Gegen den Trend in NRW: In Bielefeld steigt die Gewaltkriminalität rapide an

Bielefeld. Die Gesamtzahl der Straftaten in der Stadt Bielefeld ist im vergangenen Jahr um 1,5 Prozent auf 27.971 angestiegen und nähert sich damit wieder ein Stück mehr dem Höchstwert der vergangenen zehn Jahre an (2018: 28.494). Dabei hatten Rückgänge bei Massendelikten wie Diebstahl das Potenzial für bessere Zahlen. Doch Polizeipräsidentin Sandra Müller-Steinhauer und Kripo-Chef Wolfgang Niewald machen keinen Hehl daraus: Entgegen dem Landestrend entwickle sich die Zahl der Gewaltdelikte in Bielefeld deutlich nach oben. Bei Körperverletzungen und Raubtaten registrierte die Kripo 2024 jeweils ein Zehn-Jahres-Hoch – also den statistischen Höchstwert seit 2014. &bdquo;Dabei waren die Zahlen schon 2023 sehr hoch“, sagte die Polizeipräsidentin. &bdquo;Dieser Trend hat sich 2024 leider fortgesetzt.“ Und so registrierte die Kripo bei den gefährlichen und schweren Körperverletzungen einen Anstieg der Delikte im Vergleich zum Vorjahr um 21,1 Prozent (1.050 Taten gegenüber 867 im Vorjahr). Bei den Raubtaten ging die Zahl der Taten um 13,6 Prozent (Anstieg von 316 auf 359 Taten) hoch. &bdquo;Besonders der Anstieg bei Raub auf offener Straße ist sehr augenfällig“, betont Müller-Steinhauer. Diese Form der Straßenkriminalität stieg sogar um 51,3 Prozent. Und dieser Trend setzt sich auch bei den schwersten Gewalttaten fort: Wie der Leitende Kriminaldirektor Wolfgang Niewald berichtet, richtete die Bielefelder Kripo im vergangenen Jahr 57 Mordkommissionen ein (Vorjahr: 50), die bei Tötungsdelikten in ganz OWL im Einsatz waren. &bdquo;Damit haben wir ein Allzeithoch erreicht.“ In der Stadt Bielefeld mussten 13 Mordkommissionen ihre Arbeit aufnehmen (fünfmal Mord- und achtmal Totschlagsermittlungen). Auch das stelle einen neuen Höchstwert dar. Lesen Sie dazu: Kriminalfälle Bielefeld 2024: Tödliche Schüsse und ein brutaler Messerangriff vor dem Rathaus Coronazeit als Verstärker von Problemen in Bielefeld Wie ist das zu erklären? Während in NRW die Gewalttaten stagnierten, ging es in Bielefeld immer weiter rauf. Die Sicherheitsbehörden wurden im Sommer quasi mit dem rasanten Anstieg der Taten überrascht: &bdquo;Im Frühjahr war das noch nicht abzusehen“, sagte die Polizeipräsidentin. Kripo-Chef Niewald sieht die Coronazeit durchaus als einen Verstärker von problematischen Verhältnissen und damit auch als Triebfeder für kriminelle Tendenzen bei den ohnehin gefährdeten jungen erwachsenen Männern und Jugendlichen. Ein Großteil der sogenannten Rohheitsdelikte beschränke sich auf die altbekannten innerstädtischen Plätze: das Bahnhofsumfeld samt Drogentreffpunkt Tüte, den Jahnplatz und den Kesselbrink. Als die Zahlen im Sommer explodierten, reagierten die Polizeipräsidentin und ihr Stab und ordneten die Gründung einer Sonderkommission (Soko) Innenstadt ein: &bdquo;75 Prozent der Gewaltkriminalität in der Innenstadt und 64 Prozent der Straßenkriminalität spielten sich an diesen drei bekannten Hotspots ab“, erläutert die Polizeipräsidentin. Die 13-köpfige Soko übernahm ab Oktober die Herausforderung, diesem besorgniserregenden Trend entgegenzutreten: Kripochef Niewald und die Polizeipräsidentin zeigten sich zuversichtlich, dass die Arbeit der Soko schon jetzt erste Früchte trägt. Lesen Sie auch: Razzia der &bdquo;Soko Innenstadt“: Ermittler nehmen Dealer in der Bielefelder City hoch Raubtaten begehen in Bielefeld vor allem junge Täter &bdquo;Bei den Raubtaten geht es dabei gar nicht unbedingt um riesige Beute“, so Niewald. &bdquo;Wir sprechen dabei verharmlosend vom Abziehen.“ Bei der Beute geht es vielfach um Handys oder auch nur ein paar Euro. &bdquo;Vielen der jungen Leute ist es gar nicht bewusst, dass das ein Verbrechenstatbestand ist.“ 50,6 Prozent der Tatverdächtigen in Sachen Raub und räuberischer Erpressung waren in Bielefeld unter 21 Jahre alt. Das sei ein enorm hoher Anteil. Im Vorjahr habe der Anteil der Minderjährigen und Heranwachsenden noch bei 38,8 Prozent gelegen. &bdquo;Und das haben wir schon als hoch eingeschätzt.“ Gewalt als Jugendphänomen in Bielefeld Ist der Gewaltausbruch also ein Jugendphänomen? Zum Teil ja, sagen die Sicherheitsexperten. &bdquo;Die Kombination aus Jugendlichkeit und Gewaltbereitschaft ist aktuell ein Riesenthema“, sagt Niewald. Aber auch bei den Kindern (unter 14 Jahren) hat sich der zuletzt positive Trend nicht fortgesetzt. Sowohl bei Kindern als auch bei Jugendlichen seien vor allem die Gewalt- und Raubdelikte im negativen Sinne auffällig gewesen. 