Chaos, Pannen, wütende Bürger: Bielefelder Verkehrsdebatte läuft völlig aus dem Ruder

Bielefeld. Alle Zutaten für einen Krimi sind im Johannistal vorhanden: Kritische Bürger, die (gezielt?) nicht alle zu einer Info-Veranstaltung eingeladen worden sind. Eine Verwaltung, die 309 Unterschriften mit Klarnamen und Adresse gegen alle Regeln des Datenschutzes öffentlich macht, damit die Gegner des fahrradfreundlicheren Umbaus der Straße unter Druck gesetzt werden können. Eine Online-Umfrage, die über Nacht so manipuliert worden sein soll, dass aus einem klaren Nein zur Planung plötzlich ein Ja wurde. Eine Planung, die Todesopfer in Kauf nimmt (Ältere, die von Pflegediensten nicht mehr erreicht werden, und Kinder, denen parkende Autos als Schutzwall gegen fahrende Autos fehlen). Aber, so Gegner der Planungen aus Politik und Bürgerschaft zynisch, der Friedhof grenze ja direkt an die Straße an. Überall gibt es Mächtige aus Politik und Verwaltung, die die Bürger nicht anhören. Und Donnerstag, in der entscheidenden Sitzung, kommen die Bürger vorsätzlich erst zu Wort, als alles entschieden ist. Ihre per Petition eingereichte Kritik liegt der Bezirksvertretung verfälscht vor, da unvollständig. Was für ein Krimi. Ist es ein Krimi? Oder Demokratie? Oder was? Aber Stopp, es ist kein Krimi, sondern der vermutlich vorletzte Akt in einem sich seit Jahren hinziehenden Streit um gut 300 Meter Straße, täglich ein paar Hundert Radfahrer und Fußgänger – und 27 wegfallende Parkplätze.Das Pikante: Der Streit eskaliert, nachdem der demokratische Weg beschritten worden ist, im Jahr 2022, ungewöhnlich intensiv. Es gab zwei Bürgerbeteiligungen, es gab etliche öffentliche politische Sitzungen, es gab Beschlüsse nach allen Regeln der Demokratie. Mit Mehrheiten, erzeugt durch gewählte Volksvertreter. Aber: An den meisten Terminen in 2022 waren von den jetzigen Kritikern nur wenige zu sehen. Dafür aber kamen sie Montag offenbar unangekündigt in die Fraktionssitzung der Grünen. Die nahmen sich irritiert, aber offen, anderthalb Stunden Zeit für eine Debatte, berichten Teilnehmer. 2022 war also das entscheidende Jahr. Zur Demokratie gehört aber auch, dass Bürger das Recht haben, über den Beschwerdeausschuss per Bürgereingabe ein Instrument zu nutzen, das die Politik zwingt, sich erneut zu dem zu verhalten, was die Verwaltung ausgearbeitet hat und was beschlossen ist. Das nutzten die Bürgerinnen und Bürger am 8. Mai 2024 – der Beschwerdeausschuss verwies das Thema dann an die Bezirksvertretung (BZV) Gadderbaum und den Stadtentwicklungsausschuss als entscheidende Gremien – und nun folgte Donnerstag die Sitzung der BZV. Eine der chaotischsten Sitzungen in Gadderbaums Geschichte Eine, die als eine der chaotischsten in die Geschichte des Bezirks eingehen dürfte. Eine voller Unterstellungen, Boshaftigkeiten, Regelverstößen. Da 25 Bürger anwesend waren, wurde der Tagesordnungspunkt Johannistal vorgezogen, die politische Debatte kam also sofort, inklusive der Entscheidung. Aber, und das mutete unglücklich an, über das Regelwerk und den Ablauf aufgeklärt wurden die Bürger nicht noch einmal. Sie, die fast ununterbrochen in die Sitzung hineinriefen und mehr als 20 Mal zur Ordnung gerufen werden mussten, wurden nicht darüber