Rede zum Spatenstich

Medienhaus am Kesselbrink in Bielefeld: NW baut an einem Standort mit Geschichte

Beim Spatenstich für das Gebäude beleuchtet NW-Geschäftsführer Klaus Schrotthofer die abwechslungsreiche Historie des Bauplatzes. Tausende kamen hier einst für den Frieden zusammen. Doch es gibt auch ein dunkles Kapitel.

Die Luftaufnahme aus dem Jahr 1969 zeigt einen Kesselbrink im Wandel. Das zukünftige Telekom-Hochhaus befindet sich gerade im Bau. Bielefelds größter Innenstadtplatz ist damals vor allem Parkplatz. Seitdem hat sich viel getan. | © Günter Rudolf

23.06.2024 | 23.06.2024, 15:20

Bielefeld. Direkt neben dem H1-Hochhaus (einst Telekom) und dem H1-Parkhaus mit der Adresse Friedrich-Ebert-Straße 11 entsteht das neue Medienhaus der Unternehmensgruppe Neue Westfälische. Auf einem Bauplatz mit besonderer Historie.

Beim symbolischen Spatenstich für den fünfstöckigen Neubau am Bielefelder Kesselbrink blickt NW-Geschäftsführer Klaus Schrotthofer nicht nur in die Zukunft, sondern lässt auch die bewegte Geschichte des besonderen Platzes Revue passieren. Einst trafen sich an dieser Stelle Tausende, doch es gibt auch ein dunkles Kapitel.

Die vollständige Rede des NW-Geschäftsführers im Wortlaut:

„Herzlich willkommen zu diesem für unser Medienhaus sehr besonderen Anlass an einem sehr besonderen Ort. Ich will Sie zu einer kleinen Zeitreise einladen. Genau hier, wo wir heute zusammenstehen, war lange Zeit einer der zentralen Veranstaltungsorte der Stadt. In der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts bis in die 1920er-Jahre war hier die sogenannte ,Central-Halle’, später wurde sie in ,Kyffhäuser’ umbenannt, bis sie 1944 durch einen Bombentreffer zerstört wurde. Hier wurde buchstäblich Stadtgeschichte gemacht.

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Im November 1890 wurde an diesem Ort die Bielefelder SPD nach der Aufhebung der Sozialistengesetze wieder neu gegründet. 1894 fand hier ein Stiftungsfest des Deutschen Metallarbeiterverbandes statt. Bielefeld war damals wie heute eine der großen Industriestädte Deutschlands. Aber ich will Sie mitnehmen zum 28. Juli 1914, wenige Tage vor dem Ausbruch des Ersten Weltkrieges.

Im ständigen Wandel: 1961 entsteht das Parkhaus unter dem Bielefelder Kesselbrink. Heute ist das H1-Parkhaus fast fertig. Direkt daneben baut jetzt die NW eine Medienzentrale. - © Stadtarchiv Bielefeld
Im ständigen Wandel: 1961 entsteht das Parkhaus unter dem Bielefelder Kesselbrink. Heute ist das H1-Parkhaus fast fertig. Direkt daneben baut jetzt die NW eine Medienzentrale. | © Stadtarchiv Bielefeld

Stellen Sie sich also einen heißen Sommertag vor, vor 110 Jahren, hier in und um die ,Central-Halle’. Drinnen lange Tische, lange Tresen, ein riesiger Billardtisch, draußen ein gewaltiger Biergarten mit 4.000 Sitzplätzen. Rund 7.000 Menschen sind hier versammelt und warten auf einen Mann, nach dem heute in vielen Städten Straßen oder Schulen benannt sind: Carl Severing spricht zu den vielen Tausenden, zu einer ,Kundgebung für den Frieden’ hat er eingeladen. Severing war Abgeordneter des Reichstags, er war Gewerkschafter und Sozialdemokrat, später, in der Weimarer Republik, sollte er Innenminister von Preußen und des Deutschen Reiches werden.“

