Viel zu früh und tot geboren: Hilfen in der Trauer um ein „Sternenkind“

Bielefeld. Auf dem langen Esstisch steht eine mit bunten Wachsbildern verzierte Kerze – für Tom. Sie erinnert Lea Epp und ihren Mann Oliver an den kleinen Sohn, den sie gehabt hätten, wenn sein Herz nicht in der 20. Schwangerschaftswoche plötzlich aufgehört hätte zu schlagen. Kurz vor Ausbruch der Pandemie im Februar 2020 musste die Gynäkologin der jungen Frau bei der Ultraschall-Kontrolle mitteilen, dass keine Herztöne mehr wahrnehmbar sind. Es war Leas dritte Fehlgeburt: &bdquo;Für mich brach eine Welt zusammen“ erinnert sich die 36-Jährige. Ein ungeheurer Schmerz habe sich ausgebreitet, der Gedanke, &bdquo;vielleicht stimmt etwas nicht mit mir“ sei aufgekommen. Sie brachte das Kind nach eingeleiteten Wehen im Krankenhaus während einer so genannten &bdquo;stillen Geburt“ zur Welt. Dass die Wehen so brachial sein würden, obschon der kleine Junge so klein war, habe sie erschreckt. &bdquo;Ich dachte, wieso habe ich zu dem seelischen jetzt auch noch diesen starken körperlichen Schmerz? Ich habe mich der Natur völlig ausgeliefert gefühlt.“ Areal für "Sternenkinder" auf dem Sennefriedhof Als der winzige Junge dann da war und so still dort gelegen habe, habe sie trotz allem einen Frieden verspürt, ihn anschauen und Abschied nehmen können“, erinnert sich die Sozialpädagogin. &bdquo;Alles an ihm war vollständig, es fehlten nur noch Wachstum und Fettpolster“, schildert sie. Es folgte eine Ausschabung der Plazenta unter Vollnarkose. Zuhause habe sie viel geweint, sich wie &bdquo;im Nebel“ gefühlt, war wochenlang krankgeschrieben. Ihr Mann Oliver hingegen wollte sich durch Arbeit ablenken, obgleich ihn alles auch sehr mitgenommen hatte, berichtet er. Nach einer Woche sei er wieder arbeiten gegangen. &bdquo;Die Menschen und besonders die Väter trauern unterschiedlich“, hat Lea Epp damals beobachtet. Sie gaben dem Kleinen den Namen Tom, ließen ihn mit anderen Kindern, die viel zu früh und tot geboren wurden, auf dem Sennefriedhof beerdigen, wo ein Areal speziell für &bdquo;Sternenkinder“ reserviert ist. &bdquo;Es war sehr tröstlich, mit anderen dort zu stehen“ – mit verwaisten Eltern, Großeltern, Geschwisterkindern. &bdquo;Man fühlt sich augenblicklich nicht mehr so allein“, sagt die 36-Jährige. Als Trauerbegleiterin viel gelernt über die Bedürfnisse trauernder Eltern Da aber dieser späteren Fehlgeburt zwei weitere vorausgegangen waren und noch zwei folgen sollten, hatte der Kinderwunsch im Leben der Epps inzwischen eine übergroße Dimension. &bdquo;Die Sehnsucht nach einem gesund geborenen Kind verfolgt einen Tag für Tag. Sie belastet die Beziehung zum Partner“, gesteht die junge Frau. Das Paar begann, sich mit der Möglichkeit einer Adoption oder einer Pflegeelternschaft auseinander zu setzen: &bdquo;Es gibt so viele bereits geborene Kindern, die eine liebevolle Familie brauchen. Mir ging es nicht darum, meine Gene weiterzugeben.“ Zugleich hatte sie inzwischen so viel gelernt über die Bedürfnisse trauernder Eltern, über das Unvermögen vieler Menschen, angemessen mit deren Schmerz umzugehen (&bdquo;Du musst doch langsam damit durch sein“, &bdquo;es war doch noch so klein und noch gar kein richtiger Mensch“, &bdquo;versucht es doch einfach weiter“), dass sie den Plan fasste, anderen verwaisten Eltern hilfreich zur Seite zu stehen. Gleichzeitig suchte die Bielefelderin Austausch und Linderung für die eigene Trauer. Im Frühjahr 2021 und nach einer kurzen Fortbildung zur Trauerbegleiterin bot sie ehrenamtlich und mit Hilfe des &bdquo;Paritätischen“ die erste Selbsthilfegruppe für Mütter von Sternenkindern an. Auf sechs Termine begrenzt, angelegt als Kaffeerunde mit der Gelegenheit, kreativ zu sein: &bdquo;Ich bastele gerne und weiß, so kann die Trauer auch ihren Ausdruck finden.“ Inzwischen hat sie drei kleine Gruppen geleitet, in denen das offene Gespräch über die so unterschiedlichen Erfahrungen natürlich auch seinen Platz hat. Früher war das Thema Trauer noch tabuisierter Manchmal, sagt sie nachdenklich, komme ihr beim Hören der Geschichten der Gedanke, dass ihre doch gar nicht so krass sei. Obgleich sich ja bei ihr der Kinderwunsch auch erst nach der fünften Fehlgeburt erfüllen sollte. Sie traf Frauen, deren Kinder unter der Geburt starben oder durch den plötzlichen Kindstod im ersten Lebensjahr. Doch diese gedachte Rangfolge sei ein falscher Impuls: &bdquo;Jede Trauer hat ihre Berechtigung, jedes Schicksal ist für die Betroffenen einmalig.“ Auf einmal begannen Menschen aus der Verwandtschaft und dem Freundeskreis zu erzählen – von Verlusten ihrer noch kleinen Kinder, von späten Fehl- und Totgeburten. Und wie wenig Raum für den Abschied es in früheren Zeiten gab. Es sei erstaunlich, was da, manchmal nach Jahrzehnten ans Licht komme. Früher sei das Thema noch tabuisierter gewesen als heute. In den Gruppen, von denen sie zum Sommer wieder eine starten möchte, halte sie sich mit ihrer Geschichte bewusst zurück, lasse den anderen mehr Raum. Lea und Oliver Epps Geschichte schließlich endete glücklich: &bdquo;Wir waren so erschöpft von dem Thema, dass wir auf Rat einer Kinderwunsch-Ambulanz versuchten, diese Fixierung auf ein Kind wieder loszuwerden.“ Es stellte sich eine Schwangerschaft ein – und sie blieb Noch ein halbes Jahr Zeit gab sich Epp, um schwanger zu werden, dann sollte der Wunsch stärker in den Hintergrund rücken. Im letzten Monat schließlich stellte sich die Schwangerschaft mit Sophia ein – und sie blieb. Im Mai diesen Jahres brachte Lea Epp ein gesundes kleines Mädchen zur Welt, das jetzt gerade zahnt und die Eltern auch nachts ordentlich auf Trab hält. &bdquo;Wir waren überglücklich“, schildert Lea Epp, wenngleich die an sich unproblematische Schwangerschaft von vielen Ängsten durchzogen gewesen sei, dass &bdquo;es“ wieder passiert. Nun liegt die Kleine im gemütlichen Zuhause der Epps in Mamas Arm und nuckelt genüsslich an ihrer Brust. Ein Geschenk, wie es alle Kinder sind. Doch eines ist ebenfalls zu spüren: Jedes der toten Kinder wird immer einen Platz in den Familien und in den Herzen seiner Eltern haben. Infos zu neuen Gruppen und Kontakt über: www.tom-trauergruppe.webnode.page.

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