OWL Crime – mit Podcast

Der Tote vom Bielefelder Abenteuerspielplatz und die späte Hoffnung auf Aufklärung

Jahrelang lagen der Mordkommission nicht ausreichend Beweise für den Mord an Erhard Büker vor. Doch modernste Labortechnik hat nun einen vielversprechenden Ermittlungsansatz gebracht.

Der Tatort: In einem Gebüsch dieses Abenteuerspielplatzes an der Albrechtstraße fanden zwei Mädchen den Leichnam von Erhard Büker. | © Polizei Bielefeld

16.10.2025 | 16.10.2025, 02:00

Bielefeld. Zwei neunjährige Mädchen spielen auf dem Abenteuerspielplatz an der Albrechtstraße Verstecken. Sie sind ausgelassen, toben umher. Eines der Mädchen schlägt sich in ein Gebüsch, will im Unterholz verschwinden und stößt unter Ästen und Zweigen auf einen furchtbar im Gesicht zugerichteten Mann – leblos, blutüberströmt, erschlagen.

Erhard Büker (52) wurde in der Nacht auf den 21. März 1990 mit einem Backstein erschlagen. Jahrzehntelang konnte die Mordkommission nicht aufklären, wer den 52-jährigen Bielefelder getötet hat. Jetzt haben die Ermittler der Spezialeinheit für unaufgeklärte Fälle (Cold Cases) wieder Hoffnung, den Fall doch noch aufklären zu können – und das 35 Jahre nach der Tat.

Um über diesen bis heute unaufgeklärten Fall und auch über die neue Hoffnung zu sprechen, die die Kripoermittler seit Kurzem in dem Fall wieder haben, haben sich Ostwestfälle-Moderatorin Birgitt Gottwald und Redakteur Jens Reichenbach zur neuesten Folge des NW-Podcasts zusammengesetzt. Sie sprechen über den brutalen Tod des 52-Jährigen, über die ausführlichen Ermittlungen damals und über ganz neue Analysemöglichkeiten, die den Fall jetzt doch noch – 35 Jahre später – aufklären könnten.

Newsletter
OstwestFälle
Wöchentlich spannende Einblicke in True Crime Fälle aus OWL.

Der Bielefelder Backsteinmord im Überblick:

  • Zwei Kinder finden beim Spielen auf dem Abenteuerspielplatz in der Albrechtstraße die Leiche von Erhard Büker im Gebüsch.
  • Er ist am Abend des 21. März 1990 in der Bielefelder Schwulenszene unterwegs.

  • Später geht er mit seinem Mörder auf den Spielplatz und wird dort von ihm erschlagen.

  • Trotz einer heißen Spur in der DDR wird der Fall zum Cold Case.

  • 2025 starten Ermittler der Cold-Case-Unit in Bielefeld einen Massenspeicheltest, um den Täter nach 35 Jahren doch noch zu fassen.

Regelmäßig in der Bielefelder Schwulenszene unterwegs

Erhard Büker war ledig, arbeitete als Packer in einem Bielefelder Unternehmen und galt als zuverlässig. Die Ermittler damals finden schnell heraus, dass der homosexuelle Mann regelmäßig in Schwulenkneipen und innerhalb der homosexuellen Prostituiertenszene am Hauptbahnhof unterwegs war. Homosexuelle Prostitution war damals noch gesetzlich verboten, entsprechend hatte sich rund um den Bahnhof eine illegale Szene entwickelt.

Mit Backstein erschlagen: Toter Bielefelder im Gebüsch – eine Spur führt in die DDR

Das Mordopfer soll von dort immer wieder jüngere Männer zu sich nach Hause mitgenommen haben. Am Abend vor seinem Tod sei er noch bis 23 Uhr in der Schwulenkneipe Sperlingsgasse gesehen worden. Rund um Mitternacht tauchte er ohne Begleitung noch am Bahnhofsvorplatz auf. Doch was passierte danach?

Die Ermittler gehen damals davon aus, dass der Täter in der Schwulenszene rund um den Hauptbahnhof zu suchen ist. Die Mordkommission versucht, sämtliche Kontaktpersonen von Erhard Büker ausfindig zu machen, überprüft ihre Alibis und nimmt deren Fingerabdrücke. Doch der entscheidende Durchbruch will nicht gelingen.

„Mehr konnten die Kollegen damals eigentlich nicht machen“, sagt Markus Mertens, Leiter der Cold-Case-Ermittlungsgruppe der Kripo Bielefeld. Trotz eines zunächst vielversprechenden Ermittlungsansatzes, der die Bielefelder Beamten bis in die noch existierende DDR führt, wird der Fall Erhard Büker zu einem Cold Case.

Mordopfer Erhard Büker (damals 52 Jahre alt). - © Polizei
Mordopfer Erhard Büker (damals 52 Jahre alt). | © Polizei

DNA-Fragment führt 2003 auch nicht zum Durchbruch

Doch unaufgeklärte Mordfälle werden nie weggelegt. Immer wieder nimmt sich die Kripo die Akten vor. Erst 2003 war es laut Mertens der Kripo Bielefeld gelungen, ein DNA-Fragment an den damals gesicherten Leichenspuren zu identifizieren. „Dieses Fragment war aber nur dazu geeignet, einen Verdächtigen auszuschließen. Damit hätten wir noch nicht den Täter sicher überführen können“, sagt Mertens.

