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Giftmord am eigenen Ehemann: Warum eine Bielefelderin ein Jahr später gesteht

Eine toxische außereheliche Beziehung war offenbar der Auslöser für einen ungewöhnlichen Mordprozess. Die Details schockieren nicht nur die Angehörigen.

In das Wasserglas des Opfers soll nach Ansicht des Gerichts die Ehefrau eine tödliche Giftmischung – unter anderem aus dem Heroin-Ersatzstoff Methadon – gekippt haben. | © Sarah Jonek

18.04.2024 | 18.04.2024, 16:58

Bielefeld. Wäre Selma Y. (50) Anfang Januar 2023 nicht unter dem Eindruck von Gewaltandrohungen, Demütigungen und massivem Stalking nicht völlig außer sich selbst zur Polizei gegangen, wäre der Giftmord an ihrem Ehemann Tufan (40) bis heute vermutlich unentdeckt geblieben. Das Besondere: Die 50-jährige Bielefelderin belastete sich dabei selbst. Gut ein Jahr später wurde sie deshalb lebenslang wegen Mordes verurteilt.

In der neuesten Folge von Ostwestfälle, dem True Crime-Podcast der Neuen Westfälischen, sprechen Birgitt Gottwald und Jens Reichenbach über einen der ungewöhnlichsten Mordfälle der Vergangenheit. Hier geht es um Liebe, Hass, Reichtum und die Auswirkungen, wenn plötzlich kein Geld mehr für Botox und Glamour zur Verfügung stehen.

Der Plan der 50-Jährigen und ihres Liebhabers Mohamad A. (45) war perfide und erstaunlich erfolgreich. Am Abend des 30. April 2022 hatte Tufan Y., ohnehin krank im Bett, plötzlich über Schmerzen geklagt. Sein Zustand verschlechterte sich zusehends. Als seine Ehefrau in der Nacht den Notarzt verständigte, konnte der nur noch den Tod des 40-Jährigen feststellen. Todesursache: unbekannt.

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Giftmord - alle Fakten im Überblick

  • Der Bielefelder Tufan Y. wurde 2022 mit Gift getötet. Trotz Obduktion und weiteren Gewebeuntersuchungen des Toten blieb die Todesursache lange unklar.
  • Hinter dem Mord stecken offensichtlich seine Ehefrau Selma Y. und ihr Liebhaber Mohamad A. aus Hamburg.
  • Im Nachhinein will Mohamad A. aber den tödlichen Plan Selma Y. in die Schuhe schieben.
  • Zudem versucht die Familie den ungewöhnlichen Tod von Tufan Y. aufzuklären.
  • Ein Jahr später: Selma Y. gesteht die Tat bei der Polizei und landet lebenslang in U-Haft, wenig später wird auch Mohamad A. festgenommen.

Bielefelder sitzt im Gefängnis - seine Frau geht eine toxische Beziehung ein

Wie immer in solchen Fällen strengen die Behörden dann ein Todesermittlungsverfahren an. Doch die Obduktion des Toten und weitere Gewebeuntersuchungen bringen keine Klarheit. Die obligatorische toxische Untersuchung wurde eingeleitet, doch lag diese auf einer langen Warteliste der Rechtsmedizin in Münster. Es gab keinen Grund für eine priorisierte Untersuchung. Die Angehörigen des Toten – die Eltern, die Geschwister und die Schwägerin – hatten da längst einen erstaunlichen Verdacht.

Die 28-jährige Schwägerin hatte schon Monate zuvor mit der Ehefrau des Toten gebrochen. Weil beide Söhne im gleichen Alter sind, waren Selma Y. und die Schwägerin lange sehr eng befreundet. Doch dann musste Ehemann Tufan für eine gewisse Zeit ins Gefängnis. In dieser Phase soll die Ehefrau das erste Mal Kontakt zu ihrem Liebhaber aus Hamburg aufgenommen haben. Selma Y. wechselte von da an immer wieder ihre Partner. Je nachdem, wer von den beiden Männer gerade finanziell mehr für sie zu bieten hatte, so berichteten es Zeugen, hatte dann ihre volle Aufmerksamkeit.

Ex-Liebhaber reagiert mit Beleidigungen und privaten Sex-Videos

Die Beziehung zwischen den Eheleuten – sie waren seit 2013 ein Paar, nach muslimischem Glauben bereits länger verheiratet, am 14. Februar 2022 erst folgte das standesamtliche Ja-Wort – war geprägt von der „materialistischen, narzisstischen und ichbezogenen“ Weltsicht der Ehefrau, so beschrieb es der Vorsitzende Richter des Schwurgerichts, Georg Zimmermann, später.

Das hatte zur Folge, dass sie immer wieder ihren Mann verließ und nach Hamburg zum Liebhaber wechselte. Doch auch dort blieb sie nach Streitigkeiten nie lange und kehrte zu ihrem Mann in Bielefeld zurück. Der verlassene Mohamad A. reagierte darauf meist mit wüsten Beleidigungen, Drohungen, Diffamierungen, später sogar mit privaten Sexvideos und Morddrohungen, die er an die Angehörigen ihrer Familie versandte. Eine höchst toxische Konstellation.

