Nach Vergewaltigungs-Skandal in Bielefeld: Drei Bethel-Verantwortliche wegen Unterlassung angeklagt

Bielefeld/Duisburg. Die Serienvergewaltigungen von Assistenzarzt Philipp G. im Evangelischen Klinikum Bethel (EvKB) haben deutschlandweit für Entsetzen gesorgt, die juristische Aufarbeitung hat viele Fragen aufgeworfen und sogar höchste politische Ebenen beschäftigt. Nun hat die Staatsanwaltschaft Duisburg nach vierjährigen Ermittlungen, der Befragung von mehr als 100 Zeugen und der Auswertung von 15 Terabyte Daten den Fall abgeschlossen und Anklage gegen drei EvKB-Verantwortliche erhoben. Vor dem Landgericht Bielefeld angeklagt sind nun der Chefarzt der Station, ein damals dort tätiger Oberarzt und ein Pflegedienstleiter. Ihnen werfen die Staatsanwälte &bdquo;fahrlässige Körperverletzung durch Unterlassen“ vor &bdquo;zum Nachteil von neun Patientinnen“. Dem Chefarzt werden zwölf Taten zur Last gelegt, den anderen beiden Verantwortlichen acht. Was war passiert? Ende 2018, spätestens aber Anfang 2019 beginnt der 32-jährige Klinikarzt Philipp G. eine bisher beispiellose Vergewaltigungsserie im Klinikum Bethel. Zu diesem Zwecke besuchte er seine Patientinnen nachts überraschend am Klinikbett, betäubte sie mit einem schnell wirkenden Narkotikum und vergewaltigte sie anschließend. Mit der Festnahme des jungen Bielefelders im September 2020 wird der Fall bekannt. Fünf Jahre später ist abschließend klar, dass er während seiner Beschäftigung in Bielefeld insgesamt 34 Patientinnen – zum Teil mehrfach – mit dem Narkosemittel Propofol sedierte. Dies geschah laut Felix Bachmann, Sprecher der Anklagebehörde, stets &bdquo;ohne medizinische Indikation“. Täter nahm sich in U-Haft das Leben Die Ermittler können zwar gegen den Täter selbst nicht mehr vorgehen. Der 32-Jährige hatte sich wenige Tage nach seiner Festnahme in der U-Haft das Leben genommen. Aber zahlreiche der betroffenen Frauen hatten später den Vorgesetzten des Assistenzarztes vorgeworfen, trotz mehrerer Beschwerden und Hinweise nichts gegen sein offensichtliches Fehlverhalten unternommen zu haben. Während die Staatsanwaltschaft Bielefeld mit dem Tod des Verdächtigen vorschnell die Akte schließt und auch die Vorwürfe gegen die Verantwortlichen der Klinik wegen mangelnden Tatverdachts ausschließt, kommen die ermittelnden Staatsanwälte in Duisburg, die nachträglich mit den Ermittlungen in dem Fall betraut wurden, nun auch zu diesem Schluss. Die Beamtinnen und Beamten der Ermittlungsgruppe der nachträglich mit den Ermittlungen betrauten Staatsanwaltschaft Duisburg sind überzeugt, dass seit September beziehungsweise November 2019 &bdquo;deutliche Hinweise dafür vorlagen, dass der Assistenzarzt ohne medizinische Indikation bei den Patientinnen Zugänge legte und ihnen sedierende Medikamente verabreichte“. Es geht also in der Anklage nicht um die Sexualstraftaten, sondern um das nicht vorgesehene Verabreichen des Narkosemittels, das er seinen Opfern mittels eines gelegten Zugangs verabreichte. Neun weitere Fälle nach dem Herbst 2019 Nach diesem Zeitpunkt im Herbst 2019 sedierte und vergewaltigte Philipp G. noch neun Patientinnen. Die anderen 25 Patientinnen der Tatserie wurden nach Angaben des Behördensprechers vor diesem Zeitpunkt Opfer des Serienvergewaltigers. Weil die Ermittler davon ausgehen, dass es zuvor aber keine