31 Prozent mehr Gewalt am Kesselbrink: Trotzdem sieht Bielefelder „Soko Innenstadt“ Erfolge

Bielefeld. Im Oktober 2024 startete die 13-köpfige &bdquo;Soko Innenstadt“ mit dem Ziel, die problematischen Szenen an den Kriminalitätsschwerpunkten Jahnplatz, Tüte, Bahnhofsumfeld und Kesselbrink aufzuklären und zu verkleinern. Bielefelds Polizeipräsidentin Sandra Müller-Steinhauer zog jetzt ein erstes – fast ausnahmslos – positives Zwischenfazit. Allerdings bleibt das Gewaltphänomen am Kesselbrink weiter ungelöst. Harte Drogen und Messerstechereien an der Tüte, Gewalt, Alkohol und weiche Drogen am Kesselbrink sowie Drogendealer in allen dunklen Ecken dazwischen. Das war das Bild, das sich den Bielefeldern im Sommer 2024 in der Innenstadt zeigte. Eine Straftaten-Analyse der Polizei bestätigte dieses Szenario: Im August 2024 waren in der Innenstadt die Straßenkriminalität um 22 Prozent angestiegen und die Gewaltkriminalität sogar um 45,6 Prozent. Die Polizei wurde von dieser deutlichen Entwicklung überrascht, stellte aber mit 13 Beamtinnen und Beamten die &bdquo;Soko Innenstadt“ zusammen, die seit dem 1. Oktober intensiv die verschiedenen Szenen und die mit ihnen einhergehenden Straftaten im Auge haben soll. Nach 155 Tagen &bdquo;Soko Innenstadt“ zogen nun die Polizeipräsidentin und ihr Kripo-Chef Wolfgang Niewald eine erste Winterbilanz: &bdquo;Im Jahr 2024 hat die Soko 1.256 Personen in der Innenstadt kontrolliert, dabei insgesamt 98 Messer und sonstige gefährliche Gegenstände sichergestellt“, berichtet Müller-Steinhauer. Außerdem seien 509 Platzverweise ausgesprochen, 33 Personen vorübergehend in eine Polizeizelle gesteckt und 19 Personen wegen strafbarer Handlungen festgenommen worden. Zahl der Cannabis-Händler in Bielefeld erheblich reduziert Ständige Kontrollen, Durchsuchungen und Razzien hätten Effekt gezeigt, berichten die Sicherheitsverantwortlichen. &bdquo;Die Szene der Cannabis-Händler konnte vor allem am Kesselbrink, aber auch an der Stresemannstraße und entlang der Herforder Straße bis hoch zum Willy-Brandt-Platz erheblich reduziert werden“, betont die Polizeipräsidentin. Sie ist sich sicher, dass gerade der Kesselbrink, der zuletzt von Teilen der Bevölkerung &bdquo;sehr negativ bewertet worden war, aktuell nicht mehr Treffpunkt der stark ausgeprägten Szene ist“. Der permanente Kontrolldruck durch Stadtwache und &bdquo;Soko Innenstadt“ habe zur Abwanderung von Szeneangehörigen geführt, heißt es weiter. Lesen Sie dazu: Gegen den Trend in NRW: In Bielefeld steigt die Gewaltkriminalität rapide an Ob diese Abwanderung möglicherweise auch dem einsetzenden Herbst- und Winterwetter geschuldet sein könnte, werde man nun im Frühling sehen, sagt die Bielefelder Polizeichefin. Saisonale Effekte spielten sicherlich auch eine Rolle, der Anteil der &bdquo;Soko Innenstadt“ sei dennoch spürbar. Gewaltexplosion in der Bielefelder City bis zum Spätsommer Nachdem die Zahlen bis August stark angestiegen waren, setzte ab September auf allen drei Problemplätzen ein Rückgang der Straftaten ein. So sei die Zahl aller erstatteten Strafanzeigen in der Bielefelder Innenstadt 2024 letztlich sogar um 1,1 Prozent zurückgegangen. Die Gewaltexplosion bis zum Spätsommer (plus 45,6 Prozent bis August) habe im Herbst spürbar abgefedert werden können. Aufs ganze Jahr gesehen seien die Gewalttätigkeiten &bdquo;nur“ um 30,4 Prozent gestiegen. Zum Thema: Mehr Gewalt in Bielefelds City: So fällt die erste Bilanz der &bdquo;Soko Innenstadt“ aus Wie entwickelte sich die Kriminalität auf den einzelnen Problemplätzen? Wie Niewald und Müller-Steinhauer feststellten, ereigneten sich 75 Prozent aller Gewalttaten in der Innenstadt und 64 Prozent der Straßenkriminalität genau an diesen drei Plätzen: Jahnplatz, Tüte und Kesselbrink. Die Zahlen im Einzelnen: So entwickelte sich die Kriminalität an Bielefelds Problemplätzen Jahnplatz: Zwar sei die Zahl der Straftaten am Jahnplatz etwa unverändert geblieben. Dennoch stieg