Frau Topmöller, Herr Lichy, Glückwunsch zu 21 Jahre Klimatisch. Passend dazu hat Ihnen ja EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen jüngst mit dem Versprechen, eine Billion Euro für den Klimaschutz auszugeben, ein tolles Geburtstagsgeschenk gemacht.
Mario Lichy: Wobei man sich fragen muss, wie und wofür das Geld ausgegeben wird oder ob es eine Luftnummer ist.
Brigitte Topmöller: Trotzdem schön! Was davon in Gütersloh landet, wird man sehen. Für uns sind solche Fördermittel natürlich wichtig, um das, was wir seit 20 Jahren machen, nämlich Altbausanierung, und somit etwas zum Klimaschutz beizutragen, weiter voranbringen können.
Wie ist die Bilanz der vergangenen 21 Jahre – was ist gut gelaufen, was schlecht, was muss besser gemacht werden?
Topmöller: Im Rahmen des städtischen Altbauförderprogramms wurden bisher mehr als 400 Objekte mit etwa 740 Wohneinheiten modernisiert. Die jährliche Energieeinsparung erreicht inzwischen über zwölf Millionen Kilowattstunden und die CO2-Minderung beträgt mehr als 4.000 Tonnen pro Jahr. Insgesamt übersteigen die Gesamtinvestitionen zwölf Millionen Euro, die überwiegend von den hiesigen Handwerkern umgesetzt wurden.
Klimaschutz scheint sich als Geschäftsmodell etabliert zu haben. Anders als der Umweltschutz, der mit Verzicht zu tun hat, geht es beim Klimaschutz in erster Linie ums Geldausgeben, oder, wie Sie sagen, um Investitionen?
Lichy: Man könnte es auf diese einfache Formel bringen, aber beide Themen sind miteinander verwoben und komplex. Umwelt- und Klimaschutz gehen Hand in Hand. Verzicht ist immer etwas, was schwer fällt, vor allem, weil wir alle einen gewissen Komfort haben. Allerdings kann man Energie auch ohne Komfortverlust sparen, zum Beispiel, indem ich das Licht in ungenutzten Räumen ausschalte oder die Heizung runter drehe, wenn ich nicht da bin. Immer mehr übernimmt das mittlerweile auch schon die Technik, Stichwort Smarthome.
Als Sie vor 20 Jahren mit Ihrer Arbeit begannen, wie sah es da mit Fördermöglichkeiten aus?
Lichy: Als der Klimatisch damals in Kombination mit einem städtischen Förderprogramm gegründet wurde, war die Förderlandschaft kompliziert. Man musste die Mittel sehr aufwendig beantragen. Das führte dazu, dass die Gelder zum Großteil gar nicht in Anspruch genommen wurden. Mit dem städtischen Förderprogramm konnten wir diese Hürde abschaffen und so sehr erfolgreich arbeiten. Mit einem Euro, der gefördert wurde, konnten wir acht D-Mark Investitionen hervorrufen. Seit der Euro-Umstellung ist das Verhältnis etwa bei 1:13.
Fördermittel für den Klimaschutz gibt es mittlerweile wie Sand am Meer . . .
Lichy: Gerade wenn es um den Bereich energetisches Sanieren oder energetische Neubauten geht. Damit hat die KfW vor etwa 15 Jahren angefangen. Diese Programme sind erfolgreich, die Fördermittel werden häufig angefragt. Zumal die KfW auch mit den Hausbanken zusammenarbeitet. Früher wussten viele Bankberater gar nicht, dass es diese Kredite gibt oder sie haben sie nicht gerne verkauft. Inzwischen weisen die Berater direkt darauf hin.
Die Banken vermitteln Kredite?
Lichy: Ja. KfW-Mittel gibt es ja nicht nur für Verbraucher, sondern auch für Unternehmen. Ein Unternehmer, der beispielsweise seine Beleuchtung im Geschäft erneuern oder neue Geräte in der Produktion anschaffen möchte, spricht seinen Bankberater an, der die Anfrage dann an einen Energieeffizienzexperten weiterleitet, der sich dann wiederum kümmert.
Wer fördert noch außer der KfW?
Topmöller: Es gibt eine Reihe von Bundesbehörden wie das BAFA, also das Bundesamt für Wirtschaft und Ausfuhrkontrolle. Außerdem gibt es vom Land Geld aus verschiedenen Töpfen. Da fällt es manchmal schwer, den Überblick zu behalten.
