Bielefeld. „Meine Tochter ist ermordet worden. Ich brauchte eine Erlösung von dem Schmerz“, das berichtet eine Mutter nach einer langen Leidenszeit in einer TV-Dokumentation über das Projekt Täter-Opfer-Kreis, das jetzt in Bielefeld fortgesetzt wird. Um Straftaten richtig aufarbeiten zu können, braucht es oft mehr als polizeiliche Ermittlungen und ein gerechtes Urteil vor Gericht. Opfer von schweren Straftaten bleiben oft mit ihren Fragen alleingelassen zurück. Ein besonderes Projekt will hier nun eine Lücke schließen.
Betroffene von Straftaten (Mord, Raub, gefährliche Körperverletzung, Einbruch), sowohl Opfer als auch Täter, kommen in einem moderierten Gruppenkreis in einen gemeinsamen Dialog. Dabei ist wichtig, dass es nicht um ein und dieselbe Tat geht. Trotzdem soll der Täter-Opfer-Kreis Augen öffnen, Fragen beantworten helfen und Sicherheit geben.
„Ich wollte wissen, warum morden Sie“, erzählt die Mutter später. In dem Gesprächskreis waren zwei Männer, die gemordet hatten. Sich berichteten, dass sie durchgedreht seien, aus der Angst, kleingemacht zu werden. Die Mutter verstand daraufhin, dass die fehlende Konfliktfähigkeit Auslöser bei diesen Männern war.
Betroffene sollen sich so aus der Opferrolle lösen
„Die Begegnung zwischen Geschädigten von Straftaten und Straftätern ist ein gänzlich neuer Ansatz zur Aufarbeitung der Taten“, berichtet Verena Hanswillemenke vom Psychologischen Dienst der JVA. Das Ganze ist dort angesiedelt, wo Straftäter im Idealfall auf dem Weg zurück in ein straffreies neues Leben sind, in der Justizvollzugsanstalt Bielefeld-Brackwede. Das Projekt hat zum Ziel, die Bedürfnisse und das Erleben der Geschädigten in den Vordergrund zu stellen, sie aus der klassischen Opferrolle zu holen.
Daniela Hirt, Fachberaterin für „Restorative Justice“ (engl.: wiederherstellende Gerechtigkeit) und Gesprächsmoderatorin bei dem Projekt der JVA, erklärt: „Die Betroffenen haben dabei die Möglichkeit, selbstbestimmt von ihrem Erleben zu berichten und sich so aus der Funktion als Zeuge und vor allem aus der Opferrolle selbst loszulösen.“ Der Gesprächskreis sei daher nicht als Konfrontation der Opfer mit ihren Tätern gedacht, vielmehr fände ein Dialog mit Vertretern der Gegenseite statt – also mit Menschen, die es was angeht. Denn auch diese Menschen haben Straftaten begangen.
Auf Täterseite geht es darum, Verantwortung für das eigene Handeln zu übernehmen und sich mit den Folgen einer Straftat auseinanderzusetzen. Viele Straftäter haben sich noch nie vor Augen geführt, welche Folgen ihre Tat für die Opfer und schließlich auch für die Angehörigen hatte. Und auch die Darstellung der Täter – etwa übermannt zu sein von der blinden Wut – gehört dazu, wenn Opfer eine Tat verarbeiten wollen.
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Bielefelder Experten sehen Projekt als Gewinn für die Verarbeitung
„Das Angebot soll die Grundlage eines gesellschaftlichen Miteinanders wiederherstellen“, sagen die Verantwortlichen des Projekts vom Psychologischen und Sozialdienst der JVA, die die Vorbereitung und Moderation des Täter-Opfer-Kreises übernehmen. Ein erster Projektdurchlauf 2022 wurde von ihnen „als voller Erfolg“ bezeichnet, weil beide Seiten die Gespräche als gewinnbringend für den eigenen Verarbeitungsprozess erlebt hätten. Im Frühjahr 2025 startet der nächste Projektdurchlauf.
Das Angebot richtet sich an Opfer von Straftaten im Bereich Gewalt, Betrug und Eigentumsdelikte. Sexualdelikte sind ausdrücklich ausgeschlossen. Nach ersten Vorgesprächen arbeiten beide Parteien zunächst in vertraulichen Kleingruppen, um das Zusammentreffen mit der Gegenseite im moderierten Täter-Opfer-Kreis vorzubereiten. Hier werden Fragen, Ängste und Gedanken erörtert.
Wer teilnehmen möchte, meldet sich bei der JVA Bielefeld-Brackwede unter Tel. 0521 4896357 oder 0521 4896229 oder per Mail: poststelle@jva-bielefeld-brackwede.nrw.de.