die Straßenkriminalität um 20,7 Prozent an, und die Gewalttätigkeiten waren im Vergleich zu 2023 um 8,8 Prozent angestiegen. &bdquo;Tüte“ (Bahnhofsumfeld): Rund um den Umschlagplatz harter Drogen sank die Gesamtzahl der angezeigten Straftaten sogar um 21 Prozent. Trotz zahlreicher Einsätze nach Messerstechereien ging die Gewaltkriminalität hier um 7,4 Prozent zurück. Die Straßenkriminalität sank sogar um 16,2 Prozent. Dafür sei aber ein spürbarer Aufstieg der Droge Crack zu erkennen. &bdquo;Kokain und Crack haben in der Bielefelder Szene derzeit eine große Relevanz, Heroin eher nicht“, sagt der Leiter der Kripo, Wolfgang Niewald. Zwar weise die Statistik Crack in Bielefeld noch nicht als Massenphänomen aus – die Jahresbilanz führt acht Konsumenten- und zwei Dealer-Verfahren –, die Ermittler nähmen die Folgen dieser Droge dennoch deutlich stärker wahr: &bdquo;Insbesondere durch die Aggression und das erhöhte Gewaltpotenzial der Konsumenten“, so Niewald. Kesselbrink: Rund um den großen Platz zwischen Jahnplatz und August-Bebel-Straße ging die Zahl der Strafanzeigen sogar um 27 Prozent zurück. Weil der Kesselbrink Schwerpunkt der Cannabis-Konsumenten war und ist, dürfte dieser Rückgang vor allem der Legalisierung der Droge zuzuschreiben sein. Denn die Zahl der Gewalttaten auf dem Kesselbrink stieg im vergangenen Jahr um 31 Prozent, die Straßenkriminalität um 4,8 Prozent. Cannabis-Legalisierung führt zu Rückgang der Taten Das seit April gültige neue Cannabis-Gesetz ist ohnehin zu einem großen Teil für den Rückgang der Strafanzeigen verantwortlich. Die zahlreichen, sogenannten Konsumentendelikte (&bdquo;Besitz von Cannabis“) seien quasi komplett weggefallen. Allerdings hätte die &bdquo;Soko Innenstadt“ ab Oktober wieder für einen Anstieg der Drogendelikte gesorgt. Klar: Wer mehr kontrolliert, wird mehr Dealer fassen. Drogenkriminalität ist ein Kontrolldelikt. &bdquo;Für uns ist es ein deutliches Zeichen dafür, dass wir auf dem besten Wege sind, das Dunkelfeld zu erhellen“, sagt die Polizeipräsidentin. Befürchtung: Verlagerung der Dealer-Szene ins Ostmannturmviertel Kripo-Chef Niewald betont: &bdquo;Unsere Ermittler, aber auch die Anwohner sagen, dass sich die Szene zurückgezogen zu haben scheint.“ Diese &bdquo;Abwanderung“ zeige sich ihm zufolge übrigens nicht in Form einer Verlagerung. Befürchtungen, dass die Dealer dem Kontrolldruck ausweichend ins Ostmannturmviertel zurückziehen könnten, hätten sich bisher nicht bestätigt. &bdquo;Wir stellen fest, dass einige Drogenhändler in Haft gelandet sind und andere wohl diesem Beispiel nicht folgen wollen. Die haben Bielefeld den Rücken gekehrt.“ Tatsächlich zeigten Kontrollen, dass ein Großteil der Dealer von weit her gekommen sei. In einem Fall griffen die Beamten sogar einen Dealer aus Magdeburg auf. &bdquo;Bielefeld ist in Ostwestfalen auch in Sachen Drogen ein Oberzentrum“, erklärt der Kripo-Chef. Mehr als 50 Prozent der Szeneangehörigen sind Nicht-Bielefelder, sagt er nach Auswertung der Personenkontrollen. &bdquo;Die Nachfrage ist also da.“ Aus Sicht der Dealer lasse sich hier Geld verdienen. Die &bdquo;Soko Innenstadt“ habe aber mehrere kreative Ideen entwickelt, dieser Szene rechtlich entgegenzutreten. Polizei Bielefeld verlängert das Projekt &bdquo;Soko Innenstadt“ Trotz aller saisonalen Effekte sieht die Polizeipräsidentin große Verantwortung für diese Entwicklung in der Arbeit ihrer Soko. &bdquo;Wir haben deshalb beschlossen, die Soko Innenstadt auch im kommenden Jahr fortzusetzen.“ Wie berichtet, sollte die 13-köpfige Spezialeinheit aus Polizei- und Kripo-Beamten zunächst ein Jahr lang arbeiten, um dann den Erfolg zu überprüfen. Das scheint nun geschehen zu sein. Und trotzdem gibt es immer noch viel zu tun: &bdquo;Wir haben weiterhin Probleme mit der Gewaltkriminalität. Auch damit wird sich die Soko weiter befassen.“ Auch interessant: Podcast zu den Schüssen am Bielefelder Landgericht: Was wir wissen und was nicht

Meistgelesen