Bielefelder radelt auf Maos Spuren quer durch China

Herr Schmidt, wie verrückt muss man eigentlich sein, als Untrainierter eine siebentausend Kilometer lange Radtour durch China auf den Spuren von Maos legendären &bdquo;Langen Marsch“ zu wagen? Christian Y. Schmidt: Mindestens ein bisschen, vor allem in meinem Alter. Wie alt sind Sie denn? 68 und in der Tat, bin ich untrainiert gestartet. Und was hat sie zu dieser Verrücktheit getrieben? Nach fünf Jahren Schreibtischarbeit an meinem Roman &bdquo;Der letzte Huelsenbeck“ – der übrigens zu weiten Teilen in Bielefeld spielt – wollte ich dringend mal wieder an die frische Luft. Als dann Volker Häring mit der Idee auf mich zukam, die Route von Maos legendärem &bdquo;Langen Marsch“ von 1934/35 mit E-Bikes abzufahren, versprach mir das einerseits mehr Bewegung und andererseits die Chance, mehr über Otto Braun zu erfahren. Otto, wer? Otto Braun war ein legendärer bayerischer Berufsrevolutionär und sowjetischer Geheimagent, der in China zeitweise das informelle Kommando über Maos &bdquo;Langen Marsch“ hatte. Er fasziniert mich seit vielen Jahren, denn es gibt zwar viele Geschichten über ihn, aber keine umfassende Biografie. Für mich bot sich mit dieser Radtour daher die große Gelegenheit, tiefer in die Lebensgeschichte Otto Brauns einzutauchen und seine Rolle an der Seite Maos zu erhellen. Auch interessant: Ein Bürgerschreck kehrt heim Was hat Sie auf der knapp fünf Monate dauernden Tour am meisten überrascht? Ich habe 17 Jahre in China gelebt, kenne also das Land, aber mich hat dennoch die Vielgestaltigkeit und Vielfalt von Land, Landschaft und Leuten einmal mehr fasziniert. Besonders erstaunt hat mich und Volker dabei vor allem, dass sich nicht nur die Metropolen so rasant entwickelt haben, sondern auch die Provinzen. Selbst die bisher besonders armen Provinzen haben unglaublich aufgeholt. Es ist wirklich erstaunlich, wie viel sich in Sachen Wohnungs- und Straßenbau, beim Ausbau der Schnellzugtrassen getan hat. Das zu sehen, hat uns regelrecht umgehauen. Und wie haben Sie die Menschen selbst erlebt? Vor allem auf dem Land sind sie allesamt sehr herzlich und hilfsbereit gewesen. Immer wieder wurden wir zum Essen eingeladen, steckte man uns kleine Geschenke auf unseren Touren zu und versorgte uns mit Essen oder Getränken. In Großstädten, wo Ausländer eher zum Alltagsbild gehören, sind die Menschen aber deutlich distanzierter. Und die Pekinger sind zu Ausländern genauso unfreundlich wie zu ihresgleichen. Da unterscheiden sie sich nicht von Berlinern. Konnten Sie sich frei bewegen oder wurden Sie auf Ihrer Tour polizeilich überwacht? In China meldet jedes Hotel seine Gäste bei der Polizei; dadurch wussten die Behörden natürlich lückenlos, dass wir und wo wir im Land unterwegs waren. Gelegentlich gab es auch Kontrollen und einmal kam die Polizei ins Hotel, um uns den Besuch eines Klosters zu untersagen. Insgesamt haben uns die Sicherheitskräfte aber weitgehend in Ruhe gelassen, so dass sich unsere anfängliche Sorge, womöglich als &bdquo;embedded Radler“ von Parteisekretär zu Parteisekretär weitergereicht zu werden, in Luft aufgelöst hat. So war es uns möglich, quasi am Wegesrand viele offene Gespräche führen. Kommen wir zum &bdquo;Langen Marsch“, der ja schon 90 Jahre zurückliegt und den Rückzug von Maos Roter Armee von Oktober 1934 bis Oktober 1935 beschreibt, um während des Bürgerkriegs der Einkreisung durch die Armee Chiang Kai-sheks zu entgehen. Wie