Platz für 100 Tote: Das ist der spannendste Neubau der Bielefelder Universität

Bielefeld. Moderne Lehrbücher, verblüffend lebensechte Dummy-Puppen, interaktive Computersimulationen mit 3D-Effekt bieten Studierenden im Fach Medizin heute völlig neue Möglichkeiten. Und doch können sie mit einem nicht mithalten: dem Studium am echten menschlichen Körper. Mit dem Aufbau der noch jungen Medizinischen Fakultät an der Universität Bielefeld ist deshalb ein weiteres hochsensibles Großprojekt verbunden – der Aufbau einer Kartei von Körperspendern. Gleichzeitig entsteht für die Anatomie auf dem Campus Süd das wohl spannendste Gebäude auf dem gesamten Unicampus. Ohne großes Tamtam, Pressekonferenz oder Infokampagne ist das neue Körperspendewesen im Sommer 2023 an der Bielefelder Hochschule angelaufen. Erste Anfragen von Personen, die ihren Körper nach dem Tod für medizinische Zwecke zur Verfügung stellen möchten, habe es sogar schon beim Start der Medizinfakultät in 2021 gegeben, sagt Marko Schulze, Leiter der sogenannten Prosektur. Sein Fachbereich ist zuständig für Konservierung, Aufbewahrung und Präparation von Körpern für die medizinische Forschung. Mehr als 90 Personen hätten sich inzwischen schon als Körperspender registrieren lassen. Doch der zukünftige Bedarf in der Anatomie der Medizinfakultät ist viel größer. Platz für 600 Studierende und 100 Tote Noch befindet sich das Körperspendewesen erst im Aufbau. Aktuell nutze man die alte Pathologie in Bethel und beziehe Körperspenden von anderen Universitäten, erklärt Schulze. Die Präparationssäle, in denen bis zu zehn Studierende gleichzeitig an einem Seziertisch hautnah alles über den menschlichen Körper lernen, sind temporär im Verwaltungsgebäude R.1 an der Morgenbreede untergekommen. Eine Übergangslösung, während rund 500 Meter weiter auf dem Campus Süd das wuchtige neue Anatomiegebäude R.6 in die Höhe wächst. Laut Uni eines der modernsten in ganz Deutschland. Mehr zum Thema: Gutes tun, günstig bestatten: So funktionieren Körperspenden an der Universität Bielefeld Die Anforderungen an die Räume im Inneren sind hoch: Im Präparationssaal wird ein komplexes, von Sensoren kontrolliertes System aus Kühlung, Lüftung, Absaugkanälen für ideale Bedingungen sorgen, damit bis zu 160 Studierende an 16 Seziertischen gleichzeitig arbeiten können. Im anatomischen Hörsaal mit 300 Plätzen, jetzt noch im Rohbau, sollen steile Ränge eine gute Sicht auf anatomische Demonstrationen ermöglichen. In einem Histologiesaal wird zukünftig der mikroskopische Aufbau von Geweben untersucht. Dazu wird es Umkleiden, Spinde, Toiletten, Sozial- und Praktikumsräume für die Lebenden geben und Anlieferungs- und Konservierungsbereiche sowie Lagerkapazitäten mit entsprechender Kühlung für mehr als 100 Tote. Das alles benötigt eine Fläche von rund 2.800 Quadratmeter Fläche, verteilt auf vier Geschosse. In 2025 soll R.6 fertig werden. Kosten: rund 47 Millionen Euro. Und der Platz wird dringend gebraucht. &bdquo;Die Medizin wird an der Bielefelder Universität die Fakultät mit den meisten Studierenden werden, schon aufgrund der Länge des Studiums. Dafür braucht man wahnsinnig viele Räume für den modernen Unterricht in Kleingruppen“, erklärt Schulze. Unterricht für bis zu 600 Studierende gleichzeitig Bis zu 600 Studierende gleichzeitig müssten im neuen Gebäude zukünftig unterrichtet werden können, wo die naturwissenschaftlichen Grundlagen fürs Medizinstudium vermittelt werden. Und die Anatomie wolle sich für andere Berufsgruppen öffnen, kündigt Schulze an. Rettungsassistenten, Fachärzte oder Personen aus der Krankenpflege sollen sich ebenfalls an menschlichen Präparaten weiterbilden können. Rund 50 Körperspenden pro Jahr seien notwendig, um die Bedürfnisse der Medizinischen Fakultät decken zu können, schätzt Schulze. Er hat aus seiner Zeit an der Uni Rostock viel Erfahrung nach Bielefeld mitgebracht, wo er mehr als zehn Jahre das dortige Körperspendewesen leitete. In Bielefeld würden ebenfalls rund 40 bis 50 Körper pro Jahr für die Lehre benötigt, bevor sie zur Bestattung freigegeben werden, sagt der Fachmann. Parallel müssten weitere Leichname ein halbes Jahr lang &bdquo;Reifeprozesse“ durchlaufen vor ihrer Verwendung. Lesen Sie auch: Platz für 100 Körperspenden: Dafür sind die neuen Gebäude der Uni Bielefeld gedacht Altersgrenze für Körperspender an der Uni Bielefeld Dementsprechend noch deutlich größer muss der Kreis registrierter Spender sein: rund 3.000 Personen seien das Ziel. Einschränkungen für eine zukünftige Spende gebe es dabei kaum, so Schulze. Mit zwei Ausnahmen: Registrieren kann sich nur, wer in Bielefeld oder in einem Umkreis von rund 50 Kilometern wohnt und älter als 50 Jahre ist. &bdquo;Jungen Menschen, die sich melden, sagen wir, sie sollen erst einmal ihr Leben leben“, sagt Schulzes Kollegin, die erste Ansprechpartnerin für das Thema Körperspende an der Uni ist, namentlich aber aus beruflichen Gründen nicht genannt werden möchte. &bdquo;Wir möchten zudem alle Spender vorab persönlich kennenlernen und sichergehen, dass die Menschen aus freien Stücken zu uns kommen.“ Lesen Sie auch: Junge Frauen auf dem Vormarsch: Immer mehr Ärztinnen übernehmen die Hausarztpraxen Was aber macht das Lernen an menschlichen Leichnamen so unersetzlich? Anders als bei einer Puppe oder in Lehrbüchern sei jeder echte menschliche Körper anders, erklärt Schulze. Die eine hatte schon eine Hüftoperation, der andere trug einen Herzschrittmacher. &bdquo;Es gibt eine hohe Variabilität, und die Anatomie ist ohnehin ein wahnsinnig lernintensives Fach.“ In Skandinavien werde, so Schulze, bereits auf Präparationskurse für Medizinstudierende verzichtet – mit negativem Effekt. &bdquo;Immer mehr Chirurgen fehlt dort das nötige anatomische Wissen.“ Mit Leichnamen respektvoll zu arbeiten, fördere zudem die Empathie bei den Studierenden und helfe, die Scheu vor chirurgischen Eingriffen zu überwinden. Vor dem ersten Schnitt am lebenden Patienten. Die Universität Bielefeld informiert zu Körperspenden unter Tel. 0521 10686637 sowie auf einer eigenen Webseite. Im Interview: Professor zu Tierversuchen an der Universität Bielefeld: &bdquo;Das Töten der Tiere ist unerlässlich“

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