Professor zu Tierversuchen an der Universität Bielefeld: „Das Töten der Tiere ist unerlässlich“

Herr Spittau, Sie sind Prodekan für Forschung und Karriereentwicklung an der Medizinischen Fakultät und für das schwierige Thema Tierversuche zuständig. Wie stark werden solche Versuche an der Universität Bielefeld zunehmen? Björn Spittau: Das ist aktuell schwer zu sagen. Die Medizin und auch andere Fakultäten werden weiter wachsen. Dadurch steigt naturgemäß die Zahl der Tierversuche und der Versuchstiere, das sind insbesondere Mäuse. Und unsere Planung sieht vor, dass Tierversuche in geringerem Umfang gemacht werden als an anderen etablierten Universitätsstandorten. Wir haben uns an der Medizinischen Fakultät in Bielefeld bewusst für einen Studiengang entschieden, der tierversuchsfrei ist. Ich kann mich in Bielefeld also zur Ärztin oder zum Arzt ausbilden lassen, ohne . . . Spittau: . . . ohne mit einem Tierversuch in Berührung zu kommen. Keine Studierende, kein Studierender muss bei uns ein Tier töten oder an toten Tieren üben. Ist das ungewöhnlich? Spittau: Absolut. Ich selbst habe während meines Medizinstudiums Ratten oder Mäuse seziert. Das war und ist auch heute noch an Medizinfakultäten als Teil des Studiums gängig. In Bielefeld haben wir uns dagegen entschieden. Medizinische Fakultät in Bielefeld schränkt Forschung an Tieren ein Warum? Spittau: Ein Aspekt ist natürlich der Tierschutz, und es gibt tatsächlich gute Alternativen. Als Professor für Anatomie und Zellbiologie lehre und forsche ich in einem Fach, in dem wir viel mit menschlichen Körperspenden arbeiten. Wenn Operationstechniken ausprobiert werden müssen, lässt sich das an Leichen sehr gut durchführen. Dennoch sind Schweine, Schafe, sogar Primaten als Versuchstiere in der Medizin noch immer häufig. Auch in Bielefeld? Spittau: An der Universität Bielefeld wird weder jetzt noch in Zukunft an Primaten geforscht. Wir haben uns als Fakultät zudem gegen die Haltung von Großtieren entschieden, obwohl das gängig ist für die klinische Forschung. In welchen Bereichen? Spittau: Zum Beispiel werden Herzkatheter-Technologien oder kardiologische Eingriffe häufig an Schweinen erforscht. In der Mund-, Kiefer- und Gesichtschirurgie, die wir selbst nicht haben, werden beispielsweise Schafe und Ziegen verwendet. An der Medizinischen Fakultät arbeiten wir im Moment ausschließlich mit Mäusen und Ratten. Das fängt erst auf Forschungsebene und ab der Promotion an, wenn man sich dafür entscheidet. Lesen Sie auch: Modernes Zuhause für Tausende Tiere an der Universität Bielefeld Warum halten Sie diese Versuche weiterhin für unerlässlich? Spittau: Nicht nur wir, auch die Deutsche Forschungsgemeinschaft und die Europäische Union sind vor kurzem zu dem Entschluss gekommen, dass eine biomedizinische Grundlagenforschung ohne Tierversuche noch nicht denkbar ist. Nicht mit den Alternativmethoden, die verfügbar sind. Und viele medizinische Innovationen sind gerade in den vergangenen zehn Jahren nur möglich geworden, weil es Tierversuche in Grundlagenfächern gab. Gegner von Tierversuchen haben gerade daran ihre Zweifel. Haben Sie ein Beispiel? Spittau: Zum Beispiel sind die Impftechnologien revolutioniert worden, von denen wir alle in der Pandemie profitiert haben. Das wäre ohne Grundlagenforschung mit Tierversuchen so nicht denkbar gewesen. Hinzu kommt, dass viele Zulassungsverfahren in der Pharmazie verlangen, dass bei der Erprobung neuer Wirkstoffe in bestimmten Phasen Tierversuche durchgeführt werden müssen. &bdquo;Dafür