Nach „täglichem Drama“: Bielefelderin Kayla darf doch an Förderschule – und blüht auf

Bielefeld. Kayla (7) trägt Windeln, trinkt aus der Babyflasche, spricht nur ganz wenige Worte, ist im Gemeinsamen Lernen (GL) laut Gutachten absolut fehl am Platz – und musste im Sommer 2024 trotzdem an einer Bielefelder Regelgrundschule starten, mit 26 Kindern in ihrer Klasse. Weil sie dort &bdquo;aus Überforderung nur schreien und stören würde“, wird Kayla in einem separaten Raum betreut, und nur für zwei, bis maximal vier Stunden am Tag, berichtet ihre Mutter Dilek Dogan. Es sei &bdquo;einfach nur schrecklich gewesen, ein tägliches Drama“, die Familie am Ende ihrer Kräfte. In Bielefeld fehlen Förderschulplätze für Geistige Entwicklung (GE). Kayla und 24 andere Kinder haben deshalb zum Schuljahr keinen Platz bekommen, bestätigt das Schulamt. Das Problem sei seit Jahren bekannt, sagt Klaus-Hermann Bunte, Leiter der Mamre-Patmos-Schule, eine der drei Bielefelder Schulen in freier Trägerschaft, die Plätze für Kinder mit Förderbedarf GE anbieten. Einen hat Kayla nach langem Kampf im November dann doch noch bekommen. &bdquo;Wir sind alle überglücklich und sehr dankbar dafür“, sagen ihre Eltern. Aber ihnen gehe es auch um die anderen Familien, für die die Situation weiterhin &bdquo;einfach nur ein Drama“ sei. Kayla ist jetzt an der Mamre-Patmos-Schule und statt außen vor mittendrin im morgendlichen Stuhlkreis, Teil der Gemeinschaft. Welcher Wochentag ist heute? Was steht an auf dem Stundenplan? Damit startet Klassenlehrerin Ann-Christin Hülsiek mit den insgesamt acht Schülern ihrer Klasse in den Tag. &bdquo;Jeder ist hier eingebunden im Rahmen seiner Möglichkeiten“, sagt Bunte. Kayla sitzt an diesem Morgen lieber auf dem Fußboden statt auf dem Hocker und macht dabei einen sehr entspannten Eindruck. Auch interessant: Wenn Inklusion scheitert: Eine Mutter berichtet Therapeuten bestätigen positive Entwicklung &bdquo;Kayla hat schon super Fortschritte gemacht“, berichtet Hülsiek. Sie mache zwar noch nicht überall mit, sei aber überall dabei. Eine Integrationshelferin unterstützt die Siebenjährige. Für Kinder mit Autismus seien Abläufe und Routinen ganz wichtig. &bdquo;Bitte, mach das jetzt“, das bringe nichts. Wohl aber, wenn man ihr Steine mit unterschiedlichen Buchstaben gibt. Dann fischt Kayla blitzschnell die für ihren Vornamen heraus und setzt sich auf der Steckplatte in der richtigen Reihenfolge zusammen. Ein iPad hilft bei der Sprachausgabe. Kayla zieht sich selbstständig an und aus, ergänzt Hülsiek. Das sei ein großer Schritt. &bdquo;Sie freut sich jeden Morgen auf die Schule – und ist richtig aufgeblüht“, ergänzt ihre Mutter. Das bestätigten auch die Therapeuten, die die Familie begleiten. Erstmal eine Tour mit dem Aufzug: Damit starte sie begeistert immer in ihren Schultag. Auch die Familie könne endlich aufatmen und wieder Kraft tanken. Statt nur zwei Stunden am Tag ist Kayla den kompletten Schultag dabei. Sie werde um 7.15 Uhr abgeholt &bdquo;und ist an den langen Tagen gegen 16.15 Uhr zurück“. Während sie nach dem kurzen Tag an der Regelschule zu Hause sehr unausgeglichen gewesen sei, sei auch das jetzt wieder gut. Aber &bdquo;die