Illegale Sonntagsarbeit und massiver Stellenabbau bei Gestamp in Bielefeld

Bielefeld. Die Stimmung im Hause Gestamp Umformtechnik ist schlecht. "Ärger ist Programm" - so fasst es der Betriebsrat zusammen. Auf seiner Negativliste stehen wiederholt unerlaubte Mehrarbeit, viel zu viele Überstunden, ein hoher Krankenstand und Ungerechtigkeiten bei Bonus-Zahlungen. Was für die Arbeitnehmervertreter noch schwerer wiegt, ist ein möglicherweise im dreistelligen Bereich geplanter Stellenabbau und die Tatsache, dass der Automobilzulieferer erneut darauf verzichten will, Auszubildende einzustellen. "So fahren wir mit Tempo 200 den Standort vor die Wand", beklagt Betriebsratsvorsitzender Murat Dogan. "Wir sind an unsere Grenzen gekommen." Vor rund sieben Jahren hatte Gestamp in Bielefeld-Brackwede noch rund 1.400 Mitarbeitende, diese Zahl ist durch Fluktuation bereits auf rund 1.100 gesunken, und es ist nicht wieder aufgestockt worden. Doch nun soll noch einmal deutlich Personal abgebaut werden, obwohl das Unternehmen "Arbeit für die nächsten fünf Jahre hat", wie Dogan sagt. Seit 2017/18 werde über Abbau geredet, Zahlen zwischen 250 und 450 hätten schon im Raum gestanden. "Wie viele es genau werden sollen, wissen wir immer noch nicht", sagt der Betriebsratsvorsitzende. Betriebsbedingte Kündigungen sind nicht ausgeschlossen. Seitens der Geschäftsführung war bislang noch keine Stellungnahme zu bekommen. Mittlerweile ist der Personalabbau Gegenstand eines Verfahrens vor der Einigungsstelle des Landesarbeitsgerichtes Hamm, weil sich der Arbeitgeber auf der einen Seite sowie Betriebsrat und die Industriegewerkschaft (IG) Metall auf der anderen Seite nicht auf einen Weg einigen konnten. Murat Dogan betont, dass der Betriebsrat zahlreiche Vorschläge gemacht habe, um den wohl unvermeidbaren Abbau wenigstens mitzugestalten. Wichtig wäre dem Gremium, die jüngeren Arbeitnehmer zu halten und den Älteren - ohne Abschläge bei der Rente - eine "Brücke in den Ruhestand zu bauen", erklärt Bülent Abaci, stellvertretender Betriebsratsvorsitzender. Guter Ruf als Ausbildungsbetrieb fast ruiniert Früher hat Gestamp jährlich 25 eigene Auszubildende eingestellt und in seiner hervorragenden Lehrwerkstatt auch noch für Fremdfirmen ausgebildet. 2020 hatte der Betrieb plötzlich angekündigt, gar nicht mehr ausbilden zu wollen. Letztlich sind 2021 nach viel Hickhack und Absagen an junge Menschen, die bereits Verträge unterzeichnet hatten, noch fünf Neue gekommen. Fürs Ausbildungsjahr 2022 bisher Fehlanzeige. "Unser Ruf ist auf dem Gebiet fast schon ruiniert", sagt Ausbilder Daniel Rizvic. "Dass sie nicht ausbilden, in junge Leute und damit in die Zukunft investieren wollen", sagt Ute Herkströter, 1. Bevollmächtigte der IG Metall Bielefeld, "können wir nicht verstehen." Schon gar nicht, wenn gleichzeitig gesagt werde, die Belegschaft sei zu alt. Der Altersschnitt bei Gestamp, einer der größten Industriestandorte in Bielefeld, ist von 44 (2017) auf 48 Jahre angestiegen. Damit finde dann auch kein Wissenstransfer mehr statt. Rund 90 Leiharbeiter beschäftigt, massive Mehrarbeit Die Gründe für den massiven Abbau seien ebenfalls kaum nachvollziehbar, sagt Herkströter. Die Auftragslage von Gestamp - mit Produkten für Pkw, Nutzfahrzeuge und E-Mobilität sei gut - der Betrieb sei zukunftsfähig aufgestellt, und schon jetzt fehle Personal. Stattdessen gebe es massiv Mehrarbeit, würden immer wieder Überstunden beantragt, rund 90 Leiharbeiter beschäftigt. Die Geschäftsführung unter Leitung von Jesus Taboada habe erklärt, das bestimmte Bereiche nicht mehr bedient oder in Spanien erledigt werden sollen, andere Dinge sollen outgescourct werden, so