Herr Heicks, 21 Jahre als Intendant am Theater Bielefeld liegen hinter Ihnen. Mit welchen Gefühlen sehen Sie dem Spielzeitende entgegen?
Michael Heicks: Eigentlich sehr entspannt. Die zwei Jahre mit Nadja Loschky in der Doppelspitze waren cool und haben mir den Übergang erleichtert. Das Haus ist in guten Händen. Was das Künstlerische betrifft, habe ich das Gefühl, gar nicht wegzugehen: Ich werde weiter Stücke inszenieren. Die Proben für das nächste, das im September Premiere hat, haben bereits begonnen. Mein Tag wird weniger organisatorisch belastet sein, ich habe keine großen Schwierigkeiten loszulassen.
Was mir aber Respekt einflößt, ist der Verabschiedungstag (alle drei Häuser werden am 5. Juli zu Ehren Heicks’ bespielt, d. Red.). Das bin ich nicht gewohnt. Aber es braucht wohl ein Ritual. Der entscheidende Moment für mich ist am 10. Juli, wenn ich die Tür schließe und meine Schlüssel hinlege.
Was war der schönste Moment in Ihrer Intendanz, welcher eher schwierig?
Der bewegendste Moment war sicherlich 2006 die Eröffnung des sanierten Stadttheaters, zuerst die interne Eröffnung mit Sponsoren und Stadtregierung, dann ein rauschendes Fest für die Öffentlichkeit. Das waren drei Tage praktisch ohne Schlaf. Bis kurz vorher haben alle Gewerke gearbeitet. Der schwierigste Moment in meiner Intendantenzeit war sicher die Coronapandemie: Man wusste zunächst nicht, wie man damit umgehen sollte. Anfangs dachten wir an eine Schließung von zwei Wochen, am Ende war es eine sehr lange Phase ohne Vorstellungen. Einschneidend war auch die Phase, als wir massiv Kosten einsparen mussten.
Haben Sie damals mit dem Gedanken gespielt zu gehen?
Nein, eigentlich nicht. Ich hätte es dem Theater gegenüber nicht fair gefunden. Dieser immer wiederkehrende Druck auf unser Budget durch politische Entscheidungen zur Kulturfinanzierung – das macht mir auch heute große Sorgen. Ich hatte nie den konkreten Impuls wegzugehen, auch wenn es Angebote anderer Theater gab. Als ich dann noch schwer an Krebs erkrankte, konnte ich mir noch weniger vorstellen, alles hinter mir zu lassen. Wir haben hier viel bewegt und verändert – deshalb hatte ich nie das Gefühl, bräsig zu werden. Mit der Krankheit damals so gut aufgehoben zu sein, ein super Ärzteteam zu haben, Familie und Freunde sowieso und Mitarbeiter, die im besten Sinne mitfühlten, das war schon ein Geschenk.
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Sie gelten ja als Repräsentant eines Führungsstils mit flachen Hierarchien. Sind die ein Grund für das viel gelobte gute Betriebsklima an den Bielefelder Bühnen?
Ein stückweit habe ich mir das von meinem Vater und meinem Bruder abgeguckt, die Unternehmer waren und mit offenen Strukturen gearbeitet haben, was gut lief. Schon die Arbeit mit Jürgen Flimm in den 80er und 90ern war zwar alte Schule, aber es war ein Theater, wo man sehr offen miteinander reden konnte. Aus alldem habe ich mir das gebastelt. Wichtig war, eine Kultur zu etablieren, in der man Fehler machen darf. Das sind alles Lernprozesse.
Welchen Stellenwert hat das spartenübergreifende Arbeiten für Sie gehabt?
Damit habe ich schon 1986, also ganz früh, am Thalia Theater in Hamburg angefangen. Auch als ich das Gilgamesch-Epos am Staatstheater Oldenburg inszenierte – mit Sängern, Tanz, Schauspiel. Das hat mich schon immer interessiert. Ich habe mal kurzzeitig auf einer Kunstakademie in Holland studiert, heute mache ich ab und zu auch Bühnenbilder. Das Spartendenken aufzubrechen, war mir immer ein Anliegen.
Wie haben Sie es geschafft, die hohe Auslastung der Häuser von regelmäßig rund 80 Prozent hinzubekommen?
Ein allgemeingültiges Rezept gibt es da nicht. Ich war als Assistent bei Dieter Dorn an den Münchner Kammerspielen, die waren extrem gut nachgefragt. Man kam praktisch nur per Erbschaft an ein Abo. Dorn hat mal gesagt: ,ich versuche, diese Stadt zu verstehen.’ Man muss gucken, wo man lebt. Dann kapiert man auch, wie die Menschen da ticken. So entstehen Spielpläne, Kontakte, eine Vernetzung. Das funktioniert langfristig – es entstehen Vertrauen, Nähe und Zuverlässigkeit. Dann kann man auch ganz neue, experimentelle Dinge machen.

