Vergewaltigungsserie in Bethel: Opfer sind von neuen Entwicklungen erschüttert

Bielefeld. Die Nachricht klingt ganz sachlich: Vor einigen Wochen ließ die Staatsanwaltschaft Duisburg verlauten, dass ein Teil der Ermittlungen gegen Vorgesetzte des Assistenzarztes, der in den Jahren 2018 bis 2020 30 Patientinnen im Evangelischen Klinikum Bethel (EvKB), zwei Patientinnen aus anderen Kliniken und 12 Opfer aus dem privaten Umfeld betäubt, sie vergewaltigt und Handyaufnahmen von den Taten erstellt hatte, eingestellt wurden. Dürre Fakten für die einen, Nachrichten von erheblicher Dimension für die Betroffenen. Zehn Frauen, die von Philipp G. im Klinikzusammenhang geschädigt wurden, vertritt die Rechtsanwältin Stefanie Höke. Sie berichtet auf Nachfrage von nw.de von erheblicher Unruhe, die die Nachricht von der Teileinstellung bei ihren Mandantinnen ausgelöst habe: &bdquo;Für viele war es ein weiterer Schlag ins Gesicht“, schildert Höke. Die Frauen hätten teils resigniert von &bdquo;Täterschutz“ gesprochen und im Hinblick auf offensichtlich problematische Abläufe im Klinikalltag der Jahre der Tatserie gefragt: &bdquo;Wofür haben wir eigentlich die ganze Zeit gekämpft?“ Lesen Sie auch: Skandal in Bethel: Justiz entschädigt Opfer des Bielefelder Serienvergewaltigers Der Anfangsverdacht wegen Beihilfe zur Vergewaltigung durch Unterlassen habe sich nicht bestätigt, so die ermittelnde Behörde. Die Staatsanwaltschaft Duisburg hatte das Wiederaufnahmeverfahren übernommen, nachdem die Bielefelder Staatsanwaltschaft die Ermittlungen nach dem Suizid des Arztes zunächst eingestellt und auch die Benachrichtigung von Geschädigten gestoppt hatte. Höchste Justiz-Kreise der NRW-Landesregierung hatten sich eingeschaltet und auf die Wiederaufnahme von Ermittlungen sowie die lückenlose Informierung der Betroffenen gedrängt. Vorgesetzte weiter im Fokus Nachdem sich der mutmaßliche Täter Philipp G. (32) im September 2020 in der Haft das Leben genommen hatte, konzentrierten sich die Recherchen auf mögliche Versäumnisse des Chefarztes der neurologischen Station, eines Oberarztes und der EvKB-Klinikleitung. Ein Hauptvorwurf: Hinweisen von Patientinnen, die Merkwürdiges an sich und in den Nächten, in denen der junge Arzt unvermittelt in ihre Krankenzimmer kam, festgestellt hatten, sei nicht ausreichend nachgegangen worden. Die Klinik habe immer wieder schützend die Hand über den jungen Arzt gehalten. Nun also die Einstellung, zumindest eines Teils der Ermittlungen. Weiter fortgeführt werden noch die Ermittlungen gegen die Vorgesetzten zur Fragestellung einer Beihilfe zur gefährlichen (oder fahrlässigen) Körperverletzung. Sie beziehen sich lediglich auf die verabreichten Narkosen zur Vorbereitung der dann begangenen Straftaten. Zu diesem Aspekt wird zurzeit ein Sachverständigengutachten erstellt. Mit einem endgültigen Ergebnis wird erst zum Jahresende gerechnet. Zögerliche Informierung frustriert Betroffene Dass selbst sie als Anwältin nicht von der Staatsanwaltschaft Duisburg von der Teileinstellung informiert worden sei, sondern die Info an einem Sonntagnachmittag von einem Pressevertreter erhalten habe, spreche nicht für &bdquo;erhöhte Sensibilität“ der Ermittlungsbehörden gegenüber den Geschädigten, so die Anwältin. Zudem frustriere die lange Verfahrensdauer und wiederholt zögerliche Informierung der Betroffenen diese ganz enorm. &bdquo;Es entsteht bei einigen der Eindruck, dass der Schutz der Klinik über die Interessen der Geschädigten gestellt wird“, sagt Höke. Bei der Klinik, in der der Serienvergewaltiger sein Unwesen trieb, handele es sich immerhin um einen Betrieb eines der größten Arbeitgeber der Region – die von Bodelschwinghschen Stiftungen Bethel. Eine gewisse &bdquo;Beißhemmung“ sei womöglich auch aufseiten der Behörden nicht ganz auszuschließen, mutmaßt die Rechtsanwältin. Schon zu Beginn der Aufarbeitung der &bdquo;Bethelfälle“ mit ihrer erheblichen Dimension und enormer Perfidität des sich perfekt tarnenden Täters, hatten die Bielefelder Behörden gezögert, die betroffenen Frauen zu suchen und sie darüber zu informieren, was ihnen unter Narkose zugefügt worden war. Junger Arzt wurde zum Rapport bestellt Erst lautstarke öffentliche Diskussionen und die Tatsache, dass mehrere Geschlechtskrankheiten am Leichnam von Philipp G. festgestellt wurden, führten zu einer – gleichwohl zögerlichen – Informierung der Frauen. Und dies, obwohl bei der Durchsuchung der Wohnung des Täters umfangreiches, pedantisch mit Namen und Daten beschriftetes Videomaterial von den Taten gefunden wurde. Fragen stellen sich den Frauen und ihrer Anwältin Stefanie Höke auch hinsichtlich eines Gesprächs, das der Chefarzt mit Philipp G. acht Monate vor dessen Enttarnung geführt hatte. Nachdem die Hinweise auf dessen nächtliches Auftreten in den Patientinnenzimmern nicht abgerissen waren, war der 32-Jährige zum Rapport bestellt worden. Der Chef belegte den jungen Arzt mit einem Verbot, das Narkosemittel Propofol anzuwenden und verdonnerte ihn dazu, die Zimmer nur noch in Begleitung zu betreten. &bdquo;Dieser Vorwurf muss bestehen bleiben“ Allein – die Befolgung dieser Anweisung ist im Klinikalltag offenbar in keiner Weise kontrolliert worden. Der Täter konnte sein Treiben ungeniert fortsetzen. Kritik übt die Anwältin daran, dass sie auch über die derzeitige Erstellung eines Sachverständigengutachtens zur Fragestellung einer potenziellen Beihilfe zur Körperverletzung durch Vorgesetzte nur &bdquo;über die Presse“ erfahren habe. Sie betont: &bdquo;Dieser Vorwurf muss bestehen bleiben.“ Es könne nicht sein, dass man in der Klinik zur Tagesordnung übergehe, während einige der Frauen erheblich geschädigt zurückblieben. Auf die Frage von nw.de, wie es den Frauen gehe: &bdquo;Ihr Leben verläuft nach der traumatischen Erfahrung sehr unterschiedlich – je nach persönlicher Resilienz.“ Während manche ihren Alltag und Berufe wieder aufnehmen konnten, gebe es eben auch jene wie eine 27-Jährige, die durch die Geschlechtskrankheiten des Täters zusätzlich geschädigt wurde. Sie sei nun berentet und warte auf die Bewilligung eines Assistenzhundes, &bdquo;der ihr helfen soll, den Weg zurück ins soziale Leben zu finden.“

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