„Abstiegsgefährdet“: Bielefelder Journalist geht hart mit der Stadt ins Gericht

Bielefeld. Beginnen wir ungewöhnlich. Mit ein paar Zitaten von Robert B. Fishman: &bdquo;Wir erleben in Bielefeld eine Diktatur der Bedenkenträger, die verhindert, dass wir endlich entscheidende Schritte nach vorne machen.“ &bdquo;Kesselbrink und Neumarkt funktionieren als Plätze nicht, weil sie als Steinwüsten angelegt wurden. Erst wenn wir sie zu grünen Oasen machen, werden Plätze aus ihnen.“ &bdquo;Wir laufen oft zu blind durch unsere Stadt und schöpfen unser Potenzial nicht aus.“ &bdquo;Wir stehen uns in Bielefeld viel zu sehr im Wege und das auch noch gegenseitig.“ &bdquo;Das Denken ist zu kleinteilig. Viele verhaken sich viel zu gerne im Kleinklein, statt aus einer übergeordneten Perspektive auf die Dinge in ihrer Stadt zu schauen.“ &bdquo;So macht man doch keine Verkehrswende.“ Und zu schlechter letzt: &bdquo;Hier werden Bedenken so lange mit sich herumgetragen, bis Projekte sich von selbst erledigt haben.“ Lesen Sie auch: Mein Ortscheck OWL: Alle Ergebnisse im Überblick All das hat der Journalistenkollege über Bielefeld gesagt. Nur nicht im aktuellen sechsten NW-Sommergespräch zum Thema &bdquo;Droht Bielefeld der Abstieg?“, sondern in den Jahren 2019 und 2014, als er bei den damaligen Holzhausgesprächen über die Zukunft in Bielefeld zu Gast bei der NW war. Das stimmt alles immer noch &bdquo;Das Traurige ist, das stimmt alles immer noch. Wir kommen nicht wirklich vorwärts und die oben skizzierten Probleme und Denkweisen sind geblieben“, betont der 63-Jährige, der 1982 aus München zum Jurastudium nach Bielefeld gezogen – und geblieben ist. &bdquo;Weil ich Bielefeld grundsätzlich immer noch schätze, weil ich das viele Grün liebe und es auch viele tolle Projekte und Initiativen gibt, die nur viel mehr bekannt werden müssen.“ Lesen Sie auch: NW-Sommergespräche (1): Bielefeld besser machen: Bürger fordert Tempo 30 auf Ausfallstraßen und mehr Wasser Aber er sagt eben auch beim jetzigen Gespräch im Grünen Würfel, die Stadt müsse aufpassen, denn &bdquo;in Teilen ist sie abstiegsgefährdet“. Fishman, der in Gellershagen lebt, nennt die Bahnhofstraße als Beispiel, die er als &bdquo;angeranzt“ empfindet. Zu viele Leerstände, nach wie vor fehlende Aufenthaltsqualität, fehlende Sauberkeit, zu wenig Grün und fehlende konsumfreie Zonen bemängelt er. &bdquo;Generell halte ich es für problematisch, dass Bielefeld immer noch versucht, den klassischen Einzelhandel zu päppeln, statt neue Konzepte zur Belebung der Innenstädte durch Wohnbebauung mit Nahversorgungszentren, Arztpraxen, Kindergärten, Kultur oder Schulen zu ermöglichen. Wir brauchen gerade auch für die Bahnhofstraße ganz neue Konzepte und nicht ein Weiter-so.“ Das sind Steinwüsten – keine Plätze Stillstand beklagt Fishman auch in Sachen Klosterplatz, Neumarkt und Kesselbrink. &bdquo;Vor allem die letzten beiden Plätze sind Steinwüsten.“ Im Sommer sei es dort zu heiß, in den kalten Monaten zu zugig. Es fehle jeder Anreiz und Grund, dort zu verweilen, sagt er und verweist von der Terrasse des Grünen Würfels auf den in der Tat gähnend leeren Platz in der Mittagssonne. Fishman: &bdquo;Seien wir doch endlich mutig. Verfüllen wir die Tiefgarage und unter dem Kesselbrink und bauen den Platz oberirdisch zu dem schönen, grünen Park zurück, der er Anfang des 20. Jahrhunderts einmal war.