ist das Töten der Tiere unerlässlich“ Betrifft das denn die Universität Bielefeld, die keine pharmazeutische Fakultät hat? Spittau: Ja, wir haben zum Beispiel eine Professur für Translationale Pharmakologie, die plant, mit Tieren zu arbeiten. Hier werden individualisierte Arzneimitteltherapien bei chronischen Erkrankungen erforscht. Bevor klinische Studien mit Patienten hier möglich sind, müssen erst Tierstudien durchgeführt werden. Insgesamt haben wir aktuell an der Medizinischen Fakultät aber noch eine geringe Anzahl von Arbeitsgruppen, die wirklich aktiv mit Tieren arbeitet. Jeder Versuch muss zudem unter großem bürokratischen Aufwand beantragt werden und wird dann intern und extern engmaschig kontrolliert. Das macht man nur, wenn es wirklich notwendig ist. Was muss man sich unter einem Tierversuch denn vorstellen, wie stark leiden die Tiere? Spittau: Bei den meisten Tierversuchen machen wir das, was auch ein Tierarzt machen darf. Das heißt? Spittau: Wir narkotisieren die Tiere, damit sie keine Schmerzen haben und untersuchen oder wiegen sie. Für die Untersuchung nutzen wir in Zukunft auch bildgebende Verfahren wie CT oder MRT. Man muss nichts aufschneiden. Weil am Ende eines Versuchs aber viele Untersuchungen auf einer molekularbiologischen Basis laufen, müssen wir abschließend Proben entnehmen. Dafür ist dann das Töten der Tiere unerlässlich. Diese Zahl wollen wir so niedrig wie möglich halten. Die Universität Bielefeld will sich in Zukunft deshalb dem 3R-Prinzip verpflichten, was ist das? Spittau: Das steht für die englischen Begriffe &bdquo;replace, reduce, refine“, also ersetzen, reduzieren, verbessern. Unter dem 3R-Prinzip versteht man das erklärte Ziel, Tierversuche durch Ersatzmethoden komplett zu ersetzen. Und wo das nicht möglich ist, sie zu reduzieren und die Haltungs- und Versuchsbedingungen für die Tiere zu verbessern. Das neue Tierhaus ist dafür ein wichtiges Element. Das neue Tierhaus an der Uni Bielefeld hat Platz für 8.500 Mäuse Wie werden durch ein größeres Tierhaus, Tierversuche reduziert? Spittau: Das Tierhaus R7 ist nicht nur eine Vergrößerung, die das alte Maushaus ersetzt. Es wird auch technisch auf dem neuesten Stand sein und verbesserte Bedingungen für die Tierhaltung und die standardisierte Durchführung von Versuchen bieten. Je besser es den Tieren geht und je besser Versuchsfaktoren wie Luftfeuchtigkeit oder Klima kontrolliert werden können, desto weniger Tiere müssen eingesetzt werden. Für wie viele und welche Tiere ist das neue Gebäude R7 ausgelegt? Nur für Mäuse? Spittau: Kalkuliert wird hier mit 8.500 Mauseinheiten. Diese Zahl sagt lediglich, für wie viel Mäuse theoretisch gleichzeitig Platz vorhanden sein wird, aber nichts darüber, wie viele Tiere tatsächlich untergebracht sind oder wie viele Tierversuche de facto durchgeführt werden. Das neue Tierhaus ist ein Neubau für die gesamte Uni, also auch für die Versuchstiere der Verhaltensbiologie. Im Gebäude wird es deshalb auch Optionen zur Unterbringung von Vögeln, Ratten, Fischen und Amphibien geben. Die Universität will transparenter zu Tierversuchen informieren. Momentan gibt es aber nur eine Webseite mit dem Titel &bdquo;Tierschutz“. Ist das nicht eher Schönfärberei? Spittau: Daran wird gerade gearbeitet. Viele Universitäten haben sich schon der &bdquo;Initiative Transparente Tierversuche“ angeschlossen und unterzeichnet. Das plant auch das Rektorat der Universität Bielefeld. Wir sind auf dem Weg.

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