Hunderte Bomber legen Teile von Bielefeld samt Altstadt in Schutt und Asche

Bielefeld. Um 12.57 Uhr, am letzten Tag im September 1944, heulten die ersten Sirenen. Sie warnten vor den US-amerikanischen Bombenflugzeugen, die direkt auf die Stadt zusteuerten. Menschen sollten Schutzräume aufsuchen. Doch trotz des bereits fünf Jahre anhaltenden Krieges ignorierten viele Bielefelder diese Warnung. Zu oft hatten in den Wochen zuvor Sirenen geheult, ohne, dass tatsächlich Bomben fielen. Am 30. September 1944 sollte es anders sein. Knapp eine Stunde nach dem ersten folgte der zweite Alarm. Wenige Minuten später schrie eine Stimme aus dem Radio: "Achtung! Höchste Alarmstufe! Feindliche Bomberverbände im direkten Anflug auf Bielefeld. Sie haben die Schächte geöffnet! Mit Bombenabwürfen ist zu rechnen!" Nach dieser Ansage dauerte es nur Sekunden, bis die ersten Bomben auf Bielefeld fielen - abgeworfen von 300 Flugzeugen der 3. US-amerikanischen "Bomb Division". Sie waren von ihrem Stützpunkt in England gestartet. Die erste der drei Angriffswellen an diesem Nachmittag traf unter anderem die Bentelerwerke. Im "Gemeinschaftslager 13" arbeiteten Zwangsarbeiter; Menschen aus Polen, Russland, der Ukraine, Frankreich und Belgien. Aus ideologischen Gründen durften sie sich nicht in Schutzräumen in Sicherheit bringen. "Der dritte Abwurf traf uns voll" So war es auch an der Weidenstraße. "Menschen mit abgerissenen Gliedmaßen schrien so lange, bis sie starben oder, sofern sie Glück hatten, nach dem Angriff von Rettern versorgt wurden", heißt es in einem Zitat eines damaligen Zwangsarbeiters, das dem Stadtarchiv Bielefeld vorliegt. Bei den nächsten beiden Angriffswellen warfen die US-Soldaten bis zu 2.000 Pfund schwere Sprengbomben sowie Brandbomben auf die Stadt. Häuser und Gebäude stürzten ein, ganze Straßenabschnitte brannten. Das hat auch Heinz Kerkhoff miterlebt. Er war damals 13 Jahre alt und während des Angriffs mit seinen Eltern im Luftschutzkeller ihres Hauses. Seine Eindrücke von diesem Tag liegen dem Stadtarchiv vor. "Der dritte Abwurf traf uns voll. Überall im Keller Rauch und Qualm, der Phosphor lief durch die Kellerroste und entzündete einen Kohlehaufen. Ich flüchtete durch das zersplitterte Schaufenster unseres Geschäftes (...). Das Haus zu löschen war nicht möglich, da weder Wasser noch die Feuerwehr vorhanden waren." Mehr als 600 Todesopfer Nachdem Heinz Kerkhoff aus dem Keller entkommen war, lief er in den Ulmenwall zum Neustädter Bunker. "Es war wie ein starker Sturm, der Himmel war dunkel und voller Laub, Papier etc. Die ganze Altstadt stand in Flammen." Etwa eine halbe Stunde dauerte der Luftangriff vor 79 Jahren. Zerstörte Straßen und Wasserleitungen machten es der Feuerwehr, die gegen 15 Uhr anrückte, schwer an die Flammen zu gelangen. "Um nicht selbst zu verbrennen, mussten wir regelrechte Wassergassen in die hitzedurchflutete Altstadt schlagen", heißt es in einer Aussage des damaligen Brandinspektors Erich Wilker im Stadtarchiv. Insgesamt vier Tage kämpften die Feuerwehren aus Bielefeld, Münster, Dortmund, Gelsenkirchen, Bochum und Wuppertal gegen die Flammen, die den Großteil der Altstadt zerstörten. 649 Menschen starben durch den Luftangriff. Die Zahl der Opfer war lange nicht klar zu benennen; teilweise waren die Leichen bis zur Unkenntlichkeit verbrannt. Der bis dahin schwerste Angriff Der Angriff am 30. September war nicht der erste auf Bielefeld. Doch es war der bis dahin schwerste. Ob es sich dabei um einen gezielten Angriff auf die Zivilbevölkerung handelte, ist bis heute nicht klar. So sagen alliierte Quellen, dass die Primärziele des Luftangriffs Waffenlager gewesen seien. Bis März 1945 folgten weitere Angriffe. Insgesamt sind 1.349 Menschen in Bielefeld durch den Krieg getötet worden. 15.688 Wohnungen sowie etliche Strom-, Gas- und Trinkwasserleitungen wurden zerstört. Erst am 4. April 1945, nach dem Einmarsch amerikanischer Truppen, war der Krieg für Bielefeld beendet. Doch die Folgen der Zerstörung waren noch lange zu spüren. Weitere Informationen zum Angriff am 30. September 1944 sowie andere historische Ereignisse gibt es unter www.historischer-rueckklick-bielefeld.com.

Meistgelesen