21 Jahre später – im Jahre 2024 – ist die Technik so viel ausgereifter, dass es im Labor gelingt, an den gleichen Spurenträgern diesmal eine vollständige DNA-Spur zu sichern. „Diese DNA am Leichnam kann zur Identifizierung des Täters führen“, sagt der Erste Kriminalhauptkommissar sehr hoffnungsvoll. Nun müssen die Ermittler „nur noch“ die Person mit diesem spezifischen Erbgut finden.

Zum Thema: Raubmord vor 35 Jahren: 100 Personen zum DNA-Test aufgerufen

Kripo-Ermittler starten 2025 einen Massenspeicheltest in Bielefeld

Im August 2025 geht die Kripo mit ihrer erneuten Ermittlungsoffensive an die Öffentlichkeit. Rund 100 in den Akten aufgeführte Personen sollen nun abermals aufgesucht und um eine Speichelprobe gebeten werden. Dieses Massenscreening soll dann im Abgleich mit den Tatortspuren zum Täter führen. Ist der Vergleich negativ, wird die Probe umgehend wieder vernichtet.

Genau das ist bereits im Fall eines damals 23-jährigen DDR-Bürgers geschehen, der seit Juni 1990 unter dringendem Tatverdacht stand, weil ihn Bekannte schwer belasteten. Sie berichteten, dass sie zu dritt geplant hatten, Erhard Büker in Bielefeld zu überfallen. Der 23-Jährige hatte ihn damals zufällig am Bielefelder Bahnhof kennengelernt und dreimal besucht. Mit zwei Komplizen wollte er zurückkehren und den Mann in seiner Wohnung überfallen, um ihm seine Ersparnisse abzunehmen. Doch dazu kam es nicht, Erhard Büker wurde zwei Tage vor dem geplanten Überfall ermordet.

Komplott in der DDR führt zur ersten Festnahme

Einer der Komplizen belastete den 23-Jährigen später schwer, weil er glaubte, der 23-Jährige habe den Bielefelder zwei Tage vor der geplanten Tat alleine aufgesucht und erschlagen. Einen Monat lang saß der 23-Jährige in U-Haft, bis sich der Belastungszeuge in so viele Widersprüche verstrickte, dass der Verdächtige schließlich wieder freigelassen werden musste.

Noch mehr ungeklärte Fälle: Das sind die Bielefelder Cold Cases

Diese Zeugen aus Halle/Saale und Umgebung sind von den Ermittlern 2024 „prioritär“ aufgesucht worden. „Diese Spur ist inzwischen erledigt“, sagt der Cold-Case-Ermittler. Alle drei DNA-Abgleiche verliefen negativ. Die Verdächtigen konnten als Täter ausgeschlossen werden, betont Mertens.

Auch die Spur verstorbener Personen wird weiterverfolgt

Nun geht die Kripo auf die anderen Personen zu, die in der „Mordakte Erhard Büker“ zu finden sind. Das ist in vielen Fällen gar nicht mehr so einfach. Nach Angaben von Mertens lebt etwa ein Fünftel dieser Personen nicht mehr. Trotzdem suchen die Ermittler dafür Stellvertreter dieser Personen für eine Speichelprobe – also nahe Verwandte. Diese haben ein so ähnliches Erbgut, dass die Ermittler die Verstorbenen dann trotzdem als Täter ausschließen könnten – oder eben nicht. Schwieriger wird es, wenn diese Personen gar keine Verwandten mehr haben oder weggezogen oder sogar ausgewandert sind.

Heute findet sich am damaligen Tatort ein sehr moderner, sehenswerter Spielplatz. - © Jens Reichenbach
Heute findet sich am damaligen Tatort ein sehr moderner, sehenswerter Spielplatz. | © Jens Reichenbach

Nach der Erfahrung von Markus Mertens werde man die gut 30 Personen, die noch in Bielefeld leben, nun nach und nach, aber relativ schnell zu einer Speichelprobe bitten. Anschließend wird sich die Suche erfahrungsgemäß hinziehen. Die Hoffnung aber geben die Ermittler nicht auf.

Auch in diesen Fällen gibt es Bewegung: 42 ungelöste Tötungsdelikte in OWL: In diesen Fällen wird nun erneut ermittelt

Tatmotiv: Raub oder Hass auf Schwule

Als Tatmotiv kommen für die erfahrenen Mordermittler übrigens zwei Szenarien in Frage. Erstens: Raub. Erhard Büker hatte damals eine Geldbörse mit 200 DM bei sich. Zweitens: eine tiefe Abneigung gegenüber der homosexuellen Szene. Büker habe sich damals regelmäßig im Milieu der männlichen Prostituierten bewegt. Die Ermittler können nicht ausschließen, dass der Täter große Wut auf diese Szene gehabt haben könnte.

Für die Ergreifung und Verurteilung des Täters wurde inzwischen eine Belohnung von 7.000 Euro ausgelobt. Die Ermittler hoffen, dass der Täter vielleicht zwischenzeitlich sein Schweigen gebrochen und jemandem von der Tat erzählt hat. Hinweise im Fall Erhard Büker erbittet die Kripo unter Tel. 0521 5450.

Die Hintergründe: Warum die Bielefelder Polizei Dutzende ungelöste Mordfälle aus OWL neu aufrollt