sehr ist der überhaupt noch präsent in der Bevölkerung? Um es kurz zu sagen: Sehr, denn dieser taktische Rückzug von Maos Truppen ist nicht weniger als der Gründungsmythos der Volksrepublik. Und der wird ständig in neuen Filmen, Serien und Büchern gewürdigt, beschworen und so wachgehalten. Chinas Staatspräsident Xi Jinping stimmte zum Beispiel im Jahr 2019 seine Landsleute ganz bewusst und symbolträchtig am Ausgangspunkt des historischen &bdquo;Langen Marsches“ in Yudu auf den aktuellen Handelskonflikt mit den USA ein, in dem er einen &bdquo;neuen langen Marsch“ verkündete. Eine Art Appell an Chinas Bürger, den er historisch unterfütterte und so verstärkte. Wie präsent ist der &bdquo;Lange Marsch“ entlang der Strecke überhaupt noch? Gibt es Relikte zu entdecken? Die Chinesen haben stark in die Route und deren Kennzeichnung mittels Markierungen, Flaggen, Denkmälern und neuen Museen investiert, denn es gibt mittlerweile einen regelrechten &bdquo;roten Tourismus“ – vor allem am Start und Ziel sowie zentralen Orten des Marsches. Aber von einem chinesischen Jakobsweg würde ich noch nicht sprechen. Denn es gibt weiterhin lange, einsame Abschnitte, die eher unerschlossen, aber dafür landschaftlich spektakulär sind. Lesen Sie auch: Bielefelder Persönlichkeiten schreiben Briefe über ihre Stadt Was hat Sie am meisten enttäuscht auf der Route? Wir waren die ersten Westler, die die komplette Route mit Pedelecs gefahren sind, aber am Endpunkt hat uns unter dem Denkmal mit der &bdquo;Lange-Marsch-Trompete“ an der Brücke über den Beiluo in Wuqi in der Provinz Shaanxi niemand einen triumphalen Empfang bereitet. Es gab nur ein spätes Essen mit einem lokalen Funktionär, der sich aber mehr für Fotoapparate und Fußball interessierte als für unsere Tour. Das war nach 7.000 Kilometern, viereinhalb Monaten im Sattel, Übernachtungen in 98 Orten, 15 Polizeikontrollen und 26 platten Reifen schon ziemlich frustrierend. Zudem wusste ich, dass ich nach der Tour nach Peking zurückkehren und meinen Hausstand würde auflösen müssen. Da ich mich nach 20 Jahren von meiner chinesischen Frau getrennt hatte, war auch meine Aufenthaltsgenehmigung erloschen, und ich gezwungen, auszureisen. So wurde mein Triumphgefühl, die Tour geschafft zu haben, zudem noch von Melancholie überlagert. Das könnte Sie auch interessieren: Die Rückkehr der Super-Redakteure: Fiktiver Journalismus – weltweit Sie schreiben in Ihrem Reisebuch, China habe Sie &bdquo;klüger“ gemacht. Was meinen Sie genau damit? China hat mich in der Tat klüger gemacht, denn ich habe gelernt, Deutschland und den Rest der Welt aus einer Distanz zu betrachten, aus der man manches klarer sieht. Und gelassener bin ich auch geworden. Denn während Deutsche auf ein Problem sofort zumarschieren, um es zu lösen, umkreisen Chinesen es erst mal und schauen, ob es sich von selbst erledigt. Das hat etwas. Wie geht’s nach dem langen Fahrradmarsch weiter? Vielleicht mit einer Umrundung Ihrer Geburtsstadt Bielefeld per Rad? Nach diesen 7.000 Kilometern hätte das etwas von einem Kurzurlaub. Aber wenn Sie einen Sponsor für Rad, Essen und Übernachtung kennen – warum nicht? Volker Häring und Christian Y. Schmid: &bdquo;Der lange Fahrradmarsch – 7.000 Kilometer durch das Reich der Mitte“, 386 Seiten, Ullstein Verlag, Berlin 2025, 19,99 Euro. 📱 News direkt aufs Smartphone: Hier finden Sie den kostenlosen Whatsapp-Kanal der NW-Bielefeld

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