Die schlimmsten Stunden: Für zwei Frauen aus Minden bricht nach Totgeburten eine Welt zusammen

Minden. Mila ist einen Tag vor ihrem errechneten Geburtstermin zur Welt gekommen. Ganz still. Das Baby hat nicht geschrien und auch nicht seine kleinen Augen geöffnet, als es bei seiner Mutter im Arm lag. Dass Mila nicht mehr lebt, haben ihre Eltern 25 Stunden zuvor erfahren. Sie ist im Bauch ihrer Mutter gestorben. Ganz plötzlich. &bdquo;Die Fruchtblase ist geplatzt und wir sind entspannt ins Krankenhaus gefahren“, berichtet Birthe Bongartz. Sie spricht klar und mit fester Stimme über das, was ihr nur wenige Monate zuvor den Boden unter den Füßen weggezogen hat. Am Abend zuvor hat sie das Strampeln ihrer Tochter noch deutlich in ihrem Bauch gespürt. Im Mindener Johannes-Wesling-Klinikum (JWK) konnten die Ärzte keine Herztöne mehr feststellen. Warum? Das weiß niemand. Es gibt keinen Grund dafür, warum Mila nicht leben darf. &bdquo;Du bist einfach wortlos“ Sabrina Hartmann weiß, was ihrer Tochter das Leben nahm. &bdquo;Sie hatte einen Knoten in der Nabelschnur und wurde nicht mehr versorgt“, erzählt die 39-Jährige von dem Schock. Dass ihr Kind nicht lebend zur Welt kommen wird, erfährt auch sie erst kurz vor der Geburt. &bdquo;Wir sind zum geplanten Kaiserschnitttermin ins Klinikum gefahren. Und dann waren bei der Untersuchung keine Herztöne mehr zu hören“, berichtet sie. &bdquo;Du bist einfach wortlos“, versucht sie zu beschreiben, wofür es keine Worte gibt, aber viel zu viele Gefühle. Auch für Birthe Bongartz und ihren Mann ist der Tod des Kindes der Weltuntergang. &bdquo;Das nicht verstehen können war in dem Moment das Schlimmste, es war doch alles gut gewesen“, beschreibt die Mutter ihre Gefühle in einem Moment, in dem alles zusammenbricht. Die Schwangerschaft war völlig problemlos verlaufen, es hat keine Komplikationen oder Auffälligkeiten gegeben. Als Birthe Bongartz und ihr Mann ins Krankenhaus gegangen sind, waren sie sicher, es zu dritt zu verlassen. Nach dem Zusammenbruch kam der Funktionsmodus Nach dem völligen Zusammenbruch sei der Funktionsmodus gekommen. &bdquo;Das Baby ist noch drin, aber es muss raus“, erzählt die 29-Jährige von dem, was sie dann umgetrieben habe. Sie erinnert sich an die Ärzte, die Schwestern und Hebammen. &bdquo;Alle waren so toll, sie haben uns unterstützt, wo es nur ging, zur Seite gestanden und zu keiner Zeit zu irgendetwas gedrängt.“ Aber von einem Kaiserschnitt haben sie der jungen Frau abgeraten. Wegen der Schmerzen im Nachhinein und auch wegen des Trauerprozesses, für den eine &bdquo;normale“ Geburt wichtig sei. &bdquo;Ich bringe unsere Tochter zur Welt, aber ich will keine Schmerzen haben“, sagt Birthe Bongartz damals – und fragt sich noch heute: &bdquo;Wie soll man körperlich und emotional ein totes Kind zur Welt bringen?“ Schmerzen trotz PDA Als die Wehen kommen, macht Birthe Bongartz genau das: Sie bringt ihre Tochter zur Welt. Trotz PDA und Medikamentencocktail hat die Mutter Schmerzen. Die Geburt ist hart und dauert 25 Stunden. &bdquo;Sie konnte ja nicht mehr mithelfen“, sagt Birthe Bongartz. &bdquo;Aber die Hebammen waren so großartig und auch eine Trauerbegleiterin war da“, erinnert sie sich. Um 1.17 Uhr in der Nacht kommt Mila zur Welt. &bdquo;Ich wusste nicht, ob ich sie sehen kann, ob ich sie halten kann. Aber irgendwann ging das und ich bin so froh, dass das geklappt hat, das war so ein schönes Gefühl.