Streit um Bielefelder Trinkwasser: Kritik an Bau der Ruhrgebiet-Fernwasserleitung

Bielefeld. Viele, sehr viele kritische Fragen hatten die Mitglieder des Ausschusses für Umwelt und Klimaschutz zum Entwurf des neuen Wasserversorgungskonzeptes der Stadt, aber vor allem zum geplanten Bau einer Fernwasserleitung, mit der ab etwa 2030 rund 2,5 Millionen Kubikmeter Wasser der Gelsenwasser AG nach Bielefeld fließen sollen. Weil die Antworten von Umweltamt und Stadtwerken danach erst einmal sacken müssen, wurde noch keine Entscheidung gefällt. Deutlich wurde, dass vor allem die Stadtwerke im Vorfeld eine falsche Informationskette gewählt haben, die erst recht zu Widerspruch und Skepsis geführt hat. Nils Neusel-Lange, Geschäftsführer der zuständigen Bielefeld Netz GmbH unter dem Dach der Stadtwerke, zeigte sich einsichtig, anders als noch im Naturschutzbeirat, als ihn die Vehemenz der Kritik offensichtlich unvermutet getroffen hatte. Im Umweltausschuss versuchte er noch einmal deutlich zu machen, warum die Stadtwerke bis 2050 einen Wasserbedarf inklusive Reserven von 26,5 Millionen Kubikmeter sehen. Die Bezirksregierung als Aufsichts- und Genehmigungsbehörde sieht auf alle Fälle ab 2030 ein Defizit von 4,3 Millionen Kubikmeter. Bisher liegen die Rechte bei 22,27 Millionen. Dürre-Jahre haben gezeigt, wo beim Trinkwasser die Grenzen liegen &bdquo;Als Versorger müssen wir uns auf Spitzenmomente und ungünstige Konstellationen einstellen, nicht nur auf Durchschnittswerte“, betonte Neusel-Lange. Die Dürrejahre 2018 bis 2022 hätten deutlich gezeigt, wo die Grenzen liegen. Aufgrund von bekannten Werten, steigenden Verbräuchen, Prognosen auch zum Klimawandel, statistischen Berechnungsgrundlagen samt Sicherheitszuschlag ergebe sich eine Beschaffungslücke von bis zu 6,8 Millionen Kubikmeter bis ins Jahr 2050. Lesen Sie auch: Naturschützer fordern – kein Trinkwasser von Gelsenwasser für Bielefeld Mit der Fernleitung handelten die Stadtwerke im Sinne der Nationalen Wasserstrategie und der daraus zu erarbeitenden Wasserversorgungskonzepte der Länder, sagte Neusel-Lange. Dabei gehe es um die überörtliche Vernetzung von Versorgungsgebieten, um flexiblen Ausgleich unterschiedlicher Wasserressourcen und -bedarfe. Die gemeinsame Gesellschaft für Bau und Betrieb der 18 Kilometer langen Fernwasserleitung von Varensell nach Bielefeld-Sennestadt sei kein Einstieg in eine Privatisierung der Trinkwasserversorgung, entgegnete der Netz-Chef entsprechende Kritik. Es gehe darum, einen vertrauensvollen Partner auf Augenhöhe zu haben, um die nötigen Ressourcen zu bekommen. Die Gelsenwasser AG – zu mehr als 90 Prozent in kommunaler Hand – sei ein solcher Partner. Mehr als 20 Jahre habe man gemeinsam das Wasserwerk Mühlgrund in Schloß Holte-Stukenbrock betrieben. Gelsenwasser versorgt zudem Kommunen in der Region. Eigenes Potenzial von 4,75 Millionen Kubikmeter Natürlich würden die Stadtwerke zuvorderst ihre Kraft in die Leistungssteigerung eigener, ortsnaher Anlagen stecken – mit einem rechnerischen Potenzial von 4,75 Millionen Kubikmeter pro Jahr. Aber es werde &bdquo;nicht alles maximal funktionieren“, sagte Neusel-Lange. Und die Risikofaktoren für bestehende Anlagen seien größer geworden. Adam Marek vom Umweltamt verwies als Beispiel auf die aktuellen Probleme der Nachbarn in Gütersloh, wo giftige Chemikalien (PFAS) das Trink- und Grundwasser bedrohen. Zuvor hatte er im Zusammenhang mit dem neuen Wasserversorgungskonzept der Stadt erklärt, dass die Reaktivierung stillgelegter Anlagen auch nicht so einfach sei. Die Technik sei alt, müsse überwiegend komplett erneuert werden; Wasserrechte sind erloschen, müssten neu beantragt, könnten aber auch nicht endlos erhöht werden. Dort, wo neue Brunnen entstehen sollen, brauche es Trinkwasserschutzgebiete. Das alles brauche viel Zeit und sei nicht ohne Konflikte im Hinblick auf konkurrierende Flächennutzung, so Marek. Lesen Sie auch: Eine Bielefelder Mathematikerin prophezeit Wasserknappheit Der Geologe legte aber auch einen deutlichen Fokus auf die Grundwasser-Neubildung. &bdquo;In den vergangenen 30 Jahren war das unspektakulär.“ In den Dürrejahren 2018 bis 2022 seien die Grundwasserstände gesunken, die Neubildungsraten &bdquo;massiv zurückgegangen“. Zwar sei 2023 mit 1.400 Millimeter Niederschlag fast das Doppelte auf den Quadratmeter gefallen wie in einem Durchschnittsjahr. Aber es habe weniger den ostwestfälischen Landregen gegeben als vielmehr Starkregenereignisse, ergänzte Umweltamtschefin Tanja Möller. &bdquo;Es ist noch zu früh, daraus Rückschlüsse zu ziehen“, sagte Geologe Marek. Klar sei aber: &bdquo;Es hat sich im gesamten System etwas verschoben.“ Sicherheitszuschlag der Stadtwerke erscheint zu hoch Gleichwohl erschien einigen Mitgliedern des Umweltausschusses der Sicherheitszuschlag der Stadtwerke zu groß. Weitere kritische Nachfragen zielten auf die Wasservorräte von Gelsenwasser ab. Antwort: Deren Talsperrensystem und die Ruhr hätten ausreichend Kapazitäten, nachdem sich durch den industriellen Wandel im Ruhrgebiet die Nachfrage fast halbiert habe. Auch fehlten den Politikern Perspektiven zur Wassereinsparung – bis hin zur &bdquo;Wasserampel“, die notfalls den Bürgern bei Bedarf die rote Karte beim Trinkwasserverbrauch für Pools und Gartenbewässerung zeigt. Umweltdezernent Martin Adamski erinnerte an die Überlegungen zur &bdquo;Schwammstadt“ mit der Kombi von Entsiegelung, Regenwasserversickerung, Retentionsflächen. Adam Marek sah die größten Möglichkeiten ebenfalls dort sowie bei der Nutzung von Grauwasser für WC-Spülungen und Waschmaschinen. &bdquo;Fest steht, wir müssen vorbereitet sein“, sagte Adamski.

Meistgelesen