„Respekt nimmt ab“: Chef von Bielefelds größtem Garten spricht zum Abschied Klartext

Bielefeld. Aus 66 mach’ 37. Aus Mann Frau. Der Wechsel an der Spitze des Botanischen Gartens könnte flapsig als Naturverjüngung bezeichnet werden. Rüdiger Ahrend geht nach 15 Jahren als Chef in den Ruhestand, Janine Berg übernimmt – all das endgültig zum Februar. Jetzt findet eine Art Übergabe im laufenden Geschäft statt. Ahrend hat ein lachendes und ein weinendes Auge, wenn er in den Rückspiegel blickt: Einerseits gravierende positive Veränderungen und viele botanisch beglückte Menschen, andererseits zunehmender Ärger. Ärger, der auch Janine Berg beschäftigen wird. Ahrend spricht Klartext: &bdquo;Der Respekt vor dem Botanischen Garten nimmt immer weiter ab.“ Was er meint? &bdquo;Hundehalter, die die Hinweise auf die kurze Leine ignorieren, die Tiere markieren dann überall und die Pflanzen gehen kaputt.“ Insbesondere Anwohner des Parks zeigten sich hier – sogar bei persönlicher Ansprache – hartleibig. Ahrend: &bdquo;Sie sind sehr resistent, es gibt eine gewisse Ignoranz; es hält sich einfach keiner an die Regeln.“ Manchmal werde im Bach herumgetobt, dabei würden sogar Larven des seltenen Feuersalamanders getötet. Bielefelds Botanischer Garten hat Problem mit Feiernden Hinzu kommen abendliche Treffen, gerne lautstark: Die Pavillons am Fachwerkhaus und im Apothekergarten wirken anziehend. Und so bringt er, der es eigentlich großartig findet, dass der Park acht offene Eingänge hat, sogar Zäune und Drehkreuze ins Spiel. Ein Thema, das Tierpark und Botanischen Garten, Bielefelds benachbarte und beliebte Kleinode, verbindet. Janine Berg sieht das Thema ebenfalls, will sich aber zunächst selbst einen Eindruck verschaffen. &bdquo;Ich bin erst einmal keine Freundin eines Zaunes, aber ich kann das auch nicht ausschließen, das hängt davon ab, ob und wie der Vandalismus zunimmt.“ Ahrend ist aber ein positiver Mensch, blickt lieber auf die schönen Dinge, die der Garten bietet, die in seine Zeit fallen. Das Jahr 2022 ist hier das herausragende Jahr. Da wurde das heute 202 Jahre alte Fachwerkhaus wieder eröffnet. Es ist vor allem die Gärtnerunterkunft, zehn Mitarbeiter gibt es. Für 1,2 Millionen Euro wurde das marode Haus saniert. Mit neuem, größeren Multifunktionsraum. &bdquo;Was habe ich da gedrängelt“, erinnert sich Ahrend an den steinigen Weg zur Sanierung, die am Ende die leuchtend grün geprägte Fassade erhalten konnte, innen aber alles neu machte. Zwei Meilensteine wurden im Jahr 2022 gesetzt Ein Meilenstein, wie auch der im selben Jahr auf der Erweiterungsfläche eröffnete Apothekergarten. Um knapp 4.000 Quadratmeter wuchs der Botanische Garten im 110. Jahr seines Bestehens, gut zehn Prozent. Vor dem Apothekergarten war das angrenzende Bachbett neu gestaltet worden, vor allem neue Brücken und mehr als 10.000 Stauden sind ein Hingucker. Lesen Sie auch: Alles zum Apothekergarten Wie auch der Apothekergarten mit seinen gut 170 heilenden Pflanzenarten (für 18 Anwendungsgebiete) – sowie jetzt auch noch ein Aromabeet mit 40 Arten, deren Faszination von Duftstoffen und Aromen ausgeht. &bdquo;Da war der Förderverein für uns eine große Hilfe“ würdigt Ahrend die Zusammenarbeit mit dem engagierten Verein, der beim Apothekergarten maßgebliche Impulse setzte. Für ihn auch ein Erfolgserlebnis ist das neue Schaugewächshaus. 2017 wurde es eingeweiht, es steht in der Nähe des Fachwerkhauses. Jeweils fast zur Hälfte wurde es aus Spenden und vom Förderverein finanziert – und besitzt jetzt sich automatisch öffnende und schließende Fenster. Und ist Heimat besonderer Pflanzen wie der Wüstenrose, die dieses Jahr erstmals blühte. Zehntausende Besucher im Botanischen Garten Da der Garten ganz besonders Menschen Pflanzen näherbringen möchte, haben die Führungen einen besonderen Stellenwert – und das soll auch so bleiben, betont Berg. 10 eigene Führungen gibt es und bis zu 40 auf Anfrage. Bis zu 50 Menschen nehmen regelmäßig teil, so erreicht der Garten alleine über Führungen mehr als 1.000 Menschen jedes Jahr. Hinzu kommen vermutlich um die 20.000 bis 30.000 Besucher &bdquo;An schönen Wochenenden haben wir hier 500 am Tag“, sagt Ahrend. Berg will weiter auf Führungen setzen, hinzu kommen soll Social Media. Sie, die erste Frau an der Spitze des 113 Jahre alten Gartens mit seinen rund 3.000 Arten, plant auch, auf den Schildern QR-Codes zu etablieren, für mehr Infos, für modernere Zugänge. &bdquo;Ich möchte auch das junge Publikum locken“, sagt die Frau, die im Zierpflanzenbetrieb der Eltern in Bünde groß wurde, an der Uni Osnabrück &bdquo;Angewandte Pflanzenbiologie“ studiert hat und bis jetzt ihr Geld dort in Forschung und Lehre verdient hat. Auch interessant: Bielefelds bekanntestes Fachwerkhaus ist ungewöhnlich farbenfroh saniert worden Ein anderer Werdegang als der ihres Vorgängers, der gelernter Landschaftsgärtner und studierter Biologe ist. Und der nun Reisen will: &bdquo;Die englischen Gärten in Cornwall möchte ich sehen, aber auch viele Städte.“ Und der eine Lieblingspflanze im Garten hat: den Mammutbaum. Ahrends Liebling ist der Mammutbaum Warum gerade der? Weil er eine Art Sinnbild ist für den Botanischen Garten: Etwa gleich alt und mit einem flachen Wurzelwerk ausgestattet, das in etwa die gesamte Fläche des Gartens ausmacht. Fast unvorstellbar, aber wahr – &bdquo;und dann ist der Baum auch noch ein Jugendlicher, die können ja gut Tausend Jahre alt werden“, sagt Ahrend und schmunzelt über seine 66 Jahre, die in den Ruhestand führen. Und zu einem neuen Privileg: &bdquo;Endlich ausschlafen.“

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