oder nicht ausreichend Hinweise auf das Fehlverhalten des Assistenzarztes gab, sind diese Fälle nun nicht Bestandteil der Anklage. Im Herbst 2019 hätten die drei Angeschuldigten aber ihre Sorgfaltspflicht erfüllen, die Hinweise zusammentragen und &bdquo;in der Gesamtschau bewerten können und müssen“, heißt es weiter in einer Mitteilung der Anklagebehörde. Als Folge hätten Chefarzt und Pflegedienstleiter verstärkte Kontrollen des Assistenzarztes Philipp G. organisieren müssen, sagen die Ankläger. Zum Thema: TV-Doku deckt neue Hintergründe über Vergewaltigungsserie im Klinikum Bethel auf Darüber hinaus werfen die Staatsanwälte Chefarzt und Pflegedienstleiter vor, bekannte Vorkommnisse und Auffälligkeiten des verdächtigten Mitarbeiters nicht an die Geschäftsführung gemeldet zu haben. Dem Oberarzt wiederum wird vorgeworfen, Informationen nicht an seinen Vorgesetzten oder an die Geschäftsführung weitergeleitet zu haben. Weil der Geschäftsführer also außen vor gelassen wurde, hat die Staatsanwaltschaft das Ermittlungsverfahren gegen ihn nun mangels hinreichenden Tatverdachts eingestellt. Sorgfaltspflichtverletzungen werden ihm daher nicht vorgeworfen. Mit &bdquo;Körperverletzung“ sind wohlgemerkt nicht die Sexualstraftaten gemeint, sondern die vorherige Betäubung der Patientinnen. Weil den Angeschuldigten bei ihrem Unterlassen aber keine Absicht zu unterstellen war, gehen die Ankläger von &bdquo;fahrlässigen“ Taten aus. Von einer Beihilfe, eine vorsätzliche Tatbeteiligung, ist deshalb auch nicht mehr in dem Verfahren die Rede. Verantwortliche hatten keine Hinweise auf Sexualstraftaten Zunächst hatten die Behörden noch wegen des Verdachts der &bdquo;Beihilfe zur Vergewaltigung durch Unterlassen“ ermittelt. Seit April 2024 ist aber klar, dass die Strafverfolgungsbehörden gegen die Vorgesetzten von Philipp G. diesen Vorwurf nicht mehr aufrechterhalten. Wie Behördensprecher Felix Bachmann damals mitteilte, hätten sich keine Hinweise ergeben, wonach die Verantwortlichen des EvKB Kenntnis von den sexuellen Handlungen des verstorbenen Assistenzarztes hatten oder diese zumindest für möglich gehalten haben. Lesen Sie dazu: Serienvergewaltigungen an Bielefelder Klinik: EvKB-Vorgesetzte teils entlastet Weder die Hinweise der betroffenen Patientinnen noch die eigenen hausinternen Ermittlungen hätten damals den Verdacht aufgebracht, dass die Betäubung eine Vorbereitungshandlung zur eigentlichen Sexualstraftat war. So bleibt also das ausgebliebene Handeln (Unterlassen) wegen der nichtindizierten und auch im Haus nicht üblichen Narkose durch den Assistenzarzt. Betroffene Frauen haben nicht mehr mit einer Anklage gerechnet Opfer-Anwältin Stefanie Höke vertritt zwölf der 34 betroffenen Frauen: Sie hat die Anklage am Montag positiv überrascht entgegengenommen: &bdquo;Meine Mandantinnen haben nicht mehr mit einer Anklageerhebung gerechnet. Viele von ihnen haben zwischenzeitlich ihren Glauben an die Justiz verloren“, sagt sie. Mit diesem Ermittlungsergebnis fühlten sie sich endlich gehört und ernstgenommen. Denn die Ermittlungsbehörden hätten endlich dem Rechnung getragen, was auf der Station passiert sei. Stefanie Höke ist davon überzeugt, dass sich die Beschwerden über Philipp G. innerhalb der Klinik im Herbst 2019 so gehäuft hatten, dass zumindest der Chefarzt Maßnahmen gegen ihn hätte