Kommentar: „Welle der Gewalt an Bielefelds Kesselbrink muss dringend angegangen werden“

Bielefeld. Der Kesselbrink kommt einfach nicht aus den Schlagzeilen. Im Gegenteil, die Gewalt dort scheint sich zu potenzieren. In den letzten fünf Wochen haben wir über Massenschlägereien teils mit Stichwaffen, Belästigungen von Frauen und daraus resultierend schwere Angriffe auf Menschen mit Zivilcourage berichtet. Hier die Chronologie: 13. April: Mann greift Helfer mit einer Machete an 20. April: Ins Krankenhaus geprügelt: 20 Männer verfolgen Bielefelder am Kesselbrink 6. Mai: Massenschlägerei am Kesselbrink: Gruppe prügelt Steinhagener ins Krankenhaus 11. Mai: Helfer wollen Bielefelderin retten - und werden von 20 Männern attackiert 15. Mai: Frau auf Kesselbrink belästigt: Wieder wird ein Helfer angegriffen 18. Mai: Massenschlägerei in einem Hinterhof: Wieder nächtliche Randale am Kesselbrink Dabei scheint sich das Geschehen zunehmend vom Platz selbst vor und in die Hinterhöfe des Gebäudedreiecks zwischen Kesselbrink, Wilhelmstraße und Friedrich-Verleger-Straße zu verlagern. Die Zustände werden nach Angaben von Anwohnern immer unerträglicher. Es werde in die Keller eingebrochen, getrunken, offen gedealt, Drogen konsumiert und der Müll werde liegengelassen. Obdachlose hätten dort, so eine Mieterin, inzwischen ein neues Zuhause gefunden und würden auch ihre Fäkalien hinterlassen. In den vergangenen Monaten sei die Situation immer heftiger geworden, so eine Anwohnerin. Sie und andere Frauen würden sich kaum noch aus dem Haus trauen, in den Abendstunden sei es besonders gruselig. Brutale Übergriffe von Gruppen auf dem Kesselbrink Dazu gibt es immer wieder Konflikte zwischen größeren Gruppen oder brutale Übergriffe von Gruppen auf Einzelne. Greifen Menschen helfend ein, werden sie schnell ebenfalls zu Opfern – ein 30-jähriger Bielefelder ist Mitte April sogar mit einer Machete verletzt worden.Dass es zu Gewalt auf dem Kesselbrink kommt, ist zum Alltag in Bielefeld geworden. Doch in jüngster Zeit habe sich die Lage besorgniserregend entwickelt, berichten Beobachter. Eine Rolle soll dabei auch der Konsum von Lach- oder ähnlichen Gasen aus Luftballons spielen, wonach die Konsumenten wohl völlig die Kontrolle über sich selbst verlieren würden. Die unmittelbar am Platz gelegene Polizeiwache hat traurigerweise keine abschreckende Wirkung. Genau hier entwickelt sich unter den Augen der Ordnungshüter ein Kriminalitätsschwerpunkt: &bdquo;Eine No-Go-Area“, kommentiert ein Leser auf nw.de.Dabei hat der Kesselbrink zwei Gesichter. Tagsüber zeigen Jugendliche auf BMX-Bikes oder Skateboards ihr Können im größten innerstädtischen Skatepark Deutschlands, Sportler trainieren an der großen Calisthenics-Anlage, Familien kommen zusammen, Kinder laufen oder radeln durch das Geschehen und samstags ist der Wochenmarkt stets gut frequentiert. Familien, Kinder und Jugendliche auf den Platz holen Im sogenannten Grünen Würfel hat die Stadt eine Art Mitmach-Begegnungszentrum, das mittlerweile mehr als 30 Angebote für verschiedenste Zielgruppen bietet, und das Bistro &bdquo;Keimzeit“ etabliert. Die Arbeiterwohlfahrt, die Diakonie und die Caritas haben inzwischen die Trägerschaft übernommen. &bdquo;Wir glauben fest, dass wir dem Würfel ein neues Image geben können und über ihn Familien, Kinder und Jugendliche auf den Platz holen“, so Projektleiter Werner Wörmann bei der Eröffnung im Juni 2021. &bdquo;Wir glauben fest daran, dass die Bürger ihn annehmen und sich hier wohlfühlen.