32 Jugendliche Intensivtäter werden aktuell im Jugendkommissariat mit besonderer Intensität von Ermittlern betreut: &bdquo;Wir haben die Arbeit mit den Intensivtätern nochmals intensiviert, das Fachkommissariat wurde verstärkt und das hat bereits erste Erfolge gebracht, sagt der Chef der Direktion Kriminalität: &bdquo;Wir haben einige Täter identifiziert und von der Straße geholt. Wir glauben, dass sich das positiv auf die Zahlen im kommenden Jahr auswirken wird.“ Die Formulierung &bdquo;von der Straße geholt“ bedeutet nichts anderes als Jugendhaft – mit steigender Tendenz. &bdquo;Das zeigt die neue Qualität der Delinquenz.“ Die Polizei, so betont es die Präsidentin, habe die Probleme erkannt und angegangen. Erste Erfolge seien bereits zu erkennen. &bdquo;Aber“, sagt Müller-Steinhauer, &bdquo;die gesellschaftlichen Probleme lassen sich auch nicht allein mit polizeilichen Mitteln lösen.“ Häusliche Gewalt Das Gewaltpotenzial bleibt auch in den eigenen vier Wänden besorgniserregend hoch. Im vergangenen Jahr registrierte die Kripo so viele Fälle von häuslicher Gewalt (943) wie seit 2017 nicht mehr: Damals waren es 997 Taten. In den vergangenen drei Jahren gingen die Zahlen in Bielefeld stetig nach oben: 801, 872, 943. Aufklärungsquote: 45 Prozent. Schwere Sexualstraftaten In Bielefeld registrierte die Kripo 776 Straftaten gegen die sexuelle Selbstbestimmung. 2023 waren es noch 617. Das entspricht einem Anstieg von 25,8 Prozent. Während die Delikte Vergewaltigung und sexuelle Nötigung (86 Taten) auf einem &bdquo;leider hohen Niveau“ stagnierten, so Kripochef Wolfgang Niewald, stieg die Zahl der sexuellen Missbrauchsfälle von Kindern von 57 auf 76 Taten an (ein Drittel mehr). Das Erfreuliche: Die Aufklärungsquote liege hier mit 87,9 und 90,8 Prozent sehr hoch. Kinderpornografie Den größten Anteil am starken Anstieg der Sexualstraftaten haben aber die Kinderporno-Verfahren. Hier stieg die Zahl der registrierten Delikte von 190 auf 322 (plus 69 Prozent). &bdquo;Das hat in weiten Teilen mit den zahlreichen Meldungen amerikanischer Sicherheitsbehörden zu tun“, erklärt Polizeipräsidentin Sandra Müller-Steinhauer. Zumal jede Dunkelfeld-Aufhellung meist mehrere weitere Verfahren nach sich ziehe. Inzwischen sei die Bielefelder Kripo in diesem Bereich personell deutlich besser aufgestellt, sodass sie erstmals noch intensiver auch den weiteren Ermittlungen nachgehen könne. Müller-Steinhauer spricht von einer Kettenreaktion: &bdquo;Jeder Verdachtsfall zieht meistens ein ganzes Netzwerk weiterer Ermittlungen nach sich.“ Messerangriffe Wie auf Landesebene gilt auch in Bielefeld: Es werden immer mehr Messer bei Straftaten (Raub, Gewalt, Nötigung, Bedrohung) eingesetzt. Stellte die Polizei 2023 noch 143 Messer und Stichwaffen sicher, waren es jetzt schon 213. &bdquo;Messer haben ein sehr großes Eskalationspotenzial“, sagt die Polizeipräsidentin. Deshalb versuche die Polizei, nun viel zu bewegen: &bdquo;Unsere Bezirksbeamten gehen in Flüchtlingsunterkünfte und klären die Menschen dort auf.“ Die wesentliche Botschaft dabei sei: Auch wenn ihr auf der Flucht &bdquo;gut beraten ward, ein Messer mitzuführen – hier braucht ihr das nicht mehr“. Das habe nichts mit Vorwürfen gegenüber Flüchtlingen zu tun, sondern es gehe um Wertevermittlung und Förderung von Vertrauen in die Polizei. Auch in Schulen und Moscheegemeinden wolle man verstärkt Aufklärung, Prävention und Wertevermittlung angehen. Diebstahl Die Zahl der Diebstähle ist nach einem deutlichen Anstieg 2023 im vergangenen Jahr um 1,3 Prozent zurückgegangen. Große Erfolge erzielte die Polizei im Kampf gegen Fahrraddiebe (Rückgang um knapp 25 Prozent). Allerdings stieg die Zahl der Taschen- und Ladendiebstähle an. Diebstahlsdelikte machen einen Anteil von 37,1 Prozent der Gesamtkriminalität aus. Wenn man Vermögens- und Fälschungsdelikte hinzuzählt (Betrug, Schwarzfahren, Warenkreditbetrug), machen diese Taten sogar 56 Prozent aller Straftaten in Bielefeld aus. Cybercrime Die Internetkriminalität ging um 9,2 Prozent auf 1.742 Taten zurück. Aufklärungsquote: 57 Prozent. Dafür stieg klassische Computersabotage um 10 Prozent. Angriffe auf Firmennetzwerke und systemrelevante Infrastruktur wie Krankenhäuser registrierte die neue Cybercrime-Einheit 23-mal (Vorjahr: 8).

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