Zwischen Klüngel und Proporz im Bielefelder Rathaus

Ingo Nürnberger (SPD) ist am Donnerstag auch mit den Stimmen der CDU als Sozialdezernent wiedergewählt worden. Hat die Union damit ihren Gegenkandidaten bei der OB-Wahl 2025 auf den Schild gehoben? Könnte sein, auch wenn Nürnberger sich in der Frage, ob er als Oberbürgermeister-Bewerber antreten möchte, eher zugeknöpft gibt. Öffentlich diskutiert wird darüber jedenfalls schon länger, und deshalb hatte Liberalen-Chef Jan-Maik Schlifter vor dem Wahlgang im Rat auch schon mal zur Attacke geblasen: &bdquo;Die FDP baut Herrn Nürnberger nicht die Startrampe ins Oberbürgermeisteramt, das sollte die CDU-Fraktion auch nicht tun.“ Das Dilemma, das Schlifter für die CDU ausmacht, hängt mit dem &bdquo;Bielefelder Landrecht“ zusammen. Manche halten es für den Inbegriff der Kungelei, andere finden, dass damit Machtverhältnisse gut austariert werden können. Als &bdquo;Bielefelder Landrecht“ hatte der frühere Oberbürgermeister Eberhard David (CDU) einst die stille Vereinbarung von CDU, SPD und Grünen bezeichnet, gemeinsam über die Verteilung der Rathaus-Dezernate zu entscheiden und deren Wahl jeweils auch zu garantieren. Ganz gleich, wer gerade welcher Koalition angehört. Das ist mehr als 20 Jahre her. Aber der Deal gilt bis heute. Zwei Dezernenten stellt die CDU (Kämmerer Rainer Kaschel und Planungsdezernent Gregor Moss), zwei die SPD (Sozialdezernent Ingo Nürnberger und Schul- und Kulturdezernent Udo Witthaus), einen die Grünen (Umwelt- und Verkehrsdezernent Martin Adamski). Der nie irgendwo niedergeschriebene Pakt wurde geschlossen, nachdem Bielefeld als attraktiver Dezernenten-Arbeitgeber in Verruf geraten war. Je nachdem, wer gerade die Mehrheit hatte, waren Dezernenten angelockt oder gefeuert worden. Das sprach sich herum unter dem kommunalen Spitzenpersonal. Im Bielefelder Rathaus wollte niemand mehr anheuern. Das &bdquo;Bielefelder Landrecht“ sollte zu mehr Verlässlichkeit beitragen und den Kandidaten eine Perspektive bieten. Ganz korrekt heißen die Dezernenten eigentlich Beigeordnete, weil sie dem amtierenden Oberbürgermeister &bdquo;beigeordnet“ sind. Sie vertreten ihn in jeweils mehreren Rathaus-Ämtern, in ihrem Dezernat. Deshalb ist der Begriff &bdquo;Dezernent“ auch eingängiger. Beigeordnete sind sogenannte Wahlbeamte. Sie werden für acht Jahre vom Stadtrat in ihr Amt gewählt und sind von den dort herrschenden politischen Mehrheiten abhängig. Für diese Befristung bekommen sie auch mehr Geld als &bdquo;normale“ Beamte. Das richtet sich nach der Größe einer Stadt. In Bielefeld werden sie nach den Besoldungsgruppen B5 und B6 entlohnt. Das sind gut 10.000 Euro im Monat. "Bielefelder Landrecht" Das &bdquo;Bielefelder Landrecht“ führt dazu, dass die beteiligten Fraktionen auch Kandidaten mitwählen müssen, die sie gar nicht so gern unterstützen wollen. SPD und Grünen ging das so bei der Wiederwahl von Planungsdezernent Gregor Moss, der CDU, als Schul- und Kulturdezernent Udo Witthaus wieder antrat, oder jetzt Ingo Nürnberger. Andererseits ist so die Wahl der eigenen Kandidaten nie in Gefahr.Dafür ist dem Vorwurf der Postenschacherei Tür und Tor geöffnet. Vielleicht wäre nach so vielen Jahren eine Reform des »Landrechts« angebracht. Zu Beginn einer Ratswahlperiode könnte offen kommuniziert werden, welche Dezernenten-Posten in dieser Zeit zu vergeben sind und nach welchen Kriterien dies geschehen soll. Und vielleicht sollten auch mal andere Parteien zum Zuge kommen. Dass die FDP so gegen das &bdquo;Landrecht“ wettert, liegt auch daran, dass sie dabei außen vor bleibt. Mag sein, dass die CDU am Donnerstag den künftigen OB-Kandidaten der SPD mitgewählt hat. Bis jetzt hat Amtsinhaber Pit Clausen aber noch nicht einmal seinen Verzicht erklärt. Fest steht jedoch: Die Arbeit von Ingo Nürnberger dürfte in Zukunft argwöhnischer beäugt werden. Nicht nur vom politischen Gegner, sondern auch von den eigenen Leuten. Denn sollte Clausen verzichten, was die meisten erwarten, ist noch nicht endgültig entschieden, wer für die SPD ins Rennen um den Chefsessel im Rathaus geht.

Meistgelesen