aufgeklärt, dass es die Möglichkeit einer Sitzungsunterbrechung gab (zur freien Diskussion) und eine Bürgerfragestunde, in der Fragen gestellt werden dürfen, auf die es Antworten der Verwaltung geben muss. Es wurde ein großes Durcheinander. Gebhard Spilker (FDP), der im Johannistal lebt, trug über lange Strecke die Kritik an den Plänen opulent vor, ergänzt um die empörte Kritik daran, dass die Unterschriftenliste online einzusehen war. Erst sein Anruf beim Rechtsamt habe zu einer Korrektur geführt. Andrea Kimpel (Verwaltung): &bdquo;Ein Versehen, das wir noch nicht erklären können, das uns aber sehr leidtut.“ Es sei intern ein Verfahren dazu eröffnet worden. Erhitzte Reaktionen der Bürger folgten, es gebe dadurch nun vor Ort das Gefühl einer Bedrohung. Hier wurde nun von der FDP eine Sitzungsunterbrechung beantragt, um den Bürgern die Diskussion zu erlauben, was Grüne und SPD ablehnten. Die Datenschutz-Panne müsse geprüft werden, sei aber aktuell nicht von der BZV zu behandeln. Es folgte die Verkehrsdebatte, bei der immer wieder bekannte Argumente im Tonfall eher unversöhnlich und teils ehrabschneidend vorgetragen wurden, bis dann abgestimmt wurde. Neuerliche Sitzungsunterbrechung wurde nicht beantragt Während dieser Debatte zum Johannistal, in die sich die Bürger spürbar gerne eingebracht hätten, beantragten aber weder CDU noch FDP erneut eine Sitzungsunterbrechung – und auch von SPD und Grünen kam der Vorschlag nicht. Und so erkannten die Bürger plötzlich, dass ihre Eingabe abgelehnt worden war (von Grünen, SPD und Carsten Strauch), und sie erst jetzt zu Wort kommen konnten. Und ihnen wurde bewusst, dass auch die Fragestunde erst folgte, als alles entschieden war. Spilker (FDP) befeuerte das Gefühl von Ungerechtigkeit: &bdquo;Ich bin hier seit 1999, nie habe ich erlebt, dass eine beantragte Sitzungsunterbrechung abgelehnt wurde.“ Aus den Reihen der Bürger kamen Zurufe wie &bdquo;Wir werden erst gehört, wenn Sie entschieden haben?“ und &bdquo;Das ist doch schwachsinnig so!“ sowie &bdquo;So was ist keine Demokratie!“ – allerdings ging auch keiner darauf ein, dass das demokratische Verfahren bereits 2022 mit Bürgerworkshops und öffentlichen politischen Sitzungen stattgefunden hatte. Und es vor drei Wochen eine dritte Bürger-Info gegeben hatte. Bürger Daniel Mörchen (vom Radentscheid) fragte deshalb: &bdquo;Gab es jemals in Gadderbaum eine Verkehrsmaßnahme, die mit so umfangreicher Bürgerbeteiligung durchgeführt worden ist wie diese?“ Antwort von Bezirksbürgermeisterin Hannelore Pfaff: &bdquo;Nein, niemals zuvor, und auch nicht in ganz Bielefeld.“ Einen Teilerfolg für die Bürger gab es doch noch In einem Punkt konnten die Bürger einen Teilerfolg erzielen: Ihre Forderung, die Ampel am unteren Ende des Johannistals zu erhalten und nicht durch einen Zebrastreifen zu ersetzen (aber um eine Bodenwelle zu ergänzen), soll geprüft werden, und das Ergebnis soll in die nun entscheidende Sitzung des Stadtentwicklungsausschusses am 5. November mit einfließen. Abgelehnt wurde ein Antrag von FDP und CDU, der im Johannistal eine andere Umbau-Variante als die beschlossene forderte, damit aber exakt dasselbe erneut forderte, was 2022 von der Mehrheit auch schon abgelehnt worden war.

Meistgelesen