Lichy: Man kann uns dazu gern ansprechen, wir helfen bei Fragen weiter. Viele Förderprogramme sind ja mittlerweile kumulierbar. Ein Beispiel: Wenn ich mich ab dem 24. Januar entschließe, meine alte Ölheizung gegen eine Holzpelletheizung auszutauschen, bekomme ich 50 Prozent der Investition gefördert.
Trotzdem kommt nicht jeder automatisch in den Genuss von Fördermitteln oder Krediten.
Lichy: Das stimmt. Nehmen wir jemanden, der ein Haus geerbt hat oder sein Haus noch abbezahlt, dieses aber energetisch sanieren möchte. Man kommt da schnell auf einen fünfstelligen Betrag, den viele nicht haben. Meist gibt die Bank dann keinen Kredit, weil sie kurzfristig denkt. Wenn jemand mit einer Sanierung statt 4.000 nun nur noch 2.000 Euro Kosten hat, dann rechnet sich das ziemlich schnell.
Das Geldproblem betrifft doch auch die öffentliche Hand?
Lichy: Ja. Auch hier fehlt Geld. Daher können beispielsweise die Schulen nur nach und nach energetisch saniert werden, vielleicht eine Komplettsanierung pro Jahr. Das ist natürlich viel zu wenig und geht zu langsam.
Topmöller: Ein besonders negatives Beispiel ist die aktuelle Diskussion um die Kosten für die dritte Gesamtschule, wo sogar der Passivhausstandard zur Disposition stand, was einfach unvernünftig wäre.
Was wäre besser?
Topmöller: Es gibt viele Kommunen, wo beispielsweise ein Passivhausstandard Beschlusssache ist. Das muss dann gemacht werden und wenn man vernünftig plant, kostet es auch nicht gleich das Doppelte.
Die Technik für den Klimaschutz hat sich rasant weiterentwickelt. Können Sie Beispiele nennen?
Topmöller: Ich erinnere mich, dass ich im Jahr 2000 den ersten Kunden hatte, der eine Pelletheizung einbauen wollte, wir aber Schwierigkeiten hatten, Referenzen zu finden. Heute ist das eingeführte Technik, es gibt sogar Pelletheizung mit Brennwertnutzung. Ähnlich ist es mit den Wärmepumpen, die heute im Neubau fast Standard sind. Und natürlich haben sich die Förderprogramme an die Technik angepasst. Photovoltaik ist beispielsweise ein Thema, das erst durch Förderung in den Markt gebracht wurde.
Lichy: Andererseits sehen wir, wie Förderungen gekürzt werden, beispielsweise bei Blockheizkraftwerken. Wenn wir weg wollen von fossilen Energien, dann ist das ein wichtiges Thema, zumal man Blockheizkraftwerke ja auch mit regenerativen Energien wie Biogas betreiben kann. Gerade hier könnte man einen großen Beitrag zur Energiewende leisten.
Sie als Klimatisch konzentrieren sich ausschließlich auf Altbausanierung?
Topmöller: Nicht nur. Auch Beratung zum Neubau gehört dazu. Wir als Klimatisch beraten allerdings nicht selbst, sondern unsere Mitglieder, also die knapp 90 Firmen, die dazugehören. Dabei geht es um Synergieeffekte.
Wird sich der Klimatisch auch für andere Bereiche öffnen?
Topmöller: Das machen wir bereits. Beispielsweise beschäftigen wir uns mit dem Stadtklima. Wir haben mit den letzten heißen Sommern gesehen, wie wichtig Bäume für den Schatten sind oder als Sauerstofflieferanten. Zudem versuchen wir, vermehrt ökologische Baustoffe einzusetzen, man muss nämlich nicht zwangsläufig mit Polystyrol dämmen.
Seit etwa einem Jahr ist das Thema Klimaschutz vor allem wegen der Friday-for-Future-Bewegung im Bewusstsein einer breiten Öffentlichkeit angelangt. Macht sich das auch bei Ihrer Arbeit bemerkbar?
Lichy: Das würde ich nicht sagen. Wir beobachten seit etwa drei, vier Jahren einen deutlichen Anstieg der Anfragen.
