Vergewaltigungsserie in Bethel: Ohne Video kein Opfer - Bielefelderin fassungslos

Bielefeld. Die Aufarbeitung der Vergewaltigungsserie im Evangelischen Klinikum Bethel in den Jahren 2018 bis 2020 geht in eine weitere Runde: Offensichtlich geht die in der Sache ermittelnde Staatsanwaltschaft in Duisburg davon aus, dass nur Patientinnen zu den Opfern des jungen Assistenzarztes Philipp G. (32) zählen, von deren Vergewaltigung oder Missbrauch vom Täter selbst erstelltes Bildmaterial vorliegt. Gegen diese Sichtweise wehrt sich eine Bielefelderin nachdrücklich. Es gibt mindestens vier weitere Frauen, denen bis zur Verhaftung des Täters nachts und ohne Anlass ein sogenannter Zugang am Handrücken gelegt wurde – mutmaßlich, um sie mit einem Medikament zu betäuben. Sie gelten im juristischen Sinne lediglich als Opfer einer gefährlichen Körperverletzung. Eine dieser Patientinnen ist Jutta M. (Name geändert) aus Bielefeld, die erst im Dezember 2022 von der Polizei angeschrieben und in der Folge als mögliche Zeugin der Vergewaltigung einer Bettnachbarin vernommen wurde. M. beobachtete an sich selbst nach einem nächtlichen Kontakt mit Philipp G., der ihr einen Zugang legte, diffuse Symptome. Sie habe sich am Tag danach &bdquo;wie im Nebel befunden“, berichtet sie im Gespräch mit dieser Zeitung. Hören Sich auch: Der Podcast zur Vergewaltigungsserie in Bethel Auch M. vermutet, Opfer des Vergewaltigers geworden zu sein. Doch zählt sie für die Staatsanwaltschaft Duisburg nicht zu den direkt Betroffenen – eben da hier Beweise mittels Videomaterials fehlten. Eine Stellungnahme der Staatsanwaltschaft Duisburg hierzu war bis zum Redaktionsschluss nicht zu bekommen. Die Klassifizierung macht Jutta M. fassungslos und wütend Entrüstet über diese Klassifizierung der Frauen ist die Rechtsanwältin Stephanie Höke, die einige der mehr als 30 im Krankenhaus vergewaltigten Frauen vertritt. Sie hat auch Kontakt zu der heute 58-jährigen Patientin Jutta M. Zu den vielfältigen Symptomen M.’s gehörten Befindlichkeitsstörungen und mehrfach wiederkehrende schwere Blasenentzündungen. Diese Patientin, so Anwältin Höke, habe man überhaupt erst im Dezember 2022 angeschrieben – zwei Jahre nach dem Tod des Täters. Erst im Februar 2023 kam es zu einer Vernehmung, bei der ihr eine Kripo-Beamtin in Bielefeld mitgeteilt habe, sie stehe &bdquo;auf einer Liste“ von Sexualopfern des Assistenzarztes. Dieser hatte sich, wie berichtet, nach seiner Verhaftung 2020 in der Untersuchungshaft das Leben genommen. Zudem hatte man der Frau eine Auflistung der Geschlechtskrankheiten des Arztes mitgegeben. &bdquo;Er behielt meine Bettnachbarin im Auge“ &bdquo;Ich war total schockiert und auch angesichts meiner Beschwerden davon überzeugt, von ihm missbraucht worden zu sein“, sagt M. Inzwischen geben die Ermittlungsbehörden zu Protokoll, dass sich Frau M. auf keiner Liste befinde und sie dies vermutlich falsch verstanden habe. Dass die Duisburger Ermittler die Klassifizierung der Frauen als Sexual-Opfer des jungen Arztes an das Vorhandensein von Bild- oder Videomaterial knüpfen, macht Jutta M. fassungslos und wütend. Sie erinnert sich an die Nacht, in der ihr der Zugang gelegt wurde. Im Zimmer war eine ältere Frau ihre Bettnachbarin. &bdquo;Philipp G. kam spätabends hinein und begann, mir den Zugang zu legen. Ich fragte noch, wozu das nötig sei, alle Befunde lägen doch vor. Er schaute mich gar nicht richtig an, sondern behielt meine Bettnachbarin im Auge“, berichtet M. Selbst einfache Tätigkeiten seien ihr schwergefallen Zuvor hatte sie mit einer jungen Wohnungslosen ein Zimmer geteilt, bevor sie verlegt worden war. Von der Vergewaltigung dieser jungen Frau existiert Videomaterial. Und sie erinnert sich, dass diese ihr offenbar das Handy gestohlen hat. Das habe sie dem Pflegepersonal mitgeteilt, sagt M. Doch man habe ihr nach der Entlassung der Wohnungslosen wenig Chancen eingeräumt, das Handy wiederzubekommen. &bdquo;Ich rief dennoch mit einem Ersatzhandy bei der Polizei an, um den Diebstahl anzuzeigen. Dort teilte man mir mit, dass ich persönlich vorsprechen müsse.“ Nach der fraglichen Nacht, in der sie von Philipp G. mutmaßlich betäubt worden ist, sei sie dazu nicht mehr in der Lage gewesen: &bdquo;Ich habe komplett neben mir gestanden.“ Selbst einfache Tätigkeiten seien ihr schwergefallen. &bdquo;Sowas unterminiert das Vertrauen? in den Rechtsstaat“ In der Zeit nach ihrer Entlassung beobachtete die Bielefelderin viele &bdquo;Merkwürdigkeiten“ an sich selbst. Nähe zu ihrem Lebensgefährten habe sie plötzlich nicht mehr zulassen können, die Beziehung sei auch inzwischen beendet, schildert M. Auch habe sie unter unerklärlich hartnäckigen Blasenentzündungen gelitten, die schließlich nur mittels eines Antibiotikums in den Griff zu bekommen gewesen seien. M. hatte erst spät überhaupt von der Vergewaltigungsserie erfahren, aber schon vorher die Symptome verspürt. Im Dezember 2023 forderten Anwältin Höke und Patientin M. Aufklärung von der Staatsanwaltschaft Duisburg, ob den Beobachtungen von M. weiter nachgegangen werde. &bdquo;Bis heute habe ich keine Antwort bekommen“, sagt Höke. Und weiter: &bdquo;In Duisburg hat man stärker unter Opferschutz-Aspekten handeln wollen. Dann dürfen solche Klassifizierungen und auch das Hin und Her der Begriffe, ob sie nun auf einer Liste steht oder nicht, nicht passieren. Sowas unterminiert das Vertrauen in unser Rechtssystem.“ Und Jutta M. findet: &bdquo;Von Rechts wegen müssten die Ermittler jede Frau ansprechen, die in der Zeit Kontakt mit Philipp G. hatte, um ein vollständiges Bild zu bekommen.“ Zum Thema: Alle Berichte zur Vergewaltigungsserie in Bethel

Meistgelesen