Das Gift wird auf dem Supermarktplatz übergeben

Trotzdem kamen Selma Y. und Mohamad A. am 30. April 2022 – nur 16 Tage nach der standesamtlichen Eheschließung mit Tufan, überein, den Ehemann mit Gift aus dem Weg zu schaffen. Davon war die Große Strafkammer des Landgerichts Bielefeld nach der Beweisaufnahme überzeugt. Demnach ließ sich der 45-Jährige von Hamburg von einer Bekannten nach Bielefeld fahren (er selbst besitzt keinen Führerschein), wo er Selma Y. auf einem Supermarktparkplatz in der Nähe ihres Hauses eine Mischung aus dem Heroin-Ersatzstoff Methadon, einer Epilepsie-Arznei und einem Beruhigungsmittel überreichte. Diese tödliche Mixtur, so schilderte es Zimmermann in der Urteilsbegründung, verabreichte Selma Y. ihrem Mann, aufgelöst in einem Wasserglas, um ihn zu töten.

Ein tödlicher Plan, der zunächst aufzugehen scheint. Selma wechselt erneut zu ihrem Liebhaber nach Hamburg, doch die Beziehung hält wieder nicht. Es kommt zum nächsten Zerwürfnis. Wieder folgen wüste Beschimpfungen, Stalking, Drohungen und schließlich sogar der Versuch des Hamburgers, seine Ex zu einem Geständnis zu bringen. Offensichtlich will er ihr jetzt alleine den Mord in die Schuhe schieben. Er sammelt und dokumentiert Chats und Telefongespräche. Und er nimmt deshalb mit dem Bruder des Toten und seiner Frau Kontakt auf. Auch die hatte er mit wüsten Drohungen überzogen. Ein Gericht hatte gegen A. sogar ein Annäherungsverbot verhängt, um die Familie der Schwägerin zu schützen.

Bielefelder Familie ermittelt: Auf dem Handy soll das Geständnis festgehalten werden

Doch die Familie will den ungewöhnlichen Tod von Tufan Y. aufklären und schmiedet angesichts der von A. überlieferten Chats nun seinerseits einen Plan. Die Schwägerin will nach einer langen Schweigepause Kontakt mit Selma Y. aufnehmen und ihr im Gespräch ein Geständnis entlocken. Im Auto vor dem Haus sitzen drei Familienmitglieder, die das Gespräch zwischen den Frauen heimlich mitschneiden.

Zu lebenslanger Haft verurteilt wurden Selma Y (vorne l.), mit ihren Verteidigern Sven Karsten und Frank Zindler, sowie Mohamad A. (hinten Mitte), mit Verteidigerin Bettina von Hindte und Verteidiger Jan-Christian Hochmann (r.). Foto: Oliver Krato - © Oliver Krato
Zu lebenslanger Haft verurteilt wurden Selma Y (vorne l.), mit ihren Verteidigern Sven Karsten und Frank Zindler, sowie Mohamad A. (hinten Mitte), mit Verteidigerin Bettina von Hindte und Verteidiger Jan-Christian Hochmann (r.). Foto: Oliver Krato | © Oliver Krato

Doch Selma Y. tut der 28-Jährigen nicht den Gefallen und gesteht die Tat. Sie führt aber immerhin eine ganze Reihe von Tatthesen auf, wie ihr Freund Mohamad ihr Gift untergeschoben haben könnte. Die Aussagen sind teilweise widersprüchlich, teilweise wirken sie wie absurde Ausreden. Die 28-Jährige bricht ihr Vorhaben einigermaßen frustriert ab. Sie glaubt aber trotzdem, genug neue Erkenntnisse gesammelt zu haben, um eine sofortige Festnahme von Selma Y. zu erleben. Doch die Kripo winkt zunächst ab und bittet darum, den Mitschnitt doch erstmal vorbeizubringen.

Selma Y. will bei der Polizei auspacken

In diesem Fall hilft das Schicksal – oder besser noch Mohamad A. persönlich nach. Er lässt per Handy mal wieder eine Welle von Drohungen ab, die für die schwer angeschlagene Frau offensichtlich das Fass zum Überlaufen bringt. Y. meldet sich bei ihrer Schwägerin und ruft sie zurück zu sich. Sie wolle jetzt bei der Polizei auspacken.

Zu zweit fahren die Mordverdächtige und die Schwägerin gemeinsam zur Polizei, wo es zu dem entscheidenden Geständnis kommt, dass die Ermittlungen der „Mordkommission Cocktail“ überhaupt erst auslöst. Selma Y. landet umgehend in U-Haft, wenig später wird auch Mohamad A. festgenommen. Obwohl beide im Laufe der Ermittlungen und des anschließenden Prozesses vor dem Bielefelder Landgericht immer wieder neue Ideen verlauten lassen, sich gegenseitig beschuldigen, urteilt die Schwurkammer am Ende eindeutig: lebenslange Haft wegen gemeinschaftlichen, heimtückischen Mordes.

13 Minuten lang sprechen Liebhaber und Ehefrau, während Tufan Y. im Sterben liegt

Entlarvend sei in diesem Zusammenhang ein 13-minütiges Videogespräch zwischen den beiden gewesen: „Warum sollte sich eine Alleintäterin so lang mit dem Ex unterhalten, während sie das Opfer sterbend im Bett filmt, wenn beide den Mord nicht gemeinsam geplant hätten?“ Die Verteidiger der Verurteilten kündigten Rechtsmittel gegen das Urteil an.

Die Mutter des Toten gab nach dem Höchsturteil unter Tränen zu Protokoll: „Ich fühle Erleichterung. Die Seele meines Sohnes ist jetzt hoffentlich befreit. Ich hoffe außerdem, dass auch mein Schmerz jetzt leichter wird.“ Ihr Sohn sei ein besonderer Mensch gewesen, sagt sie vor laufender Kamera und bricht dann den Gedanken ab. Denn auch sie weiß: „Egal, was für eine Strafe die bekommen haben, mein Sohn kommt nicht zurück.“