Topmöller: Das hat vor allem mit der langfristigen Niedrigzinspolitik zu tun. Weil Kredite sehr günstig sind, investieren viele Hausbesitzer in ihre Gebäude und somit in die Zukunft.
Auch weil der Staat die Rahmenbedingungen modifiziert hat?
Lichy: Mittlerweile ist man gezwungen, über das Thema regenerative Energien nicht nur nachzudenken, sondern sie auch tatsächlich einzusetzen. Das hat sich sehr positiv entwickelt. Etwas enttäuscht waren wir von dem neuen Entwurf des Gebäudeenergiegesetzes, das keine weiteren Verschärfungen vorsieht, obwohl wir ja von der EU verpflichtet sind, ab 2021 Neubauten nur noch im Niedrigstenergiegebäudestandard zu errichten.
Das heißt?
Lichy: Der Niedrigstenergiegebäudestandard sollte entsprechend der vom Bund beauftragten Studien ungefähr dem Standard eines KfW-Effizienzhauses 55 entsprechen. Allerdings ist man mit der seit dem 1. Januar 2016 gültigen Energieeinsparverordnung der Meinung, dass 25 Prozent weniger Primärenergiebedarf vollkommen ausreichen, um diesen Standard zu erfüllen.
Dabei wurde die Verbesserung des Wärmeschutzes komplett ausgeblendet. Ich finde das traurig, vor allem, wenn man an Bauherren denkt, die sich noch nie mit dem Thema auseinandergesetzt haben. Die bauen ein Haus und denken, der Gesetzgeber fordert eine Menge, da bin ich schon vorne mit dabei, und wenn man dann sieht, wie weit diese Energieeinsparverordnung noch von dem heutigen Passivhausstandard entfernt ist, dann ist das erschreckend. Wir als Klimatisch empfehlen, wenn es das Grundstück hergibt, das Haus in Passivhausbauweise zu erstellen.
Sie führen den Klimatisch seit über 20 Jahren. Wie sieht es mit Nachwuchs aus?
Lichy: Das ist in der Tat nicht so einfach. Wir sind auf der Suche und sprechen auch Jungunternehmer an, doch die meisten sind in ihren eigenen Betrieben eingespannt, weil die Auftragslage derzeit gut ist. Wir brauchen Architekten und Ingenieure, am besten mit einem Netzwerk, die sich ein bisschen ehrenamtliche Arbeit nebenbei vorstellen können. Also quasi uns vor 20 Jahren.
Wenn ich mich entschließe, meinen Altbau sanieren zu lassen – welchen zeitlichen Rahmen muss ich von der Idee bis zur Ausführung einplanen?
Topmöller: Das Problem ist, dass die Auftragsbücher der Handwerker derzeit voll sind. Ein Beispiel: Ich hatte im Mai vergangenen Jahres bei einem Dachdecker angerufen, der mir sagte, er ist bis Ende des Jahres ausgelastet. Vorlaufzeiten von einem halben oder einem dreiviertel Jahr sind auch in anderen Gewerken keine Seltenheit. Viele Handwerker haben kaum Nachwuchs und können sich vor Aufträgen nicht retten. Auch die Preise sind gestiegen. Das bremst den Klimaschutz aus. Übrigens merken das auch die Kommunen. Wenn die Aufträge ausschreiben, bekommen sie zum Teil gar keine Angebote. Oder nur eins, das sie dann nehmen müssen. Was natürlich wieder die Kosten hochtreibt.
Wie realistisch gesehen ist die von der EU angestrebte Klimaneutralität bis 2050?
Lichy: Schwierig. Legt man die Pareto-Regel zugrunde, die besagt, dass man mit 20 Prozent Aufwand 80 Prozent der Arbeit schafft, aber für die letzten 20 Prozent noch einmal 80 Prozent des Aufwandes erbracht werden muss, dürfte das lange dauern. Wir merken, dass die ersten Prozente bisher relativ leicht waren. Wir sind jetzt bei der Stromversorgung in Deutschland bei knapp 40 Prozent Anteil an erneuerbaren Energien. Allerdings wird der Anteil nicht in der gleichen Geschwindigkeit steigen. Bis wir auf 100 Prozent sind – das wird lange dauern. Und mit einer Billion Euro wird man auch nicht weit kommen. Realistisch wäre das Zehnfache.