Bedeutsam für die Geschichte der Neuen Westfälischen

Der frühere preußische und Reichsinnenminister Carl Severing half beim Wiederaufbau der Bielefelder SPD und wurde 1946 Chefredakteur der Zeitung „Freie Presse", Vorläufer der Neuen Westfälischen. - © (Stadtarchiv Bielefeld)
Der frühere preußische und Reichsinnenminister Carl Severing half beim Wiederaufbau der Bielefelder SPD und wurde 1946 Chefredakteur der Zeitung „Freie Presse", Vorläufer der Neuen Westfälischen. | © (Stadtarchiv Bielefeld)

„Im Juli 1914 steht er also hier vor all den Menschen und spricht über den Frieden, als die Kriegsmaschinerie schon angelaufen war. Die Menschen klatschen und jubeln und rufen und hoffen. Genau hier, wo jetzt die Baumaschinen stehen. Carl Severing war zu dieser Zeit der leitende Redakteur einer großen Zeitung, die unmittelbar zu uns führt. Severing war Redakteur der ,Volkswacht’, die 1933 von den Nazis erst verboten und dann enteignet wurde. Erst 1946 durfte sie wieder erscheinen unter dem neuen Namen ,Freie Presse’, aber mit einem bekannten Chefredakteur: Carl Severing.

Viele namhafte Journalisten haben dort gearbeitet, Fritz Pleitgen oder Friedrich Nowottny, bis die progressive ,Freie Presse’ im Jahr 1967 mit ihrer bürgerlichen Konkurrenz fusionierte. Es entstand die ,Neue Westfälische’. Sie sehen: Dieser Ort, an dem wir heute stehen und an dem unser neues Haus entsteht, ist nicht nur für die Stadtgeschichte bedeutsam, sondern auch für unsere Unternehmensgeschichte.“

Sammellager für die Deportation von Bielefelder Juden

Im Kyffhäuser am Kesselbrink mussten die Deportationsopfer auf Stroh ausharren. - © Stadtarchiv Bielefeld
Im Kyffhäuser am Kesselbrink mussten die Deportationsopfer auf Stroh ausharren. | © Stadtarchiv Bielefeld

„Erfreuliches, Erstaunliches und Grauenvolles hat sich hier abgespielt, Geschichte ist hier greifbar. 1918 fand hier am 9. November, dem Tag der Abdankung des Kaisers, die Wahl des ,Bielefelder Volksrates’ statt. Ab 1941 wurden mehrfach Hunderte jüdische Frauen, Männer und Kinder hier in der ,Central-Halle’ zusammengetrieben. Hier mussten sie mit einigen wenigen Habseligkeiten in drangvoller Enge auf den Abtransport zum Bahnhof warten, wo Züge sie in die Vernichtungslager brachten. Insgesamt acht solcher großen Deportationen fanden bis 1945 statt.

Und auch nach dem Krieg blieb dieser Ort und dieser Platz für Bielefeld bedeutsam, man kann auch weiterhin die Zeitgeschichte hier ablesen. In den 1960er Jahren wuchs das Areal der Deutschen Bundespost, ab 1970 entstand hier nebenan das später als Telekom-Hochhaus bekannte Gebäude, das einzige Hochhaus in Bielefeld – das von Goldbeck jetzt gerade in eindrucksvoller Weise revitalisiert wurde. Was die Welt damals bewegt hat, ist hier auch in Beton gegossen. Unter uns erstreckt sich auf zwei unterirdischen Etagen eine gewaltige Bunkeranlage. Der Kalte Krieg und die Furcht vor einer atomaren Katastrophe war bis zum Ende des Ost-West-Konfliktes allgegenwärtig.“

Verlässlicher Qualitätsjournalismus in OWL

„Und heute, 110 Jahre nachdem an diesem Ort der ,Volkswacht’-Redakteur Severing vor dem Ersten Weltkrieg warnte, 78 Jahre nachdem der Gründungs-Chefredakteur der ,Freien Presse’ Severing hier über die Trümmer des Zweiten Weltkriegs schaute, 34 Jahre nach der friedlichen Wiedervereinigung unseres Landes, baut die Mediengruppe ,Neue Westfälische’ hier nun ihr neues Medienhaus. Was für eine erstaunliche, was für eine ermutigende Geschichte kann dieser Platz erzählen!“

