Den Vorweihnachtsstress einfach wegmeditieren - ein Selbstversuch

Gütersloh. Das ganze Jahr über hört man nicht so viele Menschen über Stress klagen wie in der Vorweihnachtszeit. Irgendwas ist immer: Im Büro verdichtet sich die Arbeit, weil die Hälfte der Kollegen noch Resturlaub abzufeiern hat; die Tochter ist seit ein paar Monaten Veganerin und lehnt es nun ab, wie jedes Jahr an Heiligabend Kartoffelsalat und Würstchen zu essen; vor dem Fest einen Termin beim Friseur zu bekommen, ist so gut wie ausgeschlossen; außerdem sind noch nicht alle Geschenke besorgt – und was ist eigentlich mit dem Baum? Kein Wunder, dass das Gedankenkarussell in diesen Tagen Geschwindigkeitsrekorde bricht. Wer regelmäßig meditiert, kann das Kopfkino kontrollieren, heißt es. Aber funktioniert das wirklich? Viele Menschen schwören abends eher auf die Wirkung einer Flasche Wein, um Abstand vom inneren Lärm und Getöse zu bekommen. Andere lenken sich mit der Netflix-Strategie ab, und manche tun beides. Ich will es seit langem mal wieder mit Meditation versuchen und habe mir Unterstützung bei einem Profi gesucht. Die Gütersloher Psychologin Ulla Aulenbacher Werche hat seit 1990 eine eigene Praxis für Coaching, Leadership, Konfliktlösung und Kommunikation – und eine Ausbildung in Zen und Meditation. Die Wirkung wird auch wissenschaftlich untersucht Lao Tse sagte darüber: &bdquo;Mache dich völlig leer. Lass den Geist still werden." Das klingt ganz leicht und zugleich so schwer. Vielleicht war es im überschaubaren Leben des 6. Jahrhunderts vor Christus, in dem der legendäre chinesische Philosoph gelebt haben soll, auch einfacher als im komplexen 2019. Außerdem hatten die Mönche ihr Leben lang Zeit, sich im gedankenfreien Bewusstsein zu üben und tun es heute noch. Die Wirkung wird seit einigen Jahren auch neurowissenschaftlich untersucht. Hirnscan-Studien mit buddhistischen Mönchen haben gezeigt, dass sich das Gehirn nach jahrelanger Meditationspraxis offenbar drastisch verändert: Weniger Dichte der grauen Substanz an der Amygdala, die für die Verarbeitung von Stress und Angst wichtig ist, dafür mehr Dichte im Hippocampus und Regionen, die für Selbstwahrnehmung und Mitgefühl zuständig sind. Die 16 Mönche aus der Studie hatten allerdings mindestens 10.000 Stunden Meditationspraxis auf dem Buckel. Ich hingegen habe mich wie die meisten Menschen, die ich kenne, den größten Teil meines Lebens erfolgreich vor diesem Thema gedrückt. Dabei bin ich spirituellen Themen gegenüber durchaus aufgeschlossen: Ich habe schon vier Wochen mit einem Haufen nackter Hippies in einem slowakischen Wald gelebt, an schamanischen Schwitzhüttenzeremonien teilgenommen, bin zu Sonnenwendfeiern an die Externsteine gefahren und habe auf Traumreisen meine Krafttiere getroffen – aber Meditation? Lieber nicht. Ich konnte mir einfach nicht vorstellen, dass ich das kann. Beim Versuch elegant aufzustehen, ging ich sofort zu Boden Bis ich vor zwei Jahren eine vierwöchige Auszeit in einem überkonfessionellen Kloster nahe Wismar nahm. Dort kam ich nicht mehr daran vorbei. Die erste Meditationsrunde, zu der ich um fünf Uhr morgens hinter den anderen her in den großen Saal geschlichen war, endete in einem Fiasko. Fast hätte ich es geschafft, die halbe Stunde ruhig zu bleiben, aber von Entspannung keine Spur. Denn etwa nach der Hälfte der Zeit entwickelte sich das leichte Kratzen, das ich im Hals hatte, zu einem ernstzunehmenden Hustenreiz. Kurz bevor der Gong meiner Qual ein Ende bereiten konnte, hielt ich es nicht mehr aus und wollte den Raum verlassen, um die anderen nicht zu stören. Doch bei meinem Versuch, mich so leise und elegant wie möglich aus dem Schneidersitz zu erheben, ging ich sofort zu Boden. Meine Beine waren eingeschlafen und vollkommen taub, so dass ich prustend und mit Tränen in den Augen in der Mitte des Meditationskreises