„Dann wäre Bielefeld ein Traumort“ – Ex-Unternehmer sieht eine große Schwäche in der Stadt

Bielefeld. Der Ex-Unternehmer Peter Albrecht schätzt ein offenes Wort. Und so redet er auch beim neunten NW-Sommergespräch zu der Frage &bdquo;Droht Bielefeld der Abstieg?“ nicht drumherum, sondern sagt: &bdquo;Meine Frau und ich haben es nicht bereut, als wir 2003 nach 20 Jahren im Sauerland wieder nach Bielefeld zurückgekehrt sind.“ Hier lasse es sich gut leben, weil die Stadt so überschaubar und trotzdem lebendig ist, sie tolle Plätze hat, die Nachbarschaften stimmen und die Menschen sehr beweglich und aktiv in ihrer Stadt unterwegs sind. &bdquo;Eigentlich ein Traumort“, fügt der 77-Jährige an und schiebt eine Einschränkung nach: &bdquo;Wenn Bielefelder Verwaltung und Politik nicht wären.“ Er habe den Eindruck, dass beide Bereiche vergessen hätten, dass sie für das Wichtigste in dieser Stadt da seien – die Bürgerinnen und Bürger, fasst der gebürtige Düsseldorfer, der 1970 zum BWL-Studium nach Bielefeld kam und später sieben Jahre im Controlling bei Oetker arbeitete, ehe es ihn zum Strumpf- und Feinstrümpfe-Hersteller Falke ins Sauerland zog, zusammen. Was er damit meine? &bdquo;Zum Beispiel, dass Politik und Ordnungsbehörden es zugelassen haben, dass sich bei immer mehr Menschen das Gefühl breitgemacht hat, in einer zunehmend unsicheren Stadt zu leben“, verweist er auf &bdquo;steigende Straßenkriminalität, Drogenhandel, Gewalttaten und Angriffe mit Messern“. Da hätten alle Verantwortlichen viel zu lange weggeschaut – &bdquo;an der Tüte, am Kesselbrink, am Jahnplatz, am Boulevard“. Auch die vielen Obdachlosen, die teils aggressiv betteln würden, würden das Unsicherheitsgefühl noch verstärken. Peter Albrecht: &bdquo;Das ist doch fast wie in New York“ &bdquo;Es kann doch nicht sein, dass sich Menschen, vor allem Frauen nach Abendveranstaltungen in der Stadthalle oder am Boulevard nur noch in Gruppen nach Hause trauten oder lieber abholen lassen würden, statt sicher durch die Stadt gehen zu können. Das ist doch fast wie in New York“, klagt Albrecht, der in Rheine als Unternehmer nach seinem Ausscheiden bei Falke eine eigene Strumpffirma aufgebaut hat. &bdquo;Aber gelebt habe ich trotzdem ganz bewusst in Bielefeld.“ NW-Sommergespräche (3): Ex-Unternehmer: &bdquo;Mehr Stadtbahnen und weniger Stadtbezirke“ Und wie könnte das Sicherheitsgefühl wieder gestärkt werden? &bdquo;Dass die Polizei ihr Präsidium an der Kurt-Schumacher-Straße hat, statt mitten in der Stadt ist zum Beispiel ein Fehler.“ Sie gehört in die City – zum Beispiel in die Alte Post an der Friedrich-Ebert-Straße. &bdquo;Und wenn die Polizei nun ihre Außenstelle am Kesselbrink aufgebe, dann wiederholt sie diesen Fehler“, fügt der Rentner an, der während der Erdbeersaison im Erdbeerstand vor der Brosa in Bethel die kleinen roten Früchtchen verkauft. &bdquo;Man muss ja was machen, damit man nicht einrostet“, sagt der in Theesen lebende Albrecht, der zudem Nachhilfe in Mathe gibt. Und schiebt zum Thema Sicherheit noch dies nach: &bdquo;Es ist ja schön, dass es jetzt eine Waffenverbotszone in der Innenstadt gibt, aber das macht doch nur Sinn, wenn auch regelmäßig kontrolliert wird.“ Das aber geschehe nicht, beklagt er und hat auch für die Tüte einen Vorschlag: &bdquo;Zwei bis drei Monate lang sollte die Polizei hier eine eigene Wache unterhalten und täglich die Szene kontrollieren. Dann würden Sie sehen, wie schnell die verschwindet“, ist er sich sicher. Zum Thema: Das müssen Sie zur Waffenverbotszone in Bielefeld wissen Bielefelder Jahnplatz - ein Millionengrab Kritik hat Albrecht, der die gesundheitliche Versorgung in Bielefeld sehr schätzt und als gut einstuft, aber auch am Jahnplatz. Das sei auch wieder so ein Beispiel für Politik- und Verwaltungsversagen. &bdquo;Da wurden 28 Millionen Euro für eine abends vollkommen unbelebte und gänzlich hässliche Steinwüste ausgegeben und zudem ein riesiges Chaos angerichtet, was das sich kreuzende Rad- und Fußwegesystem auf dem Platz angeht.