“ So werde Rückschritt zu Fortschritt. Lesen Sie auch: NW-Sommergespräche (2): Kulturboom in Bielefeld: Musiker hat eine positive Vision Dass die Wilhelmstraße Richtung Kesselbrink nun formal eine Fußgängerzone mit Lieferverkehr zu bestimmten Zeiten sei, sei zwar ein Fortschritt. &bdquo;Aber dann muss auch durchgesetzt werden, dass sie nicht zu einer Parkfläche verkommt und ständig befahren wird, wie es jetzt zu erleben ist“, sagt Fishman und findet, dass auch hier deutlich mehr Grün positiv gewesen wäre. Von Verkehrswende keine Spur Auch in Sachen Verkehrspolitik sieht Fishman kein wirkliches Vorankommen in der Stadt. &bdquo;Von der Verkehrswende, die immer auf dem Papier postuliert wird, fehlt doch jede Spur“, kritisiert der Journalist, der viel in Europa unterwegs ist, um Beiträge zu seinem Spezialgebiet Stadtentwicklung zu recherchieren. Er verstehe nicht, warum die Bielefelder Stadtentwickler, aber auch die Politik nicht viel mehr im In- und Ausland nach Beispielen suchten, wie eine wirkliche Verkehrswende und moderne Stadtentwicklung aussehen kann. Lesen Sie auch: NW-Sommergespräche (3): Bielefelder Ex-Unternehmer: &bdquo;Brauchen mehr Stadtbahnen und weniger Stadtbezirke“ &bdquo;Stattdessen wird hier vor Lobbygruppen wie der IHK und den Einzelhandelsverbänden eingeknickt“, sagt Fishman und verweist auf den &bdquo;desaströs gescheiterten Verkehrsversuch in der Altstadt“. Es fehle an frischem Denken und der Bereitschaft zu mutigen Entscheidungen. &bdquo;Stattdessen finden wir hier oft zu jeder Lösung drei neue Probleme“, klagt Fishman. Auch in Sachen Sicherheit sieht der Journalist die Lage eher kritisch und formuliert: &bdquo;Machen wir uns nichts vor, wir haben in Bielefeld ein Problem mit der Sicherheit.“ Da hätten die Konservativen leider recht, räumt er ein und verweist auf die Situation an der Tüte vor der Stadthalle, an der Stresemannstraße, am Jahnplatz und auf dem Kesselbrink. &bdquo;Ich wundere mich zwar über mich selbst, aber wir werden die Probleme in Sachen Kriminalität an diesen neuralgischen Orten nur mit deutlich mehr Repression durch Ordnungsamt und Polizei in den Griff kriegen.“ Die Soko Innenstadt sei dazu ein richtiger Schritt gewesen. Lob für die starke Zivilgesellschaft Viel Lob gibt es von Fishman dann aber für die starke Zivilgesellschaft in Bielefeld, die vielen Initiativen, das große bürgerschaftliche Engagement, die vielfältige Kultur, die starke Ausstrahlung der Uni auf die Stadt, die starke Wirtschaft, den sozialen Reichtum der Stadt, zahlreiche Umweltprojekte, &bdquo;fantastische Einrichtungen“ wie die Wissenswerkstadt, die VHS, die Stadtbibliothek und vieles mehr. &bdquo;Sie alle müssen noch viel mehr bekannt gemacht, vernetzt und sichtbar gemacht werden im Stadtgeschehen“, regt er an und mahnt: &bdquo;Dazu sollten auch die Medien in dieser Stadt noch viel mehr beitragen.“ Lesen Sie auch: NW-Sommergespräche (4): Scharfe Kritik an Bielefelder Stadtfest: &bdquo;Leineweber ist zur Dorf-Kirmes verkommen“ Und weil er das alles an dieser Stadt so sehr schätze, neben seiner schon erwähnten Liebe zum Bielefelder Grün, gebe er der Stadt noch eine 2,5 als Schulnote. &bdquo;Noch“, wie er betont. &bdquo;Schöpfen wir doch endlich unser Bielefeld-Potenzial richtig aus“, fügt er noch hinzu und appelliert zu guter Letzt an den Bund und das Land: &bdquo;Es geht nicht an, dass immer mehr Aufgaben auf die Kommunen verlagert, diese aber finanziell immer schlechter ausgestattet werden, sodass die Bürgerinnen und Bürger beginnen, am Funktionieren der staatlichen Institutionen und damit der Demokratie zu zweifeln.“ So mache man sie anfällig für populistische Parteien wie die AfD. Lesen Sie auch: NW-Sommergespräche (5): Bielefelds Verkehr unter die Erde: Empfehlung eines Start-up-Visionärs

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