Nach massivem Mobbing-Vorwurf: Bielefelder Grünen-Chefin tritt zurück

Bielefeld. Paukenschlag bei den Bielefelder Grünen: Knapp drei Monate vor der Kommunalwahl ist Ikram Chemlal, Co-Sprecherin des Vorstandsteams, von ihrem Amt zurück- und mit sofortiger Wirkung aus der Partei ausgetreten. Sie wirft ihrer politischen Organisation Mobbing, fehlende Transparenz und mangelndes Vertrauen ihr gegenüber vor. Zudem zweifelt sie die innerparteiliche Vielfalt an. Besonders in der Verantwortung sieht die 39-Jährige dabei den Oberbürgermeister-Kandidaten der Grünen, Dominic Hallau (44). Erst Ende März war Chemlal bei der Jahreshauptversammlung der Partei zusammen mit Thies Wiemer (27) mit überwältigender Mehrheit an die Spitze des achtköpfigen Vorstandsteams gewählt worden. Zuvor war sie seit Juli 2024 Beisitzerin im Vorstand und im März vergangenen Jahres überhaupt erst in die Partei eingetreten. Am Montagabend dann überraschend für viele Fraktionsmitglieder ihre Rücktrittsrede in den Räumen der Grünen im Rathaus, zu der sie sich nach &bdquo;intensiver und schmerzhafter Abwägung“ gezwungen gesehen habe. &bdquo;Meine persönliche Wertehaltung, insbesondere mein Verständnis von respektvollem und transparentem Miteinander, lässt sich nicht mehr mit den Erfahrungen und Strukturen innerhalb der Partei vereinbaren. Über einen langen Zeitraum hinweg haben sich systematische Probleme manifestiert, die nicht nur meine Arbeit als Vorsitzende massiv behindert, sondern mich auch persönlich tief verletzt und isoliert haben“, führte Chemlal später in einer Mitteilung aus. &bdquo;Systematisch geschnitten, ignoriert und öffentlich diffamiert“ Darin heißt es weiter: &bdquo;Noch gravierender ist der gezielte Ausschluss meiner Person, das bewusste Verbreiten von Unwahrheiten über mich gegenüber Mitgliedern und externen Partnern sowie die Schaffung eines zunehmend feindseligen Umfeldes, das mich aus sozialen und politischen Prozessen ausgrenzen sollte. Ich musste erleben, dass ich systematisch geschnitten, ignoriert und öffentlich diffamiert wurde.“ Doch am schwersten wiegen Chemlals Vorwürfe an die Bielefelder Grünen im Umgang mit ihr als Frau mit Zuwanderungsgeschichte. Sie habe sich als Migrantin zunehmend als Aushängeschild der Grünen gesehen, die aber in Wirklichkeit nichts zu melden habe: &bdquo;Die Kluft zwischen den nach außen getragenen Idealen der Partei – von Vielfalt, Offenheit und sozialem Miteinander – und dem tatsächlichen internen Verhalten ist nicht mehr tragbar. Ich kann nicht Teil einer Partei sein, die die Werte, die sie öffentlich vertritt, intern verletzt. In Zeiten wachsender rechtsextremer Bedrohungen ist es umso wichtiger, dass demokratische Parteien glaubwürdig, offen und solidarisch handeln – nicht destruktiv, ausgrenzend und machtstrategisch.“ Engagierte Menschen zu verprellen, sei kein Einzelfall Ikram Chemlal ist staatlich anerkannte Erzieherin, Sozialmanagerin und Sozialpädagogin und hat lange im Strafvollzug, unter anderem ab 2016 als Integrationsbeauftragte in der Justizvollzugsanstalt Bielefeld-Brackwede, gearbeitet. Inzwischen studiert sie Politikwissenschaften, Schwerpunkt Erforschung Rechtsextremismus und Islamismus, und will dies in einem Jahr mit dem Master abschließen. Sie ist Stipendiatin der Heinrich-Böll-Stiftung, einer parteinahen Stiftung von Bündnis 90/Die Grünen. Gerade in einer Zeit, wo der Rechtsextremismus um sich greife und es schwer sei, ehrenamtliche Kommunalpolitiker zu gewinnen, dann aber Menschen, die sich wirklich aus tiefer Überzeugung engagieren möchten, zu verprellen, sei kein Einzelfall bei den Bielefelder Grünen, erklärt die 39-Jährige. Vorwürfe gegen OB-Kandidat Dominic Hallau Als Beispiel nannte sie den Umgang mit Cim Kartal, bis 2024 Sprecher des Kreisverbandes und zuletzt Ratsmitglied der Grünen, der im vergangenen Monat aus der Partei ausgetreten ist. Der Austritt erfolgte, nachdem Kartal beim Kommunalparteitag am 10. Mai weder einen aussichtsreichen Listenplatz noch einen Wahlkreis für eine Direktkandidatur erhalten hatte. Mobbing und persönliche Angriffe seien es gewesen, die ihn nach 23 Jahren bewogen hätten, aus der Partei auszutreten, sagte Cartal damals, und er machte auch OB-Kandidat Dominic Hallau für seinen Entschluss mitverantwortlich. Lesen Sie auch: Nach Mobbing: Bielefelds Ex-Grünen-Chef tritt aus Partei aus Auch Chemlal wirft Hallau vor, sich ihr gegenüber distanziert, ignorant und abweisend verhalten zu haben und sieht bei ihm große Verantwortung für das &bdquo;Desaster“ ihres Rücktritts: &bdquo;Nicht nur, aber er trägt mit eine federführende Verantwortung.“ Hallau weist die Vorwürfe zurück Der Angegriffene selbst konnte sich die Vorwürfe Chemlals nicht erklären, sie seien haltlos. &bdquo;In den drei Monaten, in denen sie meine Sprecherin war, habe ich sehr gut und vertrauensvoll mit ihr zusammengearbeitet. Ich habe unsere Zusammenarbeit zu jeder Zeit als positiv und respektvoll wahrgenommen. Ich hatte stets das Gefühl, dass sie das auch so wahrnimmt, Probleme oder Konflikte hat sie mir gegenüber nie erwähnt. Es tut mir sehr leid, dass sie das offenbar anders empfunden hat. Wir Grünen in Bielefeld arbeiten gut und vertrauensvoll zusammen. Dabei spielt es keine Rolle, wie jemand aussieht oder wie jemand heißt. Das gilt im Übrigen auch für die vielen Ehrenamtlichen, die jeden Tag eine herausragende Arbeit im Kreisverband und in der Fraktion leisten.“ Und auch der Vorstand bedauerte den Schritt seiner Sprecherin: &bdquo;In den vergangenen Monaten gab es in einzelnen Themen unterschiedliche Auffassungen zur Zusammenarbeit im Kreisvorstand. Diese Differenzen wurden in einem üblichen vertrauensvollen Rahmen behandelt und befanden sich im Klärungsprozess, daher überrascht uns dieser Rücktritt. Die nun geäußerten Vorwürfe können wir uns aber nicht erklären, und sie sind aus unserer Sicht haltlos. Dennoch werden wir sie zum Anlass nehmen, den Sachverhalt genauer zu prüfen.“ Auch interessant: Eklat um die AfD überschattet Podiumsdiskussion in Bielefeld

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