Film zu Vergewaltigungsserie in Bethel: „Chronik eines Versagens“

Bielefeld. Eines der Opfer der Vergewaltigungsserie enormen Ausmaßes zwischen 2018 und 2020 im Evangelischen Klinikum Bethel (EvKB) bringt seine Einschätzung der anfänglich in Bielefeld geführten Ermittlungen salopp auf den Punkt: &bdquo;Die haben's verkackt!“ Anna Loreen, im Tatjahr 25 Jahre alt, traut sich in der halbstündigen Filmdoku, die auch auf Youtube zu finden ist, unter ihrem realen Vornamen und ohne verändertes Äußeres, mutig ihr Gesicht zu zeigen. &bdquo;Chronik eines Versagens“ haben die Filmemacher der Bielefelder Initiative S/198-20 ihren Versuch betitelt, ein vorläufiges Fazit aus Organisationsversagen, polizeilicher und juristischer Aufarbeitung und den vielen Pannen dazwischen zu ziehen. Die Initiative gründete sich 2023. Sie gab sich den Namen des Aktenzeichens der ersten Anzeige einer durch Assistenzarzt Philipp G. (32) Geschädigten. Diese hatte mit ihrer Anwältin Stefanie Höke den Stein ins Rollen und die Ermittlungen überhaupt erst in Gang gebracht. Lesen Sie auch: Vergewaltigungsserie in Bethel: Opfer sind von neuen Entwicklungen erschüttert Die halbstündige Doku mit ihren ruhigen Kameraeinstellungen in neutraler Umgebung und die Interviews kommen ohne Effekthascherei, Atmos und Sounddesign aus. Sie wurde zum Auftakt der Frauen-Filmtage im Bielefelder Filmhaus gezeigt. Anna Loreen berichtet vor der Kamera, während sie immer wieder um Fassung ringt, vom Hergang der Übergriffe durch &bdquo;Sonnyboy“ Philipp G. Er sei nachts plötzlich an ihrem Krankenbett auf der Neurologie aufgetaucht und habe ihr unter fadenscheinigen Vorwänden einen Venenzugang gelegt. Darüber hatte er ihr dann offenbar ein Betäubungsmittel gespritzt. Wie weiteren 33 Opfern in seinen zwei Arbeitsjahren im EvKB. &bdquo;Wir sind schockiert, dass sich das Verfahren so hinschleppt“ Sie berichtet, dass sie sofort &bdquo;weg war“ und sich am nächsten Morgen wie zerschlagen fühlte. Sieben Videos habe G. von dieser Tat erstellt. Diese hatten die Ermittler unter vielen anderen Zeugnissen seiner perfiden Taten in seiner Wohnung gefunden. Doch zunächst musste die aufwendige Verschlüsselung der Festplatten geknackt werden. Dass die Bielefelder Staatsanwaltschaft die Ermittlungen nach dem Suizid des mutmaßlichen Täters einstellte, dass die weiteren Geschädigten, die durch das in der Wohnung gefundene Material leicht identifizierbar waren, zunächst nicht informiert wurden, dass sich erst das NRW-Justizministerium einschalten musste, um die weitere Aufarbeitung – nun durch die Duisburger Staatsanwaltschaft – anzuschieben, all das brachte die Bielefelderin Ramona Beisiegel auf die Palme, als sie es aus den Medien erfuhr. Die freiberuflich in wechselnden Wirtschaftsbetrieben tätige Managerin stellte kurzerhand ein Team zusammen, griff auf die Kompetenz von Filmemacherin und Regisseurin Hristiana Raykova und weiteren Unterstützern zurück. Das Ergebnis ist der halbstündige Film unter Mitwirkung von Anna Loreen, ihres Vaters und eines weiteren Vaters einer Geschädigten. Diese hat das Land inzwischen verlassen. Auch Beisiegel selbst und Anwältin Höke kommen in der Doku zu Wort. Alle beteiligten sich unentgeltlich. Überblick und Podcast zum Fall: Vergewaltigungsserie in Bethel: Warum stoppte niemand den Bielefelder Arzt? Frauen abgeraten, mit Boulevardformaten zusammenzuarbeiten Der Beitrag kann als Vorläufer und Basis der dreiteiligen ARD-True-Crime-Doku betrachtet werden, die ebenfalls die Verbrechen nachzeichnet. Die sich aber plakativerer filmischer Mittel bedient. Der freie NDR-Autor Bernd Gerriets und seine Frau Regine hatten mit der Initiative S/198-20 Kontakt aufgenommen und vom Netzwerk Beisiegels und Hökes profitiert. Die Zusammenarbeit mit dem Profi-Filmer sei gut gewesen, berichtet Beisiegel. Man habe zudem unbedingt dafür sorgen wollen, dass es eine seriöse Darstellung gibt. &bdquo;Es gab Anfragen von Stern TV oder Spiegel TV. Doch davon haben wir den Frauen abgeraten, weil man es dann nicht mehr in der Hand hat.“ Eine reißerische, nur auf Reichweite abzielende Darstellung hätte die Frauen womöglich zusätzlich traumatisiert. Zur Vorführung der Bielefelder Doku bei den Frauen-Filmtagen war Gerriets nach Bielefeld gereist. Im Gespräch mit der NW sagte er: &bdquo;Geplant war ein reines Täterprofil.“ Nach Kontakt mit der Bielefelder Initiative habe er den Fokus dann stärker auf die Situation der Frauen verlagert. Nach der Filmvorführung am Mittwoch: &bdquo;Euer Film war für mich der Impuls“, so Gerriets. Für seinen Beitrag spürte er ehemalige Weggefährten und Freunde des aus Krefeld stammenden Täters auf und ergänzt das Puzzle so um weitere wichtige Aspekte. Derweil steht der Abschluss der Duisburger Ermittlungen auch fast fünf Jahre nach dem Tod des Arztes weiter aus. Verblieben ist die Klärung der Frage, ob sich Klinikverantwortliche – Chefarzt und damaliger Oberarzt – einer &bdquo;Beihilfe zur gefährlichen (oder fahrlässigen) Körperverletzung“ schuldig gemacht hatten. Die Filmemacherinnen: &bdquo;Wir sind schockiert über das schleppende Verfahren. Auch darüber, dass die Frauen selbst in der Beweispflicht sind, ob sie Schaden davon getragen haben, weil sie den ansteckenden Geschlechtskrankheiten des Täters ausgesetzt waren.“ Alle &bdquo;NW“-Berichte zum Fall: Vergewaltigungsserie im Klinikum Bethel Symptome wurden als &bdquo;Krankenhaus-Depression“ abgetan Schockiert seien sie auch darüber, dass der Täter nicht gestoppt werden konnte, obwohl schon aus seiner Tätigkeit in Kempen (Kreis Viersen) 2016 Tatvorwürfe gegen ihn aktenkundig waren. Man hätte, so Höke, nach den ersten Beschwerden von Patientinnen in Bielefeld den Namen einfach nur &bdquo;durchs System laufen lassen müssen“. Das kaltschnäuzige Vorgehen des Täters, aber auch der Umgang der Klinik mit den Auffälligkeiten um den nächtlichen Diensteifer des Arztes berge viele Versäumnisse. Mehrfache frühzeitige Beschwerden von Patientinnen seien ignoriert oder bagatellisiert worden, Symptome gar als &bdquo;Krankenhaus-Depression“ abgetan worden. Ein Krisengespräch des Chefarztes mit dem jungen Arzt blieb folgenlos. Die Einhaltung darin festgelegter Anweisungen sei nie kontrolliert worden. &bdquo;Der Täter konnte unbehelligt weitermachen“, so Beisiegel. Das könnte Sie auch interessieren: Gutachten zu Vergewaltigungen in Bethel soll Bielefelder Chefarzt belasten Im Film kommt der Hinweis einer Journalistin des Kölner Stadtanzeigers vor, der Anwalt des Chefarztes habe damals auf &bdquo;ein schnelles Ende der Ermittlungen gedrängt“, da diese &bdquo;die Karriere (seines Mandanten) an der Medizinischen Fakultät behindern könnten“. Die anfängliche Weigerung der Justiz, alle Frauen über die Taten, die ihnen unter Narkose zugefügt wurden, zu informieren, bezeichnet Rechtsanwältin Höke als &bdquo;unverantwortliche Bevormundung“. Diese habe Therapien in einigen Fällen stark verzögert und womöglich irreversible Schäden angerichtet. &bdquo;Unser Rechtssystem braucht ein Update für Frauenrechte“ &bdquo;Die Frauenrechte wurden mit Füßen getreten. Es wurde in Bielefeld ganz offensichtlich ergebnisorientiert gearbeitet. Einige meiner Mandantinnen haben den Glauben an das Rechtssystem verloren“, so Höke. S/198-20-Initiatorin Ramona Beisiegel findet: &bdquo;Unser Rechtssystem braucht ein Update, wenn es immer noch möglich ist, die Belange der Opfer so weit in den Hintergrund zu schieben.“ Beide Frauen prangern an, dass es bislang keine förmliche Entschuldigung aus Bethel gegeben habe. Lediglich die Errichtung eines Entschädigungsfonds, die man aber keinesfalls als Schuldeingeständnis verstehen möge. Betroffenen wie Anna Loreen würde ein empathischerer Umgang helfen. Sie ist bis heute arbeitsunfähig, leidet unter Panikattacken, benötigt einen Assistenzhund. Im Film sagt sie, ihr Leben habe sich um 360 Grad gedreht: &bdquo;Ich bin verloren gegangen in dieser Nacht.“ Lesen Sie auch: Ohne Video kein Opfer – Bielefelderin fassungslos

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