ergreifen müssen. Dieser soll aber erst im Januar 2020 bei einem Krisengespräch durchzugreifen versucht haben – allerdings vergeblich. Damals soll der Assistenzarzt zwar zugegeben haben, dass er das Mittel Propofol zur Sedierung von Patientinnen vor Diagnosen mit dem Computertomografen (CT) einsetzte. &bdquo;Eine Vorgehensweise, die nicht den klinikinternen Standards entsprach“, heißt es später in einer Mitteilung des Rechtsausschusses im Landtag. Täter ignoriert Verbot nach Krisengespräch mit dem Chef Auch sei G. für sein Fehlverhalten gerügt worden. Er habe aber jegliche Konsequenzen weiterhin ignoriert. Der Chefarzt soll ihm in diesem Gespräch im Januar 2020 die Verwendung von Narkosemitteln untersagt haben. Auch durfte er keine Zugänge mehr legen und auch kein Patientinnenzimmer mehr alleine betreten. Nachweislich bis April vergewaltigte G. aber weiterhin Patientinnen auf der Station. Im April 2020 wird der Assistenzarzt dann freigestellt, und schließlich kündigt er selbst. Weitere fünf Monate später kommt es zur Festnahme. Ein Sprecher des Evangelischen Klinikums Bethel betont nach Bekanntwerden der Anklagevorwürfe, dass die Geschäftsführung von Anfang an &bdquo;vollumfänglich“ mit den Behörden kooperiert habe und dies auch weiterhin tun werde. Er fügt an: &bdquo;Die Staatsanwaltschaft hat aber auch festgestellt, dass es keinen Nachweis dafür gibt, dass die Angeschuldigten Kenntnis über die Sexualstraftaten des verstorbenen Assistenzarztes hatten.“ Der Podcast zum Fall (Stand: November 2022): Dass die Betäubungen eigentlich nur als Vorbereitung für die geplanten Vergewaltigungen dienten, hatte sich erst viel später beweisen lassen. Computerexperten des LKA war es erst im September 2020 gelungen, die Verschlüsselung der systematisch dokumentierten Tatvideos des Arztes zu knacken. Diese Videos belegen, dass G. in der Bielefelder Klinik 34 Frauen missbraucht und/oder vergewaltigt hat. Weitere zwei Patientinnen wurden in anderen Kliniken Opfer des Serientäters, zwölf weitere Vergewaltigungen ereigneten sich im privaten Umfeld des 32-Jährigen. Georg Schulze, Strafverteidiger des Chefarztes, betont, dass von den ursprünglich geäußerten Vorwürfen in der Anklage nicht mehr viel übrig sei. &bdquo;Diese Vorwürfe entsprechen der untersten Schwelle, die man sich in einem Strafverfahren vorstellen kann.“ Weil die formulierten Anklagevorwürfe trotzdem sehr konstruiert seien, werde sich der Anwalt nun mit einer Stellungnahme dafür einsetzen, dass es gar nicht erst zu einem Gerichtsverfahren komme. Das Landgericht Bielefeld muss dann darüber entscheiden, ob das Hauptverfahren eröffnet wird. All dies wurde in den vergangenen vier Jahren unter Leitung der Duisburger Staatsanwaltschaft ermittelt. Die Befragung von mehr als 100 Zeugen, das Einholen zweier Sachverständigengutachten und die Auswertung von 15 Terabyte IT-Asservaten haben fast vier Jahre gebraucht. Die Ermittlungsakte umfasst zum Zeitpunkt der Anklageerhebung laut Bachmann 91 Bände. Hinzu kommen 60 Sonderhefte und Ordner, Beweismittelordner mit insgesamt zehn Bänden und fünf Kartons mit Beweismitteln. Die Ermittler haben in diesem Fall am Ende jeden Stein umgedreht, hieß es von Insidern. Lesen Sie auch: Alle Berichte zum Serienvergewaltiger im Klinikum Bethel

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