Zeitreise durch 40 Jahre JVA Brackwede: Von Ausbrüchen, RAF-Terroristen - und Gefängnis-Baby Sascha

Bielefeld-Brackwede. Das Gefängnis in Ummeln wird am 1. Mai auf den Tag genau 40 Jahre alt. 1977 nahm es seinen Betrieb auf. Der Knast mit den sechs Meter hohen Mauern ist in jeder Hinsicht ein besonderes Gebäude in Bielefeld. Die Lokalredaktion hat sich auf eine Zeitreise der besonderen Art gemacht. DIE ANFÄNGE Der Bau des neuen Gefängnisses an der Umlostraße gilt damals als eines der größten Baukomplexe in OWL. Er soll das alte Gefängnis an der Gerichtstraße, das 1985 für das heutige Amtsgericht abgerissen wird, sowie das veraltete Landgerichtsgefängnis Paderborn ersetzen. Geplant ist die Justizvollzugsanstalt (JVA) Bielefeld-Brackwede als zentrale Untersuchungshaftanstalt für ganz OWL. Schnell wird sie als &bdquo;ausbruchssicher" gelobt. ERÖFFNUNG Bei der Eröffnung des Haftschmuckstücks am 30. August 1977, einer Stahlbetonkonstruktion mit vorgehängter Waschbetonfassade, verkündet Justizminister Diether Posser die &bdquo;Abkehr vom Strafvollzug alter Prägung". Ein neues Gesetz hat die Resozialisierung der Gefangenen in den Vordergrund des Strafvollzugs gesetzt. IM NIRGENDWO Eine Anbindung an den Nahverkehr gibt es für die JVA allerdings noch nicht. Oberbürgermeister Klaus Schwickert klagt in seiner Rede anlässlich der Eröffnung: &bdquo;Den Stadtwerken erscheint eine Linie zur JVA unrentierlich." Angehörige und Hafturlauber fahren zunächst Taxi. Gut zwei Jahre später stellt das Justizministerium Geld für einen Buswendeplatz zur Verfügung. KLO-FAKE-NEWS Im März 1977 hält sich das Gerücht, man habe bei der Planung die Toiletten für die Vollzugsbeamten vergessen. Deshalb müsse auf jedem Flur eine Zelle freigehalten werden, damit auch die Bediensteten ein Stilles Örtchen hätten. Die Bauleitung dementiert in der NW: &bdquo;Insgesamt stehen den Häftlingen 503 Toiletten zur Verfügung (Häftlingssprache: Bello). Und auch an die Bedienstetenwurde gedacht." Für sie wurden 25 Toiletten eingeplant. DER ERSTE AUSBRUCH Schon fünf Monate nach Inbetriebnahme gelingt am 20. Oktober 1977 zwei Bankräubern die Flucht aus dem &bdquo;sichersten Gefängnis in NRW". Mit Hilfe eines Heizungsmonteurs können sie im Fensterkitt einen Schlüsselabdruck fertigen. Mit ihrem Nachschlüssel gelangen sie in den Heizungskeller und durch den Schornstein aufs Dach. Von dort seilen sich die Ausreißer mit einer Wäscheleine ab. Beide werden später gefasst. Kurz darauf schaffen es auch junge U-Häftlinge aufs Dach. ROTE ARMEE FRAKTION Der Deutsche Herbst hat auch Auswirkungen auf Bielefeld. Seit 1981 sitzen sieben RAF-Aktivistinnen und vier männliche Gefangene aus den Revolutionären Zellen in BiBra in Haft. Die bekanntesten sind Brigitte Mohnhaupt (ab 1985) und Birgit Hogefeld (ab 1993). Die meisten von ihnen protestieren medienwirksam per Hungerstreik gegen ihre Haftbedingungen. KNAST-BABY Im Mai 1984 wird Sascha geboren. Doch seine Mutter muss neun Tage später ihre U-Haft antreten. Allerdings ohne ihr Baby. Weil es in der JVA nicht ständig Licht und warmes Wasser gebe, so die Anstaltsleitung. Der Protest aus der Bevölkerung ist riesig. Die JVA muss einlenken: Sie stellt in der Krankenabteilung einen &bdquo;besonders schönen Raum" zur Verfügung – mit Warmwasser und Teeküche. AUSBRECHER Lediglich vier Ausbrüche erlebt die JVA Brackwede in ihrer 40-jährigen Geschichte. Nach dem ersten Ausbruch 1977 nehmen drei Schwerverbrecher 1987 zwei Vollzugsbeamte als Geiseln. Trotz ihrer Sprengsätze wird die Flucht vor dem Toren der Anstalt von der Polizei gestoppt. 1989 schafft es ein Häftling, sich in einem Karton zu verstecken, der mit einem Lieferwagen nach draußen fährt. 1992 macht ihm das eine Gefangene in einem Container voll Schaumstoffteile nach. &bdquo;Das dürfte heute nicht mehr gelingen", sagt Anstaltsleiter Uwe Nelle-Cornelsen. &bdquo;Wir schließen an die Fahrzeuge einen Herzschlagdetektor an." TIERISCH Der bisher letzte &bdquo;Ausbrecher" ist im Dezember 2000 übrigens ein Vogel. Der Beo ist einem Häftling durch das offene Fenster entwischt. Aber auch er kommt zurück. Nach 100 Metern geht ihm die Puste aus und er landet erschöpft im offenen Vollzug. Erlaubt sind übrigens nur Fische und Vögel. Ein Häftling der JVA will 1985 aber eine Feldmaus und klagt sich durch drei Instanzen – ohne Erfolg.

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