“ Das trojanische Pferd der scheinbar heilen Welt vis a vis der Drogen- und Trinkerszene funktioniert tagsüber – manchmal auch mithilfe von Sicherheitskräften – sicherlich gut. Doch der Grüne Würfel hat begrenzte Öffnungszeiten und nachts fühlen sich viele Menschen am Kesselbrink nicht mehr wohl, fürchten um ihr leibliches Wohl und meiden den Platz. Anstieg der Betäubungsmittelkriminalität seit 2019 um 165 Prozent Die Polizei hat auf dem Kesselbrink einen Anstieg der Betäubungsmittelkriminalität seit 2019 um 165 Prozent registriert. Ein Viertel aller &bdquo;außenveranlassten Einsätze“ (ohne Verkehrseinsätze) konzentrierte sich laut Polizeipräsidentin Sandra Müller-Steinhauer im Jahr 2023 auf die Bereiche &bdquo;Tüte“, Jahnplatz, Kesselbrink und Boulevard.Die Polizeibehörde ist gesetzlich für die Verfolgung und Verhütung von Straftaten zuständig. Die Beamten haben auch die Aufgabe, Gefahren für die öffentliche Sicherheit oder Ordnung abzuwehren. &bdquo;Der Stadt Bielefeld obliegt jedoch die originäre Zuständigkeit für die Abwehr von Gefahren für die öffentliche Sicherheit und Ordnung im Stadtgebiet“, holt Müller-Steinhauer Verwaltung und Politik mit ins Boot. Credo: Allein kann die Polizei nicht Herr der Lage werden.Darum gibt es seit März eine Kooperationsvereinbarung zwischen Stadt und Polizei. Fünf Wege wollen sie künftig gemeinsam gehen: mehr Präsenz, Razzien und Strafverfolgung durch Polizei und Ordnungsamt, mehr Prävention durch Streetworker, Quartiersarbeit und Kripo, eine positive Belebung sogenannter Kriminalitätshotspots durch Feste und Aktivitäten, räumliche Verbesserungen, also weniger &bdquo;dunkle Ecken“, und schließlich mehr Sauberkeit. CDU und FDP fordern eine mobile Wache Bis diese Dinge wirklich greifen, wird viel Zeit ins Land gehen. Daher fordern CDU und FDP jetzt eine mobile Wache auf dem Platz oder im Grünen Würfel, um vor Ort Präsenz zu zeigen und einen der größten Kriminalitäts-Hotspots der Stadt zu entschärfen. Doch das ist nur ein Notnagel. Die Kriminalität wird dadurch nicht verhindert, sondern in andere Bereiche der Stadt verdrängt. Die Anwohner im Ostmannturmviertel können ein Lied davon singen. Seit es an der &bdquo;Tüte“ am Hauptbahnhof und am Kesselbrink regelmäßige Polizeikontrollen gibt, hat sich die Drogen- und Alkoholikerszene noch stärker dorthin verlegt.Der richtige Weg aus den großen gesellschaftlichen Problemen nicht nur am Kesselbrink sind sicherlich Konzepte, die alles zusammen denken: Sozialarbeit, Suchtprävention und eben auch mehr Sicherheitskräfte. Perspektivlose junge Männer neigen zu Gewalt Und wir müssen endlich ohne Tabuisierung darüber reden, dass perspektivlose junge Männer auch in Bielefeld statistisch häufiger zu Gewalt und Kriminalität neigen – und dass inzwischen zu dieser Gruppe viele geflohene, oft traumatisierte Heranwachsende gehören, die entweder auf ihre Abschiebung oder oft vergeblich auf den Nachzug ihrer Familien hoffen. Wer die Sorgen, die viele Menschen mit Blick auf Zuwanderung und Kriminalität empfinden, nicht angeht, überlässt das Feld den Populisten – obwohl diese niemals wirkliche Lösungen anbieten. Doch sie holen die Leute ab, wo ungute Gefühle stärker sind als kühle Fakten. Wie denken Sie darüber? Ich freue mich auf Ihre Anregungen unter stefan.gerold@nw.de

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