Herr Griepentrog, Sie helfen jungen Leuten, die von Studium oder Ausbildung enttäuscht sind und Sorgen haben. Wer sind diese Menschen?
MARTIN GRIEPENTROG: Man kann die jungen Leute grob in drei Gruppen einteilen. Die erste, relativ große Gruppe sind die Irrtumswähler, die über einen Studien- oder Ausbildungsabbruch innerhalb der ersten Monate nachdenken, weil sie vorher nicht gründlich genug überlegt haben, ob das für sie der richtige Weg ist. Die zweite Gruppe sind die mittleren Semester mit Leistungsproblemen, die aufgrund nicht bestandener Prüfungen raus wollen. Drittens gibt es noch Langzeit-Studierende ab zehn Semester, die den inneren Anschluss verloren haben.
Mit welchen Sorgen und Problemen kommen die?
GRIEPENTROG: Oft sind es Leistungsprobleme, aber auch das Gefühl, mit dem Hochschulsystem und mit der Art, wie gearbeitet und gelernt wird, nicht zurecht zu kommen. Manchmal sind es auch falsch gewählte Fächer. Hinzu kommt oft die Sorge, vor anderen als Versager dazustehen. Auch das Thema Geld spielt eine Rolle. Einige haben Angst, aus finanziellen Gründen das Studium nicht durchhalten zu können.
Was raten Sie Ratsuchenden?
GRIEPENTROG: Die Betroffenen sollten gut in sich hineinhorchen, um eine neue individuelle Entscheidung bei der Wahl des Berufs beziehungsweise des Studiengangs zu treffen. Wenn gewünscht, helfen wir vom Hochschulteam dabei, Wünsche und Stärken herauszufinden, damit jeder in Ruhe und mit großer Sorgfalt schauen kann, welche beruflichen oder studienbezogenen Ideen besser passen als der ursprünglich gewählte Weg.
Kann man Sie jederzeit um Rat und Hilfe bitten?
GRIEPENTROG: Man kann jederzeit zu uns in die Jugendberufsagentur an der Herforder Straße in Bielefeld oder auch direkt in die Uni kommen und einen Termin vereinbaren. Außerdem bieten wir einmal im Halbjahr einen zweitägigen Workshop zum Thema an. Der nächste findet am 23. und 24. Januar statt. Auf dem Programm stehen unter anderem ein Erfahrungsaustausch im geschützten Rahmen und eine Bestandsaufnahme von Erfolgen, Neigungen sowie Interessen, damit im Anschluss neue Ausbildungs- oder Studienideen entstehen.
Wie hat sich die Zahl der Abbrecher in den vergangenen Jahren entwickelt?
GRIEPENTROG: Studien belegen, dass der Anteil der Studienaussteiger an der Gesamtzahl der Studierenden seit Jahren gleich bleibt. Man schätzt sie auf etwa 30 Prozent. Allerdings ist diese Zahl schwer zu erheben, weil eine Hochschule nie hundert Prozent weiß, wo die früheren Studierenden abgeblieben sind. Wer sein Studium woanders fortsetzt, gilt ja nicht als Abbrecher.
Gibt es auch „Mehrfachtäter"?
GRIEPENTROG: Die gibt es, sie sind aber selten. In den allermeisten Fällen ist die zweite Entscheidung tragfähig.
Gibt es Bereiche, die besonders auffällig sind?
GRIEPENTROG: Nein, das geht quer durch die Bank. Man weiß allerdings aus überregionalen Statistiken, dass diejenigen Studienfächer, die einen harten Numerus Clausus haben, also beispielsweise Medizin oder Psychologie, weniger vom Studienabbruch betroffen sind. Das liegt wahrscheinlich daran, dass sich diese Studierenden vorher intensiver mit ihrer Wahl auseinandergesetzt haben. Außerdem können Einser-Abiturienten viel Lernstoff besser verarbeiten und diesen bei Prüfungen gut wiedergeben.
Beginnen junge Leute heute noch ein Studium oder eine Ausbildung, weil Eltern das möchten?
GRIEPENTROG: Das kommt immer noch vor. Es ist zwar nicht die Masse, doch in individuellen Beratungsgesprächen kommt immer mal wieder der Hinweis, dass die Eltern oder das nahe Umfeld eine bestimmte Richtung stark befürwortet haben und man sich daher hat drängen lassen.
Kommen manchmal auch Eltern zu Ihnen?
GRIEPENTROG: Selten. Sie spielen jedoch im Hintergrund, also in Geschichten und Berichten, oft eine Rolle. Allerdings machen sie oft den ersten Schritt und vereinbaren einen Beratungstermin. Selbstverständlich dürfen Ratsuchende auch ihre Eltern mitbringen, das kommt aber eher selten vor, und wenn überhaupt, dann nur mit einem Elternteil.
Was raten Sie Eltern, die enttäuscht von ihren Kindern sind?
GRIEPENTROG: Es ist normal, dass Eltern enttäuscht sind, wenn ihr Kind einen ursprünglich angefangenen Weg nicht zu Ende gehen will. Eltern sollten zu dieser Enttäuschung stehen, sie aber ihrem Kind nicht ungefiltert und mit voller Wucht spiegeln. Vielmehr sollte man den jungen Erwachsenen signalisieren, dass die Familie in dieser schwierigen Situation des Umbruchs hinter ihnen steht. Bei vielen Ratsuchenden ist das auch so. Ich habe allerdings auch immer wieder mit Leuten zu tun, die ernsthafte Probleme haben, ihren Eltern die Wahrheit zu sagen.
Haben Sie einen Tipp, wie man es von Anfang an richtig macht?
GRIEPENTROG: Ein Patentrezept gibt es nicht. Man sollte versuchen, eine individuelle, auf die eigene Persönlichkeit abgestimmte Wahl zu treffen, so schwierig das im Jugendalter auch ist. Wenn ich eine Ausbildung oder ein Studium auswähle, für das ich ein stabiles, persönliches Interesse aufbringe, macht mir das Lernen viel mehr Spaß. Entscheide ich mich für etwas, das mich nicht interessiert und woran ich keinen Spaß habe, dann fällt das Lernen auch schwer. Daran sollte man immer denken.