Mehr zum Thema: Baubeginn: Neues NW-Medienhaus wird den Bielefelder Kesselbrink verändern

„In zwei Jahren werden hier Journalistinnen und Journalisten ein- und ausgehen, Verlagsleute, Digitalexpertinnen, Radio- und Videospezialisten. Die Redaktion wird von hier aus das mit großem Abstand reichweitenstärkste regionale Nachrichtenportal nw.de betreiben und Zeitungsinhalte für die NW, für das Haller Kreisblatt, die Lippische Landes-Zeitung und das Mindener Tageblatt produzieren. Aus dem Studio von Radio Bielefeld wird man über diesen Platz blicken, nebenan werden die Profis von ams die Lokalradios in ganz OWL mit Inhalten und technischem Support unterstützen.

Sie alle verbindet eine gemeinsame Mission: Wir sind den Menschen in dieser Stadt und in dieser Region verbunden, und wir liefern der Stadt und der gesamten Region seriöse, geprüfte, unterhaltsame und wertvolle Nachrichten und Informationen. In einer Zeit, in der wir weltweit über ,alternative Wahrheiten’, über Fake-News und den Missbrauch von digitalen Plattformen zur Verbreitung von Lügen und Propaganda sprechen, wird hier verlässlicher Qualitätsjournalismus in unserer Heimat entstehen. Es könnte keinen schöneren Anlass zum Feiern geben.“

Außergewöhnliche Investition in ein regionales Medienhaus

Visualisierung des neuen NW-Medienhauses, das an der Friedrich-Ebert-Straße ab Mitte 2026 nach und nach bezogen werden soll. - © Goldbeck/ NW
Visualisierung des neuen NW-Medienhauses, das an der Friedrich-Ebert-Straße ab Mitte 2026 nach und nach bezogen werden soll. | © Goldbeck/ NW

„Aber es ist nicht nur Anlass zum Feiern, sondern auch zum Dank. Ich danke zunächst unserer Gesellschafterin, der Deutschen Druck- und Verlagsgesellschaft, die hier durch ihren Geschäftsführer Matthias Linnekugel vertreten ist. Eine solche Investition in die Zukunft eines regionalen Medienhauses ist in diesen Zeiten wirklich nicht selbstverständlich. Ich danke Dir, lieber Matthias, für das Vertrauen in unser Haus und für die Zuversicht und die Überzeugung, dass guter Journalismus eine gute Zukunft hat. Die Unterstützung für dieses Projekt ist ein Statement, das in die gesamte Medienbranche Deutschlands ausstrahlt.

Ich danke auch Ihnen, lieber Herr Goldbeck, für die großartige Zusammenarbeit in diesem Projekt. Wir haben das Unternehmen Goldbeck nicht nur als äußerst kompetenten Spezialisten für solche Bauvorhaben kennengelernt. Wir spüren auch an vielen Stellen, wie stark das Unternehmen und die Familie Goldbeck mit dieser Stadt verbunden sind – und dafür auch besondere Anstrengungen unternimmt.“

Verwurzelt in der Mitte der Stadt Bielefeld

„Schließlich danke ich auch der Stadt Bielefeld und Ihnen, lieber Pit Clausen, für die zugewandte, pragmatische und immer konstruktive Begleitung bei diesem Bauvorhaben an diesem auch für die Stadt so bedeutenden Ort. Würde es immer so unkompliziert gehen, wäre der Berliner Flughafen zehn Jahre früher fertig geworden.

Wir schreiben heute also ein neues Kapitel in der Geschichte dieses Platzes und unseres Medienhauses. Die Mediengruppe Neue Westfälische ist und bleibt fest verwurzelt in der Mitte der Stadt und der gesamten Region. Hier entsteht ein nahbarer und transparenter Ort für Qualitätsjournalismus, hier arbeiten Menschen aus OWL für OWL. Wir sind davon überzeugt: Seriöse Nachrichten für Ostwestfalen, gedruckt, online oder im Radio, werden auch in der digitalen Zukunft unentbehrlich sein. Und auf diese Zukunft freuen wir uns gemeinsam mit Ihnen allen!“