OWL Crime – mit Podcast 

Schüsse in der Bielefelder Altstadt: Prozess endet mit einer Überraschung 

Im Dezember 2020 ruft ein Mann in der Bielefelder Altstadt die Polizei. Er sei niedergeschossen worden. Im aktuellen Podcast geht es um versuchten Mord und ein Urteil, das bis heute Fragen aufwirft.

In der Nacht zum Nikolaustag 2020 sollen vor dem Stadtpalais Schüsse gefallen sein. Ein 38-jähriger wurde am Bein getroffen - ein Mordversuch?. | © Wolfgang Rudolf

Sevim Hangül
25.04.2024 | 06.02.2025, 09:23

Bielefeld. In der Nacht zum 6. Dezember 2020 fallen in der Bielefelder Innenstadt Schüsse. Ein 38-jähriger Bosnier wird am Bein verletzt und meldet sich bei der Polizei, zum Tathergang kann er allerdings kaum Auskunft geben. Ein Mordversuch steht im Raum - die „Mordkommission Hagenbruch" bildet sich. Sie ist benannt nach dem angeblichen Tatort, doch an der Hagenbruchstraße fielen in jener Nacht nie Schüsse. Lügt der Angeschossene?

Lange tappen die Ermittler im Dunkeln, bis sie nach Monaten einen 23-jährigen Bielefelder festnehmen. Nach undurchsichtigen Ermittlungen kommt es im April 2022 zur Anklage gegen ihn wegen versuchten Mordes. Im Gerichtsprozess fällt ein Urteil, mit dem wohl niemand gerechnet hat. In der neuesten Folge von Ostwestfälle, dem True Crime-Podcast der Neuen Westfälischen, sprechen Birgitt Gottwald und Jürgen Mahncke über den Fall.

Schüsse in Bielefelder Altstadt - Alle Fakten im Überblick

  • In der Nacht zum 6. Dezember 2020 geht bei der Polizei der Notruf ein. Ein 38-jähriger wurde in der Bielefelder Altstadt angeschossen.
  • Das Opfer überlebt den Angriff, hüllt sich aber in Schweigen - wie alle anderen Zeugen auch.
  • Unmittelbar nach der Tat setzt sich der 23-jährige Täter in die Türkei ab.
  • Schließlich gelingt es den Ermittlern, den Tatverdächtigen doch noch festzunehmen.
  • Der Täter wird wegen versuchten Mordes angeklagt. Doch der Prozess endet mit einer Überraschung.

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Im Bielefelder Restaurant begann der Streit der beiden Gruppen

Mehrere Schüsse fielen am 6. Dezember 2020 in der Nacht auf Sonntag gegen 1 Uhr - doch der angegebene Tatort an der Hagenbruchstraße in der Bielefelder Altstadt war gar nicht der Tatort. Selbst das Opfer und seine Begleiter verschleiern den Vorfall. Wie sich später herausstellen soll, kam es zwischen zwei verfeindeten Gruppen zum Streit. Schließlich fallen Schüsse. Allerdings an anderer Stelle - vor der ehemaligen Diskothek Stadtpalais an der Neustädter Straße in der Bielefelder Neustadt.

Seinen Anfang genommen hatte der Streit zwischen den beiden Gruppen am Samstagabend in einem italienischen Restaurant am Niederwall. Damals hatte Corona die Welt im festen Griff. Wegen der Pandemie galten strenge Verhaltensregeln. Deshalb ließ das Ordnungsamt an jenem Abend das Lokal räumen. Die Aussprache zwischen den Gruppen wurde unterbrochen.

Kurze Zeit später trafen die Gruppen vor dem Stadtpalais erneut aufeinander. Der Streit eskalierte nun endgültig. Mindestens fünfmal soll der Täter auf den polizeibekannten Bosnier geschossen haben. Dieser flüchtet und wird kurz danach - in einem fahrenden Auto sitzend - angeschossen. Eine Kugel hat die Karosserie des Autos durchdrungen und das Opfer am Bein getroffen.

