Bielefelder Klinik entwickelt Warnsystem gegen sexuelle Übergriffe

Bielefeld. Wann hört sorgende Pflege auf und wann fängt grenzüberschreitendes Verhalten an – dieser Gedanke leitete die von Bodelschwinghschen Stiftungen Bethel bei der Erarbeitung des Positionspapiers &bdquo;Klare Kante“, das in den Einrichtungen Bethels eingesetzt wird. Fachleute entwickelten Szenarien und einen Handlungsleitfaden zur Vorbeugung von sexualisierter Gewalt und zum richtigen Umgang mit aggressivem Verhalten. Seit Juni 2023 ist der 15-seitige Katalog online. Er kann auch von außerhalb eingesehen werden. Das Evangelische Klinikum Bethel (EvKB) habe den Begriff &bdquo;Klare Kante“ entwickelt, den die weiteren Einrichtungen Bethels übernahmen, schildert Pastor Philipp Katzmann, theologischer Direktor im EvKB im Gespräch mit nw.de. Anlass waren die Taten und der Schock über die beispiellose Vergewaltigungsserie von Patientinnen durch einen Assistenzarzt. Im September 2020 wurden die Fälle öffentlich, die Dimension der Taten und die Zahl der Opfer erschlossen sich erst nach und nach. Nach seiner Verhaftung nahm sich der junge Arzt in der U-Haft das Leben. Aktuell ist das Ermittlungsverfahren der Staatsanwaltschaft Duisburg im Hinblick auf mögliche Versäumnisse von Vorgesetzten noch nicht abgeschlossen. Es ist wichtig, einen Reflexionsort zu finden Im EvKB wollte man der Bestürzung über die Tatserie, bei der auch eine geschickte Tarnung des Täters eine Rolle spielte, mit Handeln begegnen. &bdquo;Klare Kante“ befasst sich mit konfliktreduzierendem Umgang mit Patienten. Aber auch der Umgang aller Mitarbeitenden untereinander spielt eine wichtige Rolle. &bdquo;Beraten, Bilden, Sorgen“ seien die Eckpfeiler des Konzepts, so Katzmann und EvKB-Pflegedirektorin Petra Krause. Beim Thema Gewalt und grenzüberschreitendem Verhalten im Krankenhaus müsse man den Blick auf beide Seiten richten – auf Ärzte und Pflegekräfte gegenüber Patienten, wie auch auf Patienten und deren Angehörige gegenüber dem Pflegepersonal. &bdquo;Das Krankenhaus ist ein Ort, an dem viel auf der Beziehungsebene stattfindet. Und natürlich findet per se auf der Körperebene Grenzüberschreitendes im positiven Sinne statt, sonst könnten unsere Mitarbeiter ihre Arbeit nicht machen“, sagt Krause. Körperpflege wie Waschen und Duschen, das Anlegen von medizinischen Instrumenten, Operationen: Hier müsse im Sinne von Therapie und Heilung systematisch in die Autonomie des Patienten eingegriffen werden. Lesen Sie auch: Film zu Vergewaltigungsserie in Bethel: &bdquo;Chronik eines Versagens“ Entscheidend sei, ob diese Arbeiten einvernehmlich und sensibel, unter Ankündigung aller Schritte und nachvollziehbar durchgeführt würden. Gewalt aller Art, ob physische, verbale oder sexualisierte Übergriffe seien völlig inakzeptabel. Schon bei Einstellungen und vor dem Arbeitsbeginn in Bethel wird jede neue Kraft mit den Leitlinien vertraut gemacht. In Einführungsveranstaltungen werden die Menschen zusätzlich sensibilisiert. Katzmann führt etwa Veranstaltungen mit Auszubildenden zur Prävention von sexualisierter Gewalt durch. Ganz wichtig sei es, einen &bdquo;Reflexionsort“ zu haben, &bdquo;wo die Sorgen der Mitarbeiter gehört, wo sie ernst genommen werden“, so Krause. Und zwar in beide Richtungen: Ob es das Waschen des Genitalbereichs sei, bei dem sich schwierige Situationen für beide Seiten ergeben können. &bdquo;Wir sind keine ermittelnde Behörde“ Oder ob es der berühmte &bdquo;Klaps auf den Po“ der Pflegerin durch den männlichen Patienten sei – eine professionelle Reaktion ist lernbar und &bdquo;klare Kante“ zeigen das Ziel. Unterschiedlich könne die Reaktion ausfallen, wenn es sich um einen demenzkranken Patienten handele, &bdquo;der die Pflegerin vielleicht mit einer früheren Partnerin verwechselt“, so Krause. Das könnte Sie auch interessieren: Junge Frau erfährt nach drei Jahren, dass sie ein Bielefelder Arzt vergewaltigt hat Oder ob vom Patienten eine klare sexualisierte Grenzüberschreitung ausgehe. &bdquo;Unsere Mitarbeiter für den Unterschied zu sensibilisieren, ihnen konkrete Handlungsanweisungen mitzugeben, ist unser Ziel.“ Geht es jedoch um Fehlverhalten von Kollegen, hat sich ein anonymes Hinweisgebersystem bewährt. &bdquo;Das hat nichts mit Denunziation zu tun“, stellt Katzmann klar. Hier werde jedes Anliegen vertraulich behandelt. Zugleich werde Beschwerden nachgegangen, sofern sie sich nicht mehr im Team lösen lassen. Die Hinweise werden überprüft, und nach Möglichkeit kommen die Beteiligten an einen Tisch, um Lösungen auszuhandeln. &bdquo;Wir sind keine ermittelnde Behörde. Haben Geschehnisse eine strafrechtliche Relevanz, ziehen wir entsprechende Stellen hinzu“, so Katzmann, der mit drei weiteren Personen in der Clearingstelle die Fälle bearbeitet. &bdquo;Das strengt nicht wenige im System an, ist aber sehr sinnvoll.“ Mehr zum Thema: Revolution im Klinikum Bethel: Neue Technik in Bielefeld ist einzigartig in OWL Manchmal müssten Hinweisgeber dazu ermutigt werden, ihre Anonymität aufzugeben, um eine Lösung herbeizuführen. Grundsätzlich aber könne sich jeder auf Vertraulichkeit verlassen. &bdquo;Wichtig ist, dass sich die Menschen mit ihrem Anliegen ernst genommen fühlen“, sagt auch Katzmann. Keineswegs führe das Angebot und der Leitfaden nach Krauses und Katzmanns Beobachtung zu einem misstrauischen, belasteten Klima in den Klinikums-Abteilungen und anderen Einrichtungen Bethels – vielmehr zu mehr Sicherheit und weniger Belastung in den Arbeitsabläufen.

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