“ Wie könne man so etwas nur so planen?, frage er sich immer noch. NW-Sommergespräche (5): Bielefelds Verkehr unter die Erde: Empfehlung eines Start-up-Visionärs Bei Thema Verkehr und Straßenbaumaßnahmen gerät Albrecht ohnehin in Rage. &bdquo;Es gibt keine Stadt, die so chaotisch und unabgestimmt an diese wichtigen Komplexe für die Lebensqualität in einer Kommune herangeht wie Bielefeld.“ Und dann ruhten die Baustellen auch noch ewig, ohne dass sich etwas tue oder erkennbar gearbeitet werde. &bdquo;Ich frage mich wirklich, was die Verkehrsplaner und das Bauamt in dieser Stadt reitet?“ Die FDP habe mit ihrem Wahlslogan völlig recht: &bdquo;Bielefelder Staus beginnen im Rathaus.“ Da müsse sich dringend etwas ändern. Denn dort im Rathaus beginne leider auch die schlechte Bielefelder Schulpolitik. Eltern müssten die freie Wahl haben, auf welche Schule sie ihre Kinder schicken. &bdquo;Dass das Schulessen einer Bielefelder Schule aus Heidelberg bezogen wird, ist ein schlechter Witz“, sagt Albrecht, der auf die zahlreichen hiesigen Menüdienste verweist. Ausgebrannte Lehrer, verkommene Schulgebäude und ein Stau bei den Neubauten seien ebenfalls nicht zu verstehen, sagt Albrecht, der in Schmallenberg im Sauerland einst selbst fünf Jahre für die UWG dem Rat angehörte. Und was konnte er bewegen? &bdquo;Viel zu wenig“, räumt er ein. Deshalb zöge ihn auch nichts mehr in die Kommunalpolitik. Streit: Warum kommt das Schulessen für Bielefeld aus Heidelberg? Politik braucht mehr Typen wie Boris Palmer In selbiger, aber auch in Verwaltungen wünsche er sich mehr Typen wie den Oberbürgermeister von Tübingen, Boris Palmer. &bdquo;Der denkt unkonventionell, lösungsorientiert, ist mutig und durchsetzungsstark und schreckt nicht davor zurück, anzuecken“, lobt er den umstrittenen Grünen mit ruhender Mitgliedschaft. Palmer habe zum Beispiel einen Bürgerrat eingerichtet, der Bürgerinteressen deutlich stärker zu Gehör bringt und für schnellere Umsetzungen sorgt. &bdquo;Das wäre doch auch was für Bielefeld“, sagt Albrecht. Das würde er begrüßen. &bdquo;Wie ich überhaupt dafür bin, dass Kommunalpolitik viel mehr an Themen und Ideen orientiert gemacht wird denn entlang von Parteibüchern.“ Lesen Sie auch: Mein Ortscheck OWL: Alle Ergebnisse im Überblick Dann wäre Bielefeld ein Traumort, sagt er und lobt zum Schluss Olderdissen, den Obersee, den Teuto, das Grün, den Alten Markt, die gute Gastroszene (&bdquo;und immer alles gut besucht und quicklebendig“), den Weinmarkt und die Treue der Bielefelder in Sachen Freundschaft. &bdquo;Ganz anders als in Düsseldorf. Da hast du immer nur Tagesfreunde. Hier Freunde für immer. Aus all diesen Gründen sind wir hier in Bielefeld trotz aller Kritik genau richtig und gerne.“ Bielefelder über ihre Stadt – alle NW-Sommergespräche: NW-Sommergespräche (1): Bielefelder fordert Tempo 30 auf Ausfallstraßen und mehr Wasser NW-Sommergespräche (2): Kulturboom in Bielefeld: Musiker hat eine positive Vision NW-Sommergespräche (3): Ex-Unternehmer: &bdquo;Mehr Stadtbahnen und weniger Stadtbezirke“ NW-Sommergespräche (4): Kritik an Bielefelder Stadtfest: &bdquo;Leineweber zur Dorf-Kirmes verkommen“ NW-Sommergespräche (5): Bielefelds Verkehr unter die Erde: Empfehlung eines Start-up-Visionärs NW-Sommergespräche (6): Bielefelder Journalist geht hart mit der Stadt ins Gericht NW-Sommergespräche (7): Bielefelderin über ihre Stadt: &bdquo;Mein Sicherheitsgefühl nimmt deutlich ab“ NW-Sommergespräche (8): Radikale Idee für Bielefeld: Tempo 30 in der City und eine Verkehrsfläche für Auto und Rad

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