Das Schweigen erschwerte das Ermittlungsverfahren

Das Opfer meldete sich bei der Polizei, doch auf weitere Nachfrage gab er keine Antworten. Für die Mitglieder der eigens eingerichteten „Mordkommission Hagenbruch" begannen schwierige Ermittlungen, denn weder das Opfer noch seine Begleiter wollten zum Tathergang aussagen - es herrschte großes Schweigen. Auch wie viele Schüsse gefallen sind, war lange unklar.

Nach weiteren Ermittlungen stellte sich heraus, dass es sich bei dem Täter um ein 23-jährigen Bielefelder mit türkischer Abstammung handelte. Dieser hatte sich nach der Tat in die Türkei abgesetzt, weswegen die Staatsanwaltschaft per internationalen Haftbefehl nach ihm fahnden ließ.

Während der Ermittlungen stellte sich heraus, dass der Gesuchte in dem italienischen Restaurant Hausmeistertätigkeiten ausgeübt hatte. Es hieß, der Restaurantbetreiber sei aus dem Umfeld des Opfers mit 20.000 Euro Schutzgeld erpresst worden.

Der Bielefelder ist ehemaliger Bundeswehrsoldat und Scharfschütze

Einige Monate lang hielt sich der Gesuchte in der Türkei auf, reiste dann aber über innereuropäische Länder nach Bielefeld zurück. Im August 2021 wurde er schließlich vom SEK festgenommen, als er mit seinem Auto auf der Artur-Ladebeck-Straße in Bielefeld unterwegs war. Endlich konnten die Ermittler ihre Arbeit zum Abschluss bringen.

Im September 2021 begann der Gerichtsprozess gegen den mutmaßlichen Schützen. Der ermittelnde Staatsanwalt Christoph Mackel wirft ihm in seiner Anklage versuchten Mord vor. Sowohl der 23-Jährige als auch das Opfer sind aus verschiedenen Gründen bereits polizeibekannt. Der 23-Jährige gibt dann im Bielefelder Landgericht zu, vor dem Stadtpalais mit einer halbautomatischen Pistole geschossen zu haben - fünf-mal auf den Boden und in die Luft, wie sein Verteidiger Jerrit Schöll vorträgt. Später fallen drei weitere Schüsse an der Neustädter Straße. Einer dieser Schüsse muss das fahrende Auto des Bosniers getroffen, die Außenhaut durchschlagen und den 38-Jährigen am Bein getroffen haben.

Weil der Angeklagte ausgebildeter Scharfschütze bei der Bundeswehr war, hatte er eine interessante Sichtweise. Er argumentierte, dass er das Opfer nicht habe töten wollen. Hätte er seinen Kontrahenten töten wollen, wäre ihm das mit seiner professionellen Schießausbildung gelungen. Eine Aussage, die das Gericht nicht widerlegen konnte.

Prozess endet mit überraschendem Urteil

Weil alle anderen Zeugen widersprüchliche oder gar keine Aussagen machten, endete der Prozess um die Schießerei in der Bielefelder Altstadt mit einer faustdicken Überraschung. Bereits am zweiten Prozesstag wird der Vorwurf wegen versuchten Mordes gegen den Bielefelder fallengelassen. Das Gericht verurteilt den 23-Jährigen lediglich wegen des Verstoßes gegen das Waffengesetz und das Fahren ohne Fahrerlaubnis zu einem Jahr und zehn Monate ohne Bewährung verurteilt. Denn der Angeklagte hatte bei seiner Festnahme eine schussbereite Waffe bei sich und verfügte nicht über eine gültige Fahrerlaubnis.

Die Schüsse in der Neustadt blieben damit weitestgehend unaufgeklärt. Staatsanwalt Christoph Mackel sagte am Ende: „Mehrere Halbwahrheiten ergeben keine ganze Wahrheit."