“ Zwei Stunden hatten die Eltern dann mit ihrer Tochter im Kreißsaal. Sie konnten sie waschen und wiegen, mit ihr im Bett kuscheln und einen Abdruck von ihren kleinen Händen und Füßen machen. Und auch eine Fotografin hat Bilder von der kleinen Mila gemacht. &bdquo;Das ist ja das Einzige, was von unserem Kind bleibt“, sagt Birthe Bongartz. Bei einer Aussegnung verabschiedet &bdquo;Wir hätten Mila auch noch mit nach Hause nehmen können“, berichtet sie. &bdquo;Es ist euer Kind“, haben die Ärzte gesagt. &bdquo;Das tat so gut in dem Moment“, beschreibt Birthe Bongartz. Aber sie haben sich dagegen entschieden. Sie und ihr Mann sind auf der gynäkologischen Station geblieben – ohne Mila. Von ihrer Tochter haben sie sich bei einer Aussegnung im Klinikum verabschiedet. &bdquo;Obwohl wir eigentlich nicht gläubig sind, hat sich das in dem Moment richtig angefühlt“, erinnert sie sich. Noch einen Tag ist das Paar im Klinikum geblieben und konnte sein Kind immer wieder besuchen. Auch für die Eltern und Geschwister des jungen Paares sei die Aussegnung wichtig gewesen. Sie hätten sich im Nachhinein bedankt, dass sie sich auf diese Weise von Mila verabschieden konnten. Die ehrliche Anteilnahme habe in den schwersten Stunden am meisten geholfen. Und die hätten sie von allen Beteiligten im JWK uneingeschränkt erhalten. &bdquo;Sie halle haben mit uns getrauert und geweint. Das hat viel geholfen. Wenn ich nochmal ein Kind bekommen sollte, dann wieder dort“, sagt Birthe Bongartz heute. Die Erinnerungen seien einerseits so schlimm, aber auf der anderen Seite auch so gut. &bdquo;Wir haben so eine Dankbarkeit empfunden“, beschreibt sie. 14 Stille Geburten in 2023 im JWK Im Jahr 2023 gab es im JWK 14 stille Geburten, in diesem Jahr sind dort bis zum September bereits acht Sternenkinder zur Welt gekommen. Als Sternenkind, seltener als Schmetterlingskind oder Engelskind, werden verstorbene Kinder bezeichnet, insbesondere wenn sie vor, während oder bald nach der Geburt gestorben sind. &bdquo;Die Betreuung solcher Geburten ist Teil der Ausbildung und wird zusätzlich gesondert geschult“, so Christian Busse, Pressesprecher der Mühlenkreiskliniken. In ihrer Trauer sind Birthe Bongartz und ihr Mann gegenseitig ihr größter Halt. Sie versuchen so offen wie möglich mit ihrem Schicksal umzugehen und darüber zu sprechen. Trost und Verständnis findet das Paar zusätzlich bei den Sternenkindern in Minden. Das ist ein Gesprächskreis für alle, die ihr Kind durch Fehlgeburt, Frühgeburt, Totgeburt oder Säuglingstod verloren haben. &bdquo;Die Einzelgespräche dort tun gut, aber auch der Austausch mit Gleichgesinnten hilft total“, erzählt Birthe Bongartz von der Gruppe. Nach der Totgeburt drei Fehlgeburten Dort war auch lange Zeit Sabrina Hartmann. Sie hat zwei lebende Kinder im Alter von 16 und sieben Jahren. Nachdem ihre Tochter Marla im Jahr 2022 in der 38. Schwangerschaftswoche tot geboren wurde, hatte sie noch drei Fehlgeburten. Heute ist Sabrina Hartmann in der 18. Woche schwanger. Marla musste Sabrina Hartmann per Kaiserschnitt zur Welt bringen. Das ging nicht anders, weil bereits ihre ersten beiden Kinder so geboren wurden. Als sie da war, wusste sie nicht, ob sie das kleine Baby würde anfassen können. &bdquo;Wann kommt man schon mal mit dem Tod in Berührung und dann ist es auch noch dein eigenes Kind“, versucht sie zu erklären. Am Abend haben sich Sabrina Hartmann und ihr Mann von ihrer Tochter verabschiedet, am nächsten Morgen habe sie, trotz des Kaiserschnitts, das Krankenhaus auf ihren eigenen Beinen verlassen. &bdquo;Man schaltet auf Autopiloten und funktioniert nur noch“, beschreibt die Mutter, auf die ihre beiden anderen Kinder zu Hause warten. Wieder eine Tochter Mit denen darüber zu sprechen, sei eine gute und heilvolle Erfahrung gewesen. &bdquo;Besonders durch meine Tochter bleibt Marla Teil der Familie, sie spricht ganz viel von ihr“, erzählt Sabrina Hartmann. Im Frühjahr wird ihr Kind zur Welt kommen – wieder eine Tochter. Und auch Birthe Bongartz möchte nochmal schwanger werden. &bdquo;Der Kinderwunsch ist immer noch da“, sagt sie. &bdquo;Der bleibt, auch wenn wir Mila natürlich nicht einfach ersetzen wollen.“ Aktuell ist sie Patientin in einer Kinderwunschklinik. Die 29-Jährige leidet unter dem PCO-Syndrom und kann nicht ohne Unterstützung auf natürlichem Wege schwanger werden. Das war bei Mila auch schon so. Vor einer erneuten Schwangerschaft hat Birthe Bongartz Respekt. &bdquo;Das wird richtig, richtig hart“, befürchtet sie. Aber da sei immer noch diese Liebe in ihr und ihrem Mann, die sie weitergeben möchten.

Meistgelesen