowie die Bundesminister Gustav Heinemann und Gerhard Stoltenberg lassen sich entschuldigen und der Gütersloher Komponist Hans-Werner Henze, der eigens für die Eröffnungsfeier ein Klavierkonzert geschaffen hatte, zieht sein Werk erbost zurück. UNIVERSITÄT BIELEFELDAuf den Protest gegen die Benennung der Kunsthalle folgen weitere Demonstrationen Schlag auf Schlag. &bdquo;Auch die Gründungsphase der Universität Bielefeld ist von massiven Protesten für mehr Mitbestimmung begleitet", erklärt Kühne. Demonstranten blockieren die Abreise der Partygäste von der Grundsteinlegung der Universität und der Soziologe Helmut Schelsky stolpert wie Familie Oetker über seine Vergangenheit. &bdquo;Als bekannt wird, dass sich Schelsky 1934 als junger Mann für die Ideen der Nationalsozialisten begeistert hatte, kostet ihn das die Stelle des Gründungsrektors", sagt Kühne. &bdquo;Schelskys weit zurückliegende Begeisterung für den Nationalsozialismus wird übrigens dank Recherchen aus der Konkurrenzstadt Paderborn bekannt, die sich damals vergeblich als Standort für die Reformuniversität bewirbt." BEDEUTUNGBezeichnend für die 68er-Bewegung ist nach Einschätzung Kühnes der Zusammenschluss vieler unterschiedlicher Gruppen. &bdquo;Ob Friedensaktivisten, Frauenrechtler, Atomkraft-Gegner, Jugendgruppen, Umweltaktivisten, Bürgerrechtler oder Studentenbewegungen – sie alle kämpfen für mehr Mitbestimmung und lösen damit einen gesellschaftlichen Umbruch aus", sagt Kühne. &bdquo;Mit ihrem Engagement haben sie neues Handeln und Denken bewirkt und so alle Lebensbereiche verändert." Den Demonstranten, vor allem Studenten aus gut situierten Familien, schlägt jedoch großer Hass entgegen. &bdquo;Sie werden in großen Teilen der Gesellschaft als langhaarige Gammler abgetan." Selbst der Rock- und Popmusik jener Jahre als vornehmster Botschafter des Aufbruchs steht ein allgemeines Unverständnis gegenüber, so Kühne. Der Protest gegen die Altvorderen und für mehr Mitbestimmung ist laut Kühne aber lange vor 1968 in der Welt. &bdquo;Der Protest lässt sich nicht auf 1968 beschränken, auch wenn das Jahr der Bewegung ihren Namen gegeben hat", sagt Kühne, der mit seinen Studenten auf das Jahr 1968 und seine Errungenschaften zurückblicken wird. Der Titel des Seminars: &bdquo;50 Jahre danach: Die Geschichte der 68er und ihre Musealisierung."

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