Murat Dogan. Der spanische Konzern Gestamp hat 2011 den Brackweder Standort von Thyssen Krupp übernommen. Nicht lange danach begannen die Auseinandersetzungen. Ute Herkströter erinnert an den harterkämpften "Zukunftstarifvertrag" 2015. Damit verzichtete die Belegschaft für fünf Jahre auf einen Teil ihres Tariflohns, um dem Unternehmen die Investition von mehr als 90 Millionen Euro in den Standort zu ermöglichen. Die vereinbarte Rückzahlung musste in der Folge hart erstritten werden. Er sei seit 40 Jahren im Betrieb, sagt Betriebsrat Markus Scholz. 35 Jahre habe es keine Einigungs- und Gerichtsverfahren gegeben, in den vergangenen fünf Jahren mehr als 200. Bis zu 10.000 Euro Strafe pro unerlaubt arbeitendem Mitarbeiter Vor Gericht werden sich die Parteien auch wegen unerlaubter Mehrarbeit im Unternehmen treffen. So seien am 1. Mai statt der genehmigten 13 Mitarbeiter insgesamt 70 vor Ort gewesen; am 8. Mai, an dem der Betriebsrat seine Zustimmung für das ganze Werk verweigert hatte, seien 76 Kolleginnen und Kollegen im Haus gewesen. Auch über das Pfingstwochenende wird noch zu reden sein. Markus Scholz: &bdquo;3.500 Mehrarbeitsstunden sind von Freitagnacht bis zum späten Montagabend geleistet worden, zwischen 150 und 250 Leute waren da.“ Wieder ohne Genehmigung, sagt der Betriebsrat. Mehrarbeit an Sonn- und Feiertagen muss bei der Bezirksregierung mindestens sieben Tage vorab beantragt werden, Betriebsrat und IG Metall müssen zwingend dazu gehört werden. Bereits Mitte Dezember 2021 hatte eine Razzia der Detmolder Bezirksregierung wegen unerlaubter Sonntagsarbeit für Schlagzeilen gesorgt. Und bereits im Mai 2020 habe die Geschäftsführung wegen unerlaubter Sonntagsarbeit ein Urteil bekommen, so Scholz und die Ansage, dass bei Zuwiderhandlungen bis zu 10.000 Euro Ordnungsstrafe pro Mitarbeiter fällig werden können. Das werde wohl billigend in Kauf genommen. Zwar habe Gestamp gelernt, so Scholz, keine ungenehmigte Mehrarbeit an Sonn- und Feiertagen in der Produktion mehr anzusetzen, aber in anderen Bereichen, wie Vorbereitung und Instandhaltung, sehe das anders aus. Dass so viel Mehrarbeit angeordnet beziehungsweise "entgegengenommen" werde, sei oftmals auf hausgemachte Probleme zurückzuführen. Roland Ritter nennt Mängel in der Disposition und fehlendes Personal in der Logistik, mangelnde Vorratshaltung von Materialien und Maschinenteilen. Dogan ergänzt, dass oft wegen Personalmangels Anlagen stillgelegt würden und dann am Wochenende versucht werde, das aufzuholen. Krankenstand verdoppelt und verdreifacht Auch ein Grund sei der hohe Krankenstand bei Gestamp. Laut Markus Scholz liegt er über den gesamten Betrieb gesehen bei etwa 13 Prozent, schaue man nur auf die Produktion, bei 15 bis 20 Prozent. "In den vergangenen drei bis vier Jahre hat sich die Quote im Gesamtwerk verdoppelt", betont Murat Dogan, "in der Produktion verdreifacht. Dass seitens der Geschäftsführung darauf gar nicht reagiert wird, ärgert uns am meisten." Bis zu vier Schichten, dann die Mehrarbeit, das ewige Hin und Her, viel Druck - dies alles sei schon sehr belastend, betont Ute Herkströter. Es gebe keine Wertschätzung der Mitarbeitenden, obwohl die Arbeit erledigt werde, der Umsatz stimmt. "Das System läuft nur noch", erklärt Murat Dogan, "weil hier Menschen arbeiten, die mehr machen, als sie machen müssen." Viele hätten bei Gestamp beziehungsweise Thyssen Krupp ihre Ausbildung gemacht und fühlten sich der Firma immer noch sehr verbunden, ergänzt Kollegin Manuela Friebe. "Sie tun alles, um den Betrieb am Laufen zu halten, gehen dabei über ihre eigenen Grenzen und werden krank."

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