Dass die Rudolf-Oetker-Halle im Jahr 2018 vom Theater übernommen wurde – war das für Sie quasi ein organischer, folgerichtiger Prozess?
Ich habe das ja selbst ein bisschen befördert. Wir verstehen die Rudolf-Oetker-Halle von jeher als eine Art Wohnzimmer unserer Bielefelder Philharmoniker. Für unser Orchester gab es immer Terminprobleme zwischen Musiktheater und Konzerten. Es war eine Katastrophe, hinter den Terminen herzulaufen. Das haben wir jetzt nicht mehr. Deshalb war es ein logischer Prozess, die Halle zu übernehmen. Aber sie ist auch ein Tanker, da muss man aufpassen, dass der uns nicht nach unten zieht. Es konnte ja nicht so weiterlaufen wie vorher. Es war und ist wichtig, das Profil dieses renommierten Konzerthauses zu schärfen und für die gesamte Oetkerhalle ein wohldurchdachtes Programm zu entwickeln.
Machen Sie sich Sorgen als scheidender Intendant über die Finanzierung des Theaters in Zeiten knapper Kassen?
Kultur ist immer mit das Erste, wo man kürzt oder streicht, weil sie zu den sogenannten freiwilligen Leistungen zählt. Also mache ich mir natürlich Sorgen. Trotzdem schaue ich positiv in die Zukunft, weil wir mittlerweile als großstädtisches Haus anerkannt sind, mit einer hohen Auslastung unserer Veranstaltungen – mit 3.200 Plätzen in drei Häusern mit acht Bühnen sind wir das größte mittlere Theater Deutschlands, sage ich immer. Wir machen extrem gute Arbeit für wenig Geld.
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Ihre Intendanz war immer verbunden mit politischer Haltung, unter anderem zu finden in den Spielzeit-Mottos. Heute haben wir es mit weltumspannenden Krisen zu tun. Welche Rolle fällt da den Bühnen zu?
Manchmal bin ich völlig überfordert von diesen vielfältigen Themen. Unsere Mottos waren immer nah an der Zeit, manchmal ihr sogar voraus. Wir können die Dinge nicht komplett retten, aber wir können den Fokus auf etwas lenken. „Fahrenheit 451“ ist meine letzte Inszenierung als Intendant. Ich finde, das ist absolut das Stück der Stunde. Es ist alles original von 1953. Heutzutage hat der Text eine solche Aktualität – Trumps Amerika, rechtes Denken. Es ist schon krass, dass das meine letzte Aussage als Intendant ist. Präsentiert nicht mit erhobenem Zeigefinger, sondern mit cooler Rockmusik. Es gibt Leute, die sitzen da und heulen, andere gehen richtig mit. Das ist das, was Theater kann: die Leute nicht völlig belämmert aus dem Theater schicken, sondern beides tun – unterhalten und zum Nachdenken anregen. Das ist doch ein guter Ausstand, finde ich.
Sie machen ja künstlerisch weiter, gibt es Stücke, die Sie unbedingt machen wollen?
John von Düffel ist ein Freund von mir und der hat mal in einem Artikel über mich geschrieben: ,Der Heicks macht aus Komödien Tragödien und aus Tragödien Komödien’. Das fand ich großartig. Diese Mischung interessiert mich: Dramatische Stoffe können komisch sein und umgekehrt muss man die Menschen ernst nehmen. Ich habe viele große Stoffe gemacht, wie zum Beispiel „Moby Dick“ mit Schauspielern und Tänzern, genauso gerne aber „Der Gott des Gemetzels“, der auch nach 30 Jahren noch gut funktioniert, weil es ein guter Text ist. Ich freue mich jetzt erst mal auf „Peter Pan“ in der kommenden Spielzeit, was keine reine Kinderaufführung wird – es handelt sich um einen ernsten Stoff voller Gruselgeschichten, ähnlich wie bei ,Alice im Wunderland’.

Was wollen Sie denn machen, wenn Sie nicht inszenieren?
Ich bin ja jetzt schon 69 und möchte ein bisschen runterkommen. In der nächsten Spielzeit mache ich zwei, höchstens drei Inszenierungen. Ich interessiere mich für viele Dinge, u.a. für Städtebau. Ich habe ein Patenkind, das in Holland in diesem Bereich arbeitet, das finde ich spannend. Dort sind sie im Städtebau sehr viel weiter als wir hier. Über Rennräder kann ich auch ohne Ende reden. Diese Vielfalt bereichert mein Leben ungemein. Außerdem freue ich mich über meinen neuen Status als Großvater. Ich habe zwei schon erwachsene Kinder und noch eine jüngere Tochter, die in zwei Jahren Abitur macht. Da wird einem nicht langweilig.

Wie haben Sie die zwei Spielzeiten in der Doppelspitze mit Nadja Loschky erlebt?
Wir kennen uns lange genug und haben eine künstlerische und auch emotionale Bindung. Deshalb hat das gut funktioniert. Es ist toll, zu wissen, man ist in seinen Entscheidungen nicht allein. Aber so eine Doppelspitze muss nicht überall klappen. Die Stadt kann froh sein, eine so kompetente Intendantin wie Nadja Loschky zu bekommen.
Was wünschen Sie dem Haus und den Mitarbeitern?
Dass es gut weitergeht. Natürlich auch, dass es vorangeht – zum Beispiel im Bereich Diversität. Dass die Leute ihre gute Laune und den respektvollen menschlichen Umgang behalten. Wichtig ist, dass man begreift, dass Veränderung nicht unbedingt mit dem Austausch von Personen einhergeht. Das Tolle an diesem Haus ist, dass hier so viele kompetente Menschen arbeiten. Ich schaue trotz aller Herausforderungen optimistisch in die Zukunft, auch in digitalen Zeiten. Live-Theater wird immer seinen Platz haben, weil die Menschen danach streben, miteinander verbunden zu bleiben. Wir müssen junge Leute erreichen, migrantische Gesellschaften integrieren. Wir müssen einen wachen Blick auf die Veränderungen in unserer Gesellschaft behalten.