aufschlug. Mit der Zeit gewöhnte ich mich dann an das lange Sitzen und hatte immer ein Salbeibonbon im Mund. Und ich fand tatsächlich Gefallen daran, dem Kopf jedes Mal ein bisschen mehr Stille abzuringen. Trotzdem habe ich seitdem alleine nur viermal meditiert, wenn es hochkommt. &bdquo;Schlicht, pragmatisch und überhaupt nicht esoterisch" Jetzt sitze ich in Ullas Meditationsraum in der alten Wassermühle an der Dalke mit einer Tasse Lavendeltee, während sie erklärt, worauf es beim Zazen, der Meditation im Sitzen, ankommt. &bdquo;Zen ist schlicht, pragmatisch und überhaupt nicht esoterisch. Es hat eine lange Tradition in der japanischen Kultur, wo viele Führungskräfte bis heute zunächst im Zazen ausgebildet werden: erstmal zur eigenen Kraft und Klarheit finden." Auch zu ihr kommen regelmäßig Banker und Manager, um sich in der Kunst der Achtsamkeit und Stille zu üben. &bdquo;Zen ist absolut kompatibel mit den Anforderungen in Wirtschaft und Alltag. Die Übung hilft, die eigene Mitte auszuloten zwischen Anspannung und Entspannung, Fokus und Gelassenheit." Wer möchte, kann neben dicken Socken, einer Decke und bequemer Kleidung auch ein Thema mitbringen, das einen gerade beschäftigt. Mir ist nichts richtiges eingefallen, ich will eigentlich nur den Kopf freibekommen und wieder einen Anschluss finden. Neben mir sitzt Thomas aus Bielefeld, der schon seit einem Jahr zu Ulla geht und jedes Mal begeistert ist von der Erfahrung des gedankenfreien Bewusstseins, wenn es klappt. Das tut es mal mehr und mal weniger, selbst Profis erreichen nicht immer das Nichts. &bdquo;Aber wenn, ist es wie ein Kurzurlaub", sagt er. "Die Gedanken betrachten, wie Wolken am Himmel" Nach ein paar Lockerungsübungen geht es los. Wir hocken uns auf unsere Meditationskissen, den Rücken gerade, aber nicht angespannt, Knie am Boden und die Füße zur Seite, die Hände über dem Bauch gefaltet. &bdquo;Den Atem betrachten, wie er ganz natürlich ein- und ausströmt. Auch die Gedanken betrachten, wie Wolken am Himmel: Sie tauchen auf und ziehen weiter", sagt Ulla. Wir schließen die Augen und mit dem Gongschlag beginnen dreißig Minuten, in denen wir uns regungslos auf die Stille konzentrieren. Denn jegliche Bewegung ist unerwünscht, weil sie ablenkt. Und wenn es irgendwo juckt? &bdquo;Das Jucken wahrnehmen und betrachten – und wie die Gedanken weiterziehen lassen", sagt Ulla. Natürlich juckt es, bei mir ist es eine Stelle am Kinn. Doch diesen Reiz zu ignorieren, ist gar nicht so schwer wie man denkt. Tatsächlich zieht es vorbei, genauso wie meine Gedanken, die anfangs noch um die Arbeit kreisen. Viel schwieriger ist es, anderen zu erklären, wo man eine halbe Stunde lang war und ob das nicht langweilig ist. Vielleicht ist das ja der größte Kick beim Meditieren: Die Erfahrung, wie relativ die Zeit ist. Erst zieht sie sich, dann ist sie um. Der Schlüssel liegt in der Atmung Gedanken, Träume und Gefühle bei vollem Bewusstsein zuzulassen, sie aber nicht zu bewerten, ist ein Prozess, dessen Schlüssel in der Atmung liegt. Das kann jeder ganz einfach selbst ausprobieren: Wenn man die Augen schließt und sich nur darauf konzentriert, wie der Körper atmet, tritt alles andere ganz von selbst zurück. Buddhistische Mönche praktizieren das über mehrere Stunden und würden über unsere 30 Minuten wahrscheinlich nur milde lächeln. In der Pause strecken wir unsere Glieder, eingeschlafen ist diesmal nichts. Die Anspannung, mit der ich kam, ist einem wohligen und frischen Gefühl gewichen. Mein Verstand ist nach diesem geistigen Workout klar und fokussiert – als hätte mein Gehirn einen Pfefferminzdrops gelutscht. Ulla möchte wissen, wie es für uns war und ob wir bereit sind für eine zweite Runde Zazen. Sind wir. Wir lachen uns an, schließen die Augen und atmen. Ein und aus.

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