Vorfälle an Universität Bielefeld Sexistische Bielefelder Spiele "beschämend für die ganze Uni"

Bielefeld. Seit Jahren – das ist inzwischen unzweifelhaft – haben sich die Spielchen für Erstsemester der Wirtschaftswissenschaftler (WiWi) an der Uni Bielefeld wenig geändert. Schon 2013 mussten männliche Erstsemester bei der Kneipenrallye fremden Frauen einen Klaps auf den Po geben, um Punkte für ihr Spiel zu sammeln. Die weiblichen mussten wiederum Männer in den Hintern kneifen. Viele sollen sich dabei unwohl gefühlt haben. Aber die Gefahr, bei Ablehnung in der wichtigen Phase des Uni-Starts bereits den sozialen Anschluss zu verlieren, schätzten viele größer ein. Wie jetzt mehrere Studierende der betroffenen Fakultät berichten, gab es gegen den übergriffigen Sexismus der Fachschaft immer wieder interne Kritik – auch schon vor Jahren. Doch die Verantwortlichen hätten sie schlicht ignoriert. Die Argumente wurden als Einzelmeinungen dargestellt und die Kritiker als Hetzer. Eine Beschäftigung mit den Argumenten habe es weder 2015 und 2016 gegeben, als der #MeToo-Aufschrei noch gar nicht existierte. Aber auch 2021 habe nach erneut geäußerter Kritik keine Reflexion unter den Verantwortlichen stattgefunden, berichtet eine Bielefelderin. Update: Der Bielefelder AStA sieht sogar ein grundsätzliches Problem an der Universität Bielefeld, das nicht auf die Fakultät der Wirtschaftswissenschaften begrenzt ist, wie aus einer neu veröffentlichten Stellungnahme der Studienvertretung hervorgeht. Es gebe ein Machtgefälle insbesondere in der Fachschaftsarbeit, berichtet der AStA. Und steht mit dieser Meinung nicht alleine dar. "Wer noch keine Sexerfahrung hatte, war der Loser" In mehreren Gesprächen mit Betroffenen wurde nun deutlich, dass sich einige Teilnehmer der jetzt scharf kritisierten Erstsemester-Veranstaltung von den Team-Leitern sogar unter Druck gesetzt fühlten, so dass sie dennoch Po-Grabscher- oder Flitzer-Aufgaben erfüllten, um nicht Spielverderber zu sein. &bdquo;Die älteren Studierenden haben für die Erstis eine unheimliche Autorität“, sagt eine ehemalige Fachschaftsangehörige. Ein Teilnehmer brach die Aktivitäten seiner Einführungswoche sogar ab, nachdem alle Erstsemester bei einem Kennenlernspiel den Zeitpunkt ihres &bdquo;Ersten Mals“ nennen sollten. &bdquo;Diejenigen ohne sexuelle Erfahrung waren die Loser vorne in der Schlange. Die haben einen dazu gebracht, Dinge zu tun, die ich nicht wollte.“ Die Berichte dazu gehen mindestens bis 2013 zurück. Die nun in der Kritik stehenden Aufgaben, gab es damals schon. Uni-Rektor: "Vorkommnisse offenbar schon seit Jahren" Warum kam der öffentliche Protest erst in diesem Jahr? Ein Student sagt, dass die WiWi-Fakultät sehr eigenständig funktioniere, es gebe unter den Hochschülern wenig Austausch mit anderen Fachrichtungen. In diesem Jahr war es das Campusradio, das die strittigen Aufgaben nach einem Internet-Post eines Studierenden öffentlich gemacht hatte und damit für eine Breite inzwischen deutschlandweite Aufmerksamkeit gesorgt hat. Am Donnerstag nahm nun auch Uni-Rektor Gerhard Sagerer Stellung: &bdquo;Die Vorkommnisse in der Orientierungswoche sind beschämend für die gesamte Universität. Die Aufgaben bei der Kneipenrallye sind nicht akzeptabel und mit unseren Werten nicht vereinbar. Und dies offenbar schon seit Jahren. Davon distanzieren wir uns entschieden.“ Sagerer hoffe, dass es ein Einzelfall sei. Dennoch betont er, dass die ehrenamtlichen Fachschaften grundsätzlich ein sehr wichtiger Bestandteil für die universitäre Kultur sowie für das Ankommen und das Miteinander unserer Studierenden seien. &bdquo;Und so soll es auch bleiben.“ AStA fordert Ausschluss von Verantwortlichen aus der Fachschaft Update, 21.10.2022: Von einem Einzelfall geht der Allgemeine Studierendenausschuss (AStA) dagegen offenbar nicht aus. Die Vertreter fordern jetzt in einer öffentlichen Stellungnahme den sofortigen Ausschluss der verantwortlichen Fachschaftsmitglieder sowie die konsequente und transparente Aufarbeitung der Geschehnisse. Das Ereignis der diesjährigen Orientierungswoche reihe sich ein in Erfahrungen, die Erstis seit Langem machten, so die Studierendenvertretung. &bdquo;Es kommt immer wieder zu Grenzüberschreitungen gegenüber jungen Studentinnen und Studenten“, betont die AStA-Gleichstellungsreferentin. Insbesondere in der Fachschaftsarbeit gebe es ein Machtgefälle aufgrund von Alters- und Geschlechtshierarchien sowie zwischen erfahrenen Studierenden und jungen Erstis. Der AStA fordert daher nicht nur in der Fachschaft für Wirtschaftswissenschaften Konsequenzen: &bdquo;Die aktuellen Vorkommnisse in der Fachschaft machen eine strukturelle Problematik sichtbar, der dringend begegnet werden muss.“ Neben verpflichtenden und umfassenden Awareness-Konzepten auf allen Erstsemesterveranstaltungen fordert die Bielefelder Studierendenvertretung von der Universität die Einrichtung eines anonymen Erfassungssystems, über das sexualisierte Diskriminierung und Gewalt gemeldet werden können. Angriffe auf Verantwortliche "nicht akzeptabel" Auch die WiWi-Fakultät hat sich klar positioniert: &bdquo;Der Fakultät ist bekanntgeworden, dass es dazu gekommen ist, dass Studierende zu Handlungen aufgefordert wurden, die als diskriminierend oder übergriffig angesehen werden müssen. Die Fakultät verurteilt dies scharf. Ein solches Verhalten passt nicht zu den in der Fakultät gelebten Werten, speziell nicht im Verhalten gegenüber neuen Studierenden.“ Allerdings wehrt sich die Fakultät auch gegen unverhältnismäßige Angriffe in den sozialen Medien gegen die Studierenden der Fachschaft: &bdquo;Auch das halten wir nicht für akzeptabel.“ Die Studierenden hätten ihre Fehler erkannt. Insider hat Zweifel, dass alle in der Fachschaft ihr Fehlverhalten verstehen Genau das bezweifelt ein Insider, der die Distanzierung der Verantwortlichen für vorgeschoben hält. &bdquo;Das passiert, weil es sein muss und um Schaden abzuwenden. Aber trotz der breiten Kritik verstehen viele ihr Fehlverhalten immer noch nicht.“ Sie definierten sich seit Jahren über den Erfolg der aus ihrer Sicht erfolgreichen Erstsemester-Woche. Dass einige Teilnehmer von dieser Art des Gruppendrucks abgestoßen oder sogar traumatisiert worden sein könnten, sei nie erwägt worden.

Mehr zum Thema