schlimmen Monate“ hätten Spuren hinterlassen. Sie leide an Panikattacken, auch ihrem Mann gehe psychisch noch nicht wieder richtig gut, sagt Kayla Mutter. &bdquo;Aber ich hoffe, demnächst dann endlich wieder in den Beruf einsteigen zu können“, ergänzt Dogan, die in der ambulanten Intensivpflege tätig war. Heilpädagogisches Reiten, Pflegebetten im Klassenraum Aus Sicht des Landes sei der Platz im Gemeinsamen Lernen mit dem an einer Förderschule gleichzusetzen. Diese Aussage empfinde sie wie einen Schlag ins Gesicht. Inklusion und Lernen im Gemeinsamen Lernen funktioniere nicht für alle Kinder, auch wenn sich die Regelschule noch so gut bemühe und absolut ihr Bestes gebe, sagt auch Bunte. Heilpädagogisches Reiten, ein Kunstraum, wo die Schüler mit ihrem ganzen Körper arbeiten können, Rückzugsbereich mit Pflegebetten im Klassenraum und spezialisiertes Personal: Eine Förderschule sei einfach ganz anders aufgestellt. &bdquo;Aber trotz aller Bemühungen haben wir auch nur begrenzte Kapazitäten“, ergänzt Bunte. Aufgrund des hohen Bedarfs habe er im Schuljahr 2024/25 noch eine zusätzliche Klasse eingerichtet. Trotzdem fehlten immer noch Plätze. Auch die anderen beiden Schulen mit Förderschwerpunkt GE, die Sonnenhellwegschule und die Schule am Möllerstift, sind ausgebucht und haben Wartelisten. Lesen Sie auch: Nach verzweifelter Suche: Endlich Hilfe für Bielefelder Familie mit autistischem Sohn Die Stadt Bielefeld hat, anders als andere Kommunen wie Gütersloh, keine eigenen Förderschulplätze mit Schwerpunkt Geistige Entwicklung, deshalb eine vertragliche Regelung mit dem Ersatzschulträger Lernhaus Lebenshilfe, die die Schule am Möllerstift betreibt. Derzeit seien 72 Kinder mit dem Förderschwerpunkt GE im Koordinierungsverfahren des Schulamtes, teilt die Stadt jetzt auf Nachfrage mit. Acht Kinder würden gemäß Elternwunsch voraussichtlich im Gemeinsamen Lernen an Grundschulen aufgenommen. An den Förderschulen in Bielefeld könnten zum Schuljahr 2025/26 weitere 48 Schulanfänger aufgenommen werden. Den restlichen 16 Kindern werde ein Platz im GL angeboten. Bielefeld will zusätzlich Förderschulplätze schaffen Die Stadt hat das Problem erkannt und will jetzt gegensteuern, ist der neu erstellten Schulentwicklungsplanung (SEP) für die Bielefelder Förderschulen zu entnehmen. Sie wurde im Mai im Schulausschuss vorgestellt. Aufgrund der fehlenden Kapazitäten im Förderschwerpunkt GE sei zu prüfen, &bdquo;ob diese zeitnah an den bestehenden nicht-städtischen Förderschulen geschaffen werden können“ oder ob die Errichtung einer Förderschule in städtischer Trägerschaft möglich und sinnvoll sei, heißt es. Es bestehe dringender Handlungsbedarf: Das haben Leiter der Regelgrundschulen der Stadt als verantwortlichem Schulträger bereits vor Jahren mitgeteilt. Nicht nur für die ohnehin schon sehr geforderten Familien der betroffenen Kinder sei die Situation absolut unbefriedigend. &bdquo;Wir haben in diesem Jahr sieben Erstklässler mit Förderbedarf dazubekommen und werden weder ihnen noch den anderen Kindern gerecht“, berichtet eine Lehrerin einer Bielefelder Grundschule, die anonym bleiben möchte.

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