Oberbürgermeister-Kandidatin der FDP: „Bielefeld braucht eine Wirtschaftswende“

Ihre Chancen, Oberbürgermeisterin zu werden, sind eher gering. Das werden wohl eher Christiana Bauer (CDU) und Ingo Nürnberger (SPD) untereinander ausmachen. Warum treten Sie trotzdem an? Jasmin Wahl-Schwentker: Das sehe ich absolut nicht so. Zum einen ist es eine Personenwahl. Und ich meine schon, dass ich mit meiner Partei, aber auch ich als Person in den letzten Jahren die Oppositionskraft im Rat war. Dadurch bin ich bekannt geworden und viele unserer Ideen haben sich als richtig herausgestellt. Keiner der Bewerber hat einen Amtsbonus. Also glaube ich, dass ich da eine sehr gute Ausgangsposition habe, und ich kämpfe schon darum, in die Stichwahl zu kommen. Zwischen FDP und CDU im Rat läuft es nicht eben gut. Sie haben zuletzt von der “Selbstaufgabe der Union als Oppositionspartei” gesprochen. Aber mit irgendwem müsste ja die Oberbürgermeisterin Wahl-Schwentker zusammenarbeiten, und die CDU wäre doch der geborene Koalitionspartner. Wahl-Schwentker: Klar ist, ist, dass wir einen Wechsel brauchen für Bielefeld. Wie ich das sehe, steckt der Karren wirklich tief im Dreck. Jahrzehnte rot-grüne Politik haben unserer Stadt mächtig zugesetzt. Wir brauchen eine starke Kraft, die unsere Stadt wieder in Fahrt bringt. Das kann die FDP nicht allein sein. Bielefeld braucht daher auch eine CDU, die ähnlich denkt wie wir. Die Partei, die den Liberalen wiederum “selbstgefälliges Getöse” vorwirft. Wahl-Schentker: Wir halten es für zwingend, dass die CDU nicht auf Schwarz-Grün setzt. Das ist ja zu befürchten. Die CDU macht sich ja schon hübsch dafür. Das wäre fatal für unsere Stadt, denn die Grünen bekommen ihre Sachen gut durchgesetzt. Einen echten Wechsel gibt es nur mit der Bielefelder FDP. Wir dürfen die CDU nicht mit SPD oder Grünen alleine lassen. CDU und FDP eigentlich nah beieinander Dann wäre es ja Zeit für ein Freundschaftstreffen mit der CDU Wahl-Schwentker: Wir sind im Austausch, denn auch den meisten in der CDU ist klar, dass es nur gemeinsam geht. Ich bekomme auf meine Arbeit sehr viel positive Rückmeldung gerade auch von Anhängern und Mitgliedern der CDU, die sich einen konsequenteren Kurs wünschen. Es ist tatsächlich die Fraktionsspitze, mit der es manchmal ein bisschen schwierig ist. Als Sie sich als OB-Kandidatin vorgestellt haben, haben Sie gesagt, statt etwas voranzubringen, wird in Bielefeld eigentlich alles verhindert. Wo liegen aus Ihrer Sicht die größten Defizite? Wahl-Schwentker: Fangen wir mal an beim Verkehr. Das ist ja eines der brennendsten Punkte. Da ist ein ganz schlimmer Fehler passiert, und das ist die Vereinbarung mit dem Radentscheid. Da hat OB Pit Clausen dafür gesorgt, dass wir uns dieser lauten Minderheit unterwerfen mussten. Dabei ist der Vertrag in keiner Weise bindend. Der OB hat ja auch schon durchblicken lassen, dass er sich eigentlich gar nicht daran halten will, aber er löst sich auch nicht davon, sondern er lässt die laute Minderheit weiter das Zepter schwingen. Inzwischen gibt es mehr als 180.000 Pkw in der Stadt. Wird es da nicht doch langsam eng für so viele Autos? Wahl-Schwentker: Es wird ja nicht mehr Platz werden, wenn man die Straßen zurückbaut. Diese Logik habe ich nie verstanden. Gleichzeitig müsste man natürlich sagen, wir verbessern andere Möglichkeiten, in die Stadt zu kommen. Wir schaffen zum Beispiel Park and Ride-Plätze. Das ist ein Weg, den wir schon vor Jahren eingefordert haben. Es ist nun mal so, dass wir das Straßenbahnnetz nicht in den letzten Winkel der Stadt kriegen. FDP will &bdquo;Miteinander-Mobilität“ Neue P+R-Plätze sind ja jetzt in der Planung. Wahl-Schwentker: Jetzt. Aber bei den Grünen hieß es dazu auch schon, wenn sich einer erstmal ins Auto setzt und in Richtung Innenstadt fährt, der parkt nicht auf dem Park and Ride-Parkplatz, sondern der fährt weiter. Mit den Grünen wird sich das nicht bewegen. Wie lauten Ihre Alternativen? Wahl-Schwentker: Wir wollen eine Miteinander-Mobilität. Die Frage ist: Wie kriegen wir die Leute in die Stadt. Dabei darf man auch nicht nur aufs Auto setzen, sondern muss allle Verkehrsarten berücksichtigen, den Radverkehr, den ÖPNV. Gerade der ÖPNV-Ausbau kostet sehr viel Geld. Wie würden Sie den als Oberbürgermeisterin finanzieren? Wahl-Schwentker: Ja, das ist ein defizitäres Geschäft. Warum kümmern wir uns bei der Stadt deshalb nicht mehr um die Einnahmeseite und erleichtern uns solche Dinge, ob das nun der ÖPNV ist oder ob das der Schulneubau ist oder Dinge, mit denen wir unsere Stadt voranbringen wollen? FDP will &bdquo;wettbewerbsfähige Unternehmenssteuern“ Einnahmeseite verbessern hieße Steuern erhöhen. Aber die Gewerbesteuer, dei wichtigste Einnahmequelle der Stadt, wollen Sie sogar deutlich senken. Wie soll das funktionieren? Wahl-Schwentker: Steuern erhöhen ist das rot-grüne Verständnis davon, die Einnahmeseite zu verbessern. Die höchsten Steuersätze habe nicht die reichsten, sondern die ärmsten Städte. Damit unsere Unternehmen nicht woanders investieren, sondern hier bei uns, brauchen wir wettbewerbsfähige Unternehmenssteuern. Nichts kommt die Stadt teurer als die Abwanderung von Arbeitgebern. Niedrige Steuern für viele wachsende Unternehmen bringen mehr Einnahmen als Höchststeuersätze für immer weniger Betriebe. Mein Gefühl: Rot-Grün ist die Dramatik der Lage gar nicht bewusst. Unseren Vorschlag einer Gewerbesteuerabsenkung wollen wir mit einer &bdquo;Gewerbeflächenstrategie 2030“ koppeln. Die Bilanz von Rot-Grün ist null Hektar Gewerbeflächen. Dabei zeigt der Regionalplan durchaus Flächenpotenziale auf. Das städtische Umweltamt hat 500 Hektar Freiflächen ausgemacht, wo Photovoltaikanlagen aufgestellt werden können. Man sollte überprüfen, ob Teile davon auch für Gewerbe genutzt werden könnten Bald stehen Haushaltsberatungen an. Dann wird es auch wieder ums Personal gehen. Die FDP beklagt den stetigen Aufwuchs. Da wird immer gern dagegen gehalten, dass Feuerwehr oder Kitas einfach mehr Personal brauchen. Wo sehen Sie Einsparmöglichkeiten? Wahl-Schwentker: Es gibt natürlich Aufgaben, die müssen erledigt werden, wie zum Beispiel Feuerwehr oder Kita. Es ist auch klar, dass es Bereiche gibt, die unterbesetzt sind. Aber die Personalkosten können nicht so wie bei Rot-Grün jedes Jahr viel stärker steigen als die Wirtschaft wächst. Mit einer ehrlichen Aufgabenkritik käme man weiter. Das ist natürlich ein dickes Brett. Brauchen wir zum Beispiel so ein umfangreiches Berichtswesen, das viele Kräfte bindet? Auch eine stärkere Digitalisierung der Verwaltungsabläufe kann bedeuten, dass man weniger Personal benötigt. Warum hat die FDP eigentlich nicht beim neuen Sicherheitspakt mit gemacht, den Rot-Grün-Rot und die CDU gemeinsam auf den Weg gebracht haben? Wahl-Schwentker: Es gab ja zum einen die Kooperationsvereinbarung mit der Polizei. Da sind ja ganz viele Vorschläge drin, wie man mit Sozialarbeitern die Problemgruppen begleitet. Aber repressive Maßnahmen mit dem Ziel, die Kriminalität an den Brennpunkten Tüte oder Kesselbrink einzudämmen, tauchen kaum auf. Ich habe auch als Staatsanwältin gearbeitet und weiß, dass das Strafrecht tatsächlich auch helfen kann, Druck aufzubauen, über Bewährungsauflagen oder einfach die Androhung, dass man inhaftiert wird. Da erkennt mancher, dass es doch gut wäre, in eine Therapie zu gehen statt immer tiefer im Drogensumpf zu landen. Videoüberwachung auch für Wahl-Schwentker eine Option Das war die Kooperationsvereinbarung. Dann gab es die gemeinsame Entschließung. Wahl-Schwentker: Wir haben gehört, dass die Rats-CDU Gespräche mit Rot-Grün hierzu nur ohne die FDP führen wollte. Im Ergebnis ist uns dann zu viel auf die Rücksicht genommen worden, die offenkundig nur eine weichgespülte Erklärung unterschreiben konnten. Dass die CDU-Fraktion den Grünen schon vor der Wahl ausgerechnet beim Thema Sicherheit solche Zugeständnisse macht, erklärt vielleicht, warum sie uns nicht dabei haben wollten. Aber es gibt jetzt die Soko Innenstadt der Polizei, und es wird über eine Waffenverbotszone geredet. Wahl-Schwentker: Ja, es ist ja leider so, dass es nötig geworden ist, solche Dinge zumindest zu prüfen. Wenn wenn wir vor zehn Jahren schon diese Maßnahmen ergriffen hätten, die wir immer schon vorgeschlagen hatten, bräuchten wir heute nicht drüber sprechen. Auch von Videoüberwachung ist die Rede. Davon hält die FDP gemeinhin wenig. Wahl-Schwentker: Das ist ja auch ein sensibles Thema. Wir wollen die Rechte der Bürger schützen. Aber meine persönliche Meinung dazu ist, dass man unter diesen ganz engen Voraussetzungen an einem Kriminalitätsschwerpunkt zeitlich begrenzt eine solche Überwachung zulassen könnte. Wahl-Schwentker würde sofort Vertrag mit Radentscheid kündigen Nehmen wir an, Sie werden Oberbürgermeisterin. Was machen Sie in den ersten 100 Tagen? Wahl-Schwentker: Ich würde den Vertrag mit dem Radentscheid kündigen und mich sehr schnell um die Gewerbeflächen kümmern. Und ich würde mich mit dem Kämmerer zusammensetzen und einen Kassensturz machen. Das Allerwichtigste ist, ein vertrauensvolles Verhältnis in der Verwaltung aufzubauen. Man muss die Menschen bei notwendigen Veränderungen immer mitnehmen. Ich glaube, ich bin auch in einer guten Lebensphase dafür, um so ein verantwortungsvolles Amt wie das einer Oberbürgermeisterin zu übernehmen. Wenn es doch nicht klappt, für wen gibt die FDP dann eine Empfehlung ab? Für Frau Bauer oder Herr Nürnberger? Wahl-Schwentker: Das besprechen wir dann. Bislang gibt es in Bielefeld sechs Bewerber für das OB-Amt. Es sind dies Sozialdezernent Ingo Nürnberger (SPD), die CDU-Kreisvorsitzende Christiana Bauer (CDU), der Fraktionschef der Grünen im Rat, Dominic Hallau, die FDP-Fraktionsvorsitzende Jasmin Wahl-Schwentker, Florian Sander (AfD) und der Start-up-Unternehmer Rolf Olaf Meyer als parteiloser Einzelbewerber. News direkt aufs Smartphone: Hier finden Sie den kostenlosen